Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran. Nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens sind betroffen. In einigen kam allerdings erst durch die Corona-Pandemie Schwung in den Wandel, wie etwa bei der Bildung.
Andere Bereiche sind da schon weiter, wie etwa die medizinische Versorgung. Über Gesundheitskarten werden nahezu alle medizinische Leistungen abgerechnet und verbucht. Digital gesteuerte OP-Roboter und moderne bildgebenden Verfahren sind ohnehin nur digital vernetzt nutzbar.
Doch selbst in diesem hochtechnisierten medizinischen Bereich finden sich noch weißen Flecken auf der Digitalisierungs-Karte. Einer davon ist an der Schnittstelle mehrere Einzelsysteme verortet, die einzeln zwar längst digital funktionieren, sich untereinander aber nicht verstehen.
Das Problem
So war es bis vor kurzer Zeit in Notaufnahmen bundesweit nicht möglich, Informationen, die am Unfallort und in Rettungsfahrzeugen erfasst und dokumentiert wurden, mit Krankenhausinformationssystemen (KIS) digital zu koppeln, also Patientendaten ohne Umwege über Papier und menschliches Zutun zu übertragen. Ein Umstand, der Bernhard Kumle, Direktor der Klinik für Akut- und Notfallmedizin im Schwarzwald-Baar-Klinikum, schon lange ein Dorn im Auge war. Damit ist er auch nicht alleine.
An mehreren Klinikstandorten in Deutschland wurde und wird an Lösungen für dieses Problem gearbeitet. Bislang ohne Erfolg. Zu groß waren technische und wirtschaftliche Hürden, da viele Systemanbieter ihr eigenes Süppchen kochen. Der Datenschutz sei an solchen Verknüpfungspunkten ein weiterer kritischer Punkt, weiß Kumle. In der Notaufnahme im Schwarzwald-Baar Klinikum musste daher bis dato mit insgesamt drei unterschiedlichen Programmen parallel gearbeitet werden.

So lief es bislang
Eines dieser Programme zeigt in Echtzeit an, wo sich Rettungsfahrzeuge aktuell befinden und welche Patienten befördert werden. In einem weiteren Programmfenster haben Klinik-Ärzte Zugriff auf die Daten der Patienten, die sich auf Anfahrt befinden. Das können zum Beispiel persönliche Daten sein, Versicherungsnummern, erste Diagnosen vom Notarzt vor Ort, Vitalwerte oder Bilder vom Unfallort und den Verletzungen.
Diese Daten werden bereits im Rettungswagen über Tablet-Computer erfasst und in die Notaufnahme übertragen. Wichtige Informationen für Kumle und seine Kollegen, um sich optimal auf das Eintreffen vorbereiten zu können und keine wertvolle Zeit zu verlieren, was vor allem bei Schwerstverletzten wichtig ist.
Allerdings haben diese Informationen nie den direkten Weg in die zentralen KIS gefunden und mussten bei Ankunft und Übergabe im Klinikum erst ausgedruckt, gescannt oder händisch übertragen werden.
Zwar war auch damals eine schnellstmögliche Versorgung gewährleistet, es konnte jedoch passieren, dass Diagnosen und Dokumentationen der Erstversorgung in der Notaufnahme mühsam und nachträglich im KIS dem Patienten zugeordnet werden mussten, soweit das in der Hektik überhaupt noch möglich war.
Kumle sagt: „Ich bin Befürworter der Digitalisierung. Alles sollte so einfach wie möglich funktionieren.“ Dass dies ausgerechnet in seinem Bereich noch nicht umfassend möglich war, und dazu noch in einer Disziplin, in der es auf jede Sekunde ankommt, spornte den Notfallmediziner an, am Ende doch eine zentrale Lösung zu finden.

Das ist neu
Mit Erfolg. Seit Februar ist am Klinikum eine neue Softwarelösung des KIS-Entwicklers Dedalus HealthCare im Einsatz. „Das hat mehrere große Vorteile“, erklärt Kumle, der seit 2003 im Klinikum arbeitet und seit zehn Jahren die Klinik für Akut- und Notfallmedizin leitet. „Zum einen können wir umgehend anfangen, alles für den eintreffenden Notfall vorzubereiten. Das spart häufig wertvolle Zeit und ermöglicht eine passgenaue Patientenversorgung. Zum anderen wird der Übergabe- und Aufnahmeprozess beim Eintreffen des Patienten deutlich vereinfacht und sicherer.“
Dank der digitalen Lösung entfällt die bisher übliche händische Datenübertragung. Informationsverluste sind kaum mehr möglich. Pro Patient werden rund fünf Minuten Zeit eingespart, rechnet Kumle vor. Das hört sich im ersten Moment vielleicht nicht spektakulär an. Bei 40 bis 50 Notfällen, die pro Tag mit Rettungswagen im Klinikum eintreffen, bedeutet das am Ende aber eine enorme Entlastung für alle Mitarbeiter. „Davon profitieren die Patienten, für die mehr Zeit zur Verfügung steht“, so Kumle.

Von der Idee zum Produkt
Vor rund eineinhalb Jahren fiel der Startschuss für dieses Projekt. Kumle nahm Kontakt mit den Systementwicklern auf und suchte gemeinsam mit ihnen nach Lösungen. In engem Austausch mit dem der Firma Dedalus HealthCare wurde daraufhin die neue Digitalschnittstelle entwickelt und vor Inbetriebnahme zwei Wochen lang im Klinikalltag getestet.
Das Ergebnis stuft Kumle nicht geringer als eine „Sensation“ ein, bundesweit einzigartig. Dementsprechend groß sei das Interesse an dieser Neuerung gewesen. „Es gab schon sehr viele Nachfragen bei uns. Wir haben gezeigt, dass es geht. Das wird Druck auf andere Systemhersteller aufbauen, die nun nachziehen werden“, freut sich Kumle über den Erfolg. Für die Entwicklerfirma bedeutet der Durchbruch einen Wettbewerbsvorteil.
Weitere Digitalbaustellen
Und wie geht es nun weiter in der Notaufnahme? Allzu viele Digitalbaustellen sind gar nicht mehr in Sicht. Die Mitarbeiter in den einzelnen Schichten, tagsüber sind es acht Ärzte, zehn Pflegekräfte und zwei Mitarbeiter am Schalter, arbeiten mittlerweile eh schon papierlos und viele Prozesse wurden in den vergangenen zehn Jahren bereits digitalisiert.
Kumle sieht vor allem noch Potenzial im Wartetraum und im Bereich von Verträgen und Formularen. Er kann sich daher vorstellen, in naher Zukunft Tablets einzuführen, auf welchen Patienten, während der Wartezeit bereits ihre Aufnahmebögen ausfüllen könnten. Auch der Druck von langen Vertragswerken oder Aufklärungen könnte so in Zukunft eingespart werden. Bei rund 130 Notfällen insgesamt pro Tag, an machen Tagen bis zu 200, sind auch damit sicher noch zahlreiche Einsparungen bei Kosten und Zeit möglich.