Eine Gefahr für die Allgemeinheit, so sieht das Rottweiler Landgericht einen 48-Jährigen aus einer Gemeinde im Landkreis Tuttlingen, der wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt ist. Beim Prozess geht es darum, ob er in einer psychiatrischen Klinik untergebracht wird.

Der Tatvorwurf

Er soll in der Nacht des 30. Juni 2019 seinen Nachbarn unvermittelt und ohne Vorwarnung mit einer Porzellanscherbe angegriffen und erheblich verletzt haben. Der Nachbar wurde unter dem rechten Auge getroffen, dabei sind auch Nerven durchtrennt worden, weswegen er heute noch Schmerzen und ein Taubheitsgefühl hat.

Die Staatsanwaltschaft sieht die Tat so: Der 48-Jährige soll einen Blumentopf im Hausgang umgeworfen haben. Mit der Scherbe des Untersetzers in der Hand habe er auf den Nachbarn gewartet, der wegen des Lärms vor die Tür kam. Dann habe er zugeschlagen.

Mann war lange verhandlungsfähig

Der 48-Jährige leide an einer paranoiden Schizophrenie und sei alkoholisiert gewesen. Oberstaatsanwalt Michael Gross sprach auch von Polytoxikomanie, was einen Mischkonsum verschiedener Drogen bedeutet. Von dem Mann seien weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, deshalb sei er für die Allgemeinheit gefährlich.

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Dass der Prozess erst jetzt stattfindet, erklärte der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer. Das liege an der Krankheit des Mannes, den der psychiatrische Sachverständige Ralf Kozian im Vorfeld untersucht hatte. Er sei deshalb lange nicht verhandlungsfähig gewesen.

Unterbrechungen und Verständigungsprobleme

Auch jetzt musste die Verhandlung jede Stunde unterbrochen werden und länger als vier Stunden darf nicht verhandelt werden. Die Lebensgeschichte des Mannes war schwer zu ergründen, denn er spricht sehr leise und undeutlich. Er könne Deutsch, betonte er, doch nach kurzer Zeit bestand Richter Münzer darauf, dass er seine Kopfhörer aufsetzte und über die Dolmetscherin kommunizierte. Was die Sache nicht einfacher machte, denn auch die Dolmetscherin verstand ihn auch nicht gut, immer wieder forderte ihn der Vorsitzende auf, doch lauter zu sprechen.

Schwierige Kindheit

An vieles aus seiner Kindheit erinnerte sich der 48-Jährige nicht mehr, auch nicht daran, dass sein Bruder als Kind aus dem sechsten Stock des Wohnhauses stürzte. Der Bruder überlebte, hat aber, so war schließlich zu hören, vor ein paar Jahren Selbstmord begangen. Eine Schwester lebt noch, sie ist stumm und auch körperlich behindert, die Mutter pflegt sie.

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Er selbst helfe seiner Mutter, betonte der Angeklagte. Er kümmere sich um den Hund und arbeite auch im Garten. Eine Arbeit hat er nicht und lebt in einer Wohnung, die ihm die Mutter gekauft hat. Er bekommt Sozialhilfe. Nach einer Berufsvorbereitung in Tuttlingen wollte er KfZ-Mechaniker werden, fand allerdings keine Ausbildungsstelle.

Darum machte er einen Kurs zum Schweißer, arbeitete aber nicht lange in dem Beruf. Er habe 1996 angefangen, Heroin zu nehmen, zunächst habe er es geschnupft. Nach einem Jahr habe er die Droge intravenös genommen. An die genauen zeitlichen Abläufe konnte er sich nicht mehr erinnern.

Drogen- und Alkoholprobleme

Sechseinhalb Jahre saß er insgesamt im Gefängnis, mehrere Therapien habe er gemacht, Heroin nehme er heute nicht mehr. Dafür habe er vor acht Jahren mit Alkohol angefangen. Eine Flasche Wodka habe er täglich getrunken. Aber auch damit habe er nach der Tat im Juni 2019 aufgehört.

Doch offenbar hat er auch dabei Erinnerungslücken, denn Rechtsanwalt Bernhard Mußgnug, der den verletzten Nachbarn als Nebenkläger vertritt, berichtete von einer Verkäuferin, die ihn erst vor einigen Tagen dabei beobachtet hatte, wie er Wodka kaufte. Eigentlich habe der 48-Jährige in dem Laden Hausverbot, so Mußgnug.

Der Angeklagte betonte, das Hausverbot sei zehn Jahre her und damit nicht mehr gültig, doch das wiederum ließ Mußgnug nicht gelten. Auf die Frage von Richter Münzer, ob er von seiner Krankheit wisse und sich damit beschäftigt habe, meinte der Angeklagte, er habe Rückenschmerzen und könne daher nachts schlecht schlafen. „Das ist dann wohl ihr kleinstes Problem“, so der Vorsitzende trocken.

Stimmen im Kopf

Er höre immer wieder Stimmen, erklärte der 48-Jährige dann. Irgendwelchen Unsinn sagten sie zu ihm, „und wenn sie mir Befehle geben, mache ich es nicht“. Der verletzte Nachbar berichtete, dass er wegen des Lärms zur Tür gegangen sei. Seine Frau hätte ihn gebeten, nicht zu öffnen, „aber ich dachte, vielleicht braucht jemand Hilfe“.

Völlig unvermittelt habe der Angeklagte auf ihn eingeschlagen, ohne Vorwarnung, erzählte der Mann. Der Nachbar sei ihnen unheimlich gewesen, manchmal sei er „wie ein Soldat“ auf dem Gehweg gegangen, auch auf dem Balkon. Dabei habe er vor sich hin geschimpft und geflucht, es habe ausgesehen, als ob er in ein Funkgerät spreche. Und er habe ihn mehrfach im Hausgang stehen sehen, mit dem Gesicht zur Wand. Aber Streit habe es keinen gegeben.

Der Prozess wird am Donnerstag, 22. September, fortgesetzt. Das Urteil fällt voraussichtlich am Donnerstag, 6. Oktober.