Hornberg/Triberg Es war ein Abend, den das gesamte Kinzigtal wohl nicht so schnell vergessen wird – insbesondere aber nicht die Eltern eines zweieinhalbjährigen Jungen aus Hornberg-Niederwasser. Sie mussten Stunden um das Leben ihres vermissten Sohnes bangen.

Es ist der Albtraum aller Eltern: Das Kind spielt am späten Nachmittag friedlich auf dem recht abgelegenen Anwesen der Familie, das nah am Wald liegt. Und dann ist es plötzlich weg. Etwas mehr als eine Stunde lang suchen die Eltern nach ihrem Sohn. Um 17.45 Uhr setzen sie schließlich einen Notruf ab.

Temperatur am Gefrierpunkt

Schnell ist klar: Die Lage ist ernst. Ein Kleinkind wird vermisst, es ist Abend, bald bricht die Dunkelheit herein, es wird immer kälter und der angrenzende Wald ist groß. Aus der gesamten Region, von Offenburg bis nach Triberg, strömen Einsatzkräfte der Feuerwehr, der Polizei, des THW und des Roten Kreuzes nach Niederwasser. Auch ein Hubschrauber mit Wärmebildkamera, Spürhunde, Drohnen und Taucher werden beordert.

In der Nähe des Orts, an dem der Junge verschwand, entsteht auf einer Wiese eine Leitstelle. Mit Generatoren wird Strom für Licht und elektrische Geräte erzeugt. Es gibt kein Funknetz, sodass die Feuerwehr einen provisorischen Funkmast errichtet. Der stellvertretende Kreisbrandmeister Nils Schulze übernimmt die Einsatzleitung. Die Eltern werden daheim psychologisch betreut.

Um 18.30 Uhr meldet sich ein Jagdpächter bei der Polizei. Eine seiner Wildtierkameras hat das vermisste Kind erfasst. Damit können die Rettungskräfte die Gegend einschränken. Dennoch gleicht die Suche nach dem Jungen der nach einer Nadel im Heuhaufen. Mittlerweile ist es dunkel geworden und die Temperaturen nähern sich dem Gefrierpunkt.

Kurz vor 21 Uhr ist die Wiese von Blaulicht hell erleuchtet. Es wimmelt von Menschen in Warnwesten. Auch Hornbergs Bürgermeister Marc Winzer ist eingetroffen. Er trägt eine Pudelmütze, ist blass und besorgt. „Das ist das erste und hoffentlich letzte Mal, das wir so etwas erleben“, sagt er und zeigt sich gleichzeitig überwältigt von der Professionalität der Rettungskräfte.

Der Hubschrauber, der zwischenzeitlich zum Auftanken abdrehen musste, ist inzwischen wieder da. In der Dunkelheit ist außer seinem Positionslicht nichts von ihm zu sehen. Minutenlang steht er über der gleichen Stelle. Sein monotones Brummen vermischt sich mit den Stimmen der Helfer. Seit Stunden durchkämmen sie den Wald. Insgesamt müssen 2,5 Quadratkilometer abgesucht werden. Auch ein Weiher wird ausgepumpt, Taucher suchen im Wasser nach dem Kind.

Kurz vor 22 Uhr füllt sich die Wiese plötzlich mit Zivilisten, die sich als Helfer melden. Sofern sie sie nicht selbst mitgebracht wurden, statten THW und Feuerwehr die Spontanhelfer mit Warnwesten sowie Taschenlampen aus und teilen sie in Gruppen ein: Ein Feuerwehrmann geht mit vier bis acht Zivilisten auf die Suche. Während die Gruppen sich finden, werden im Hornberger Rathaus Karten ausgedruckt. „Wundert euch nicht, wenn ihr auf eurer Tour einem anderen Team begegnet“, sagt der THWler, der sich um die Koordination der Helfer kümmert: „Wir lassen jeden Abschnitt mehrmals absuchen, damit auch nichts übersehen wird.“

Die erste Truppe macht sich auf den Weg, der Wald verschluckt bald den Schein ihrer Taschenlampen. Es ist kurz vor 23 Uhr, die Wiese leert sich, nur noch zwei Teams hören sich ihre finale Einweisung an. Mitten im Satz stockt der THWler und lauscht auf sein Funkgerät. „Gerade habe ich erfahren, dass alles, was ich gesagt habe, hinfällig ist. Der Junge wurde gefunden“, erklärt er. Es folgt geschockte Stille. Alle drehen sich verwirrt um, schauen fragend in die Gesichter der anderen – dann fällt innerhalb eines Sekundenbruchteils die Anspannung wie ein Vorhang. Viele fallen sich in die Arme, manchen stehen Tränen in den Augen.

Der Bub wartet am Wegesrand

Bald macht es die Runde: Drei Polizisten haben den Jungen mit Unterstützung des Hubschraubers an einem Waldweg gefunden. Instinktiv hatte er genau das Richtige getan: sich hingesetzt und auf Rettung gewartet. Und er scheint unversehrt und wohlauf. Das bestätigt bald auch ein Notarzt. Seine erleichterten Eltern können ihn wieder in die Arme schließen.

Hornbergs Bürgermeister Marc Winzer dankt den Spontanhelfern noch in der Nacht: „Das hier will keiner von uns noch einmal erleben. Dennoch bin ich stolz darauf, dass so viele gekommen sind. Jeder einzelne von Ihnen verdient Respekt und Anerkennung“, sagt er. Auch Kreisbrandmeister Bernhard Frei lobt neben den Einsatzkräften die Freiwilligen aus der nahen und fernen Umgebung: „Ich habe überhaupt nichts gegen solche Freiwillige, sofern ihr Einsatz koordiniert abläuft. Und diese hier haben super mitgemacht.“