Es werden immer mehr, Jahr für Jahr. Gemeint sind die Bundesstraßen-Störche, die sich seit 2017 entlang der viel befahrenen Verkehrsader bei Donaueschingen auf Auslegern der großen Strommasten angesiedelt haben und täglich von Tausenden Autofahrern kurzfristig Besuch bekommen.
2017 wurde auf dem Masten neben der Brücke über die B27/33 in Richtung Pfohren das erste Nest gesichtet (wir berichteten).

Einzige Kolonie der Region
Seither ließen sich immer weitere Brutpaare auf benachbarten Masten nieder, teilweise auch als direkte Nachbarn auf einer und der selben Stahlkonstruktion. „Heute sind es in diesem Bereich vom Ziegelhof bis zur Kläranlage 14 Nester“, berichtet der Storchenbeauftragte des Landkreises, Manfred Bartler. So sei eine richtige Kolonie entstanden, die einzige im weiteren Umkreis. Ähnliche Kolonien gebe es beispielsweise erst wieder im Rheintal.
Und noch immer wächst die Zahl der tierischen Kolonie-Bewohner. „Erst gestern habe ich ein neues Nest an unmöglicher Stelle entdeckt“, so Bartler im Gespräch mit dem SÜDKURIER, und zwar genau dort, wo vor vier Jahren das erste Bauwerk entstanden ist. „Allerdings nicht oben auf dem Ausleger, sondern innerhalb der Stahlstreben weiter unten.“ Diese Baukunst erstaunt selbst den Storchenexperten immer wieder. Ein ruhiges Plätzchen haben sich die Tiere allerdings nicht ausgesucht, wie man im folgenden Video sehen und hören kann.
Ungewöhnlicher Nistplatz
Denn normalerweise würden die Tiere meist lieber die Nähe der Menschen suchen und auf Dächern und Türmen nisten. Strommasten in unbebauter Umgebung gehören von Natur aus eigentlich nicht zu ihren favorisierten Plätzen. „Selbst wenn wir ihnen fertige Nistmöglichkeiten abseits der bewohnten Flächen anbieten, nehmen sie das nicht an“, weiß Bartler. Ihre Eigenbaukolonie entlang der Bundesstraße wächst entgegen dieser Vorlieben trotzdem.

Warum genau, das kann Bartler nicht mit Sicherheit sagen. Er vermutet, dass das üppige Nahrungsangebot auf den weiten Wiesen und Feldern sie anlockt, die ihre Wahlheimat weithin umgeben. Die Donau ist nicht weit, und die Felder werden mehrmals im Jahr gemäht und gepflügt. So finden Störche jederzeit leicht Beute, und der Tisch ist stets gedeckt.

Warum die Population wächst
Darin sieht Bartler, der sein Amt als Storchenbeauftragter 2018 übernommen hatte, auch den Hauptgrund für das allgemeine Wachstum der Population in der Region. „Früher wurde nicht so häufig gemäht und gepflügt.“ Insgesamt 51 Nester zählt er heute im Schwarzwald-Baar-Kreis und betreut zudem Teilgebiete in den Nachbarlandkreisen Tuttlingen und Rottweil. Unter dem Strich kommt er so auf 65 Nester in seiner Obhut. Zum Vergleich: 1994 gab es in der Region nur drei Storchennester, 2019 waren es 48.
Bartler beringt die Jungtiere und verfolgt deren Reiserouten, die über kleine Sender erfasst werden können. Die Störche bei Donaueschingen kann er jedoch nur aus der Ferne betrachten. Eine Beringung ist dort nicht möglich, denn dafür müsste großflächig der Strom abgestellt werden.

Keine Familienbande
Trotz fehlender Einsicht in die luftigen Behausungen, geht Bartler davon aus, dass es nicht immer die selben Störche sind und auch nicht die Nachkommen aus einer Familie, die sich jährlich in der wachsenden Kolonie versammeln. Vielmehr geht er von einer immer wieder neu zusammengesetzten Population aus. Als Gründe nennt er, dass Jungstörche erstmals zwei Jahre nach dem Schlüpfen aus dem Süden hierher zurückkehren würden. Außerdem seien Störche nicht ortstreu. Als Beispiel nennt er einen seiner Fittiche, der 2021 erstmals zu seiner Kinderstube zurückkehrte. Anhand von Positionsdaten konnte Bartler sehen, dass der junge Storch sich erst zwei Wochen in Pfohren aufgehalten hatte, dann weiter nach Fluorn-Winzeln reiste und weiter nach Pforzheim und Schutterwald zog. Aktuell halte sich das Tier bei Saargemünd auf.
Müllhalden als Winterquartier
Im Winter, so Bartler, würden viele der Störche in Winterquartiere in Spanien, Frankreich oder Portugal ziehen. Marokko werde immer seltener angeflogen, so seine Beobachtung. „Zu gefährlich“, erklärt der Experte. Beim Überflug über das Wasser fehle es an Thermik und zahlreiche Störche seien dabei abgestürzt. Bartler vermutet dahinter einen Lernprozess bei den Tieren. Einfacher und sicherer sei die Überwinterung in Südeuropa. Dort halten sie sich gerne auf Müllhalden auf, wo sie ausreichend Nahrung finden.
Dass immer mehr Störche hier bei uns überwintern aufgrund des Klimawandels, kann Bartler nicht bestätigen. Zwar kenne er einige solcher Vögel hier in der Region, ein Trend sei aber nicht erkennbar. Ein Tier überwintert zum Beispiel auf der Mülldeponie in Tuningen. „Jeden Abend gegen 18 Uhr setzt er sich dort über den Strahler, der viel Wärme abstrahlt.“
Probleme und Risiken
Die Kolonie bei Donaueschingen birgt aber auch Gefahren für Störche, etwa wenn Tiere in den Verkehr geraten. Für den Stromanbieter können die Nester zum Problem werden. So mussten in den vergangenen Jahren bereits zwei Nester weichen, da diese Störungen an der Stromversorgung verursacht hatten. „An kritischen Stellen wurde daher eine Vogelabwehr installiert, damit dort keine neuen Nester entstehen“, blickt Bartler zurück. Seither gebe es keine Probleme mehr.