Die Liberalen in Baden-Württemberg gestehen dem Bundestagsabgeordneten Marcel Klinge offenbar keine zentrale Rolle mehr zu. Bei einer Wahlkampfveranstaltung der Freien Demokraten des Landes am Donnerstag im Café des Konzerthauses Franziskaner durfte Klinge die Begrüßung übernehmen und musste sich anschließend ins Publikum setzen.
Klinge, der seit vielen Jahren Kommunalpolitik für die FDP in VS und im Landkreis macht, ist seit 2017 Mitglied des Bundestags. Er ist zudem bei der Abstimmung zum Deutschen Bundestag am 26. September der Wahlkreiskandidat der FDP für Schwarzwald-Baar und das obere Kinzigtal. Klinge verzichtete im Herbst 2020 von sich aus auf einen Listenplatz im Land, nachdem klar geworden war, dass für ihn wohl nur eine aussichtslose Platzierung übrig bleiben würde.

Diese Konstellation wurde am Donnerstag überdeutlich. Auf vier Hockern im Rampenlicht hatten die Parteistrategen Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke, den baden-württembergischen Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl, Michael Theurer und die Landesgeneralsekretärin Judith Skudelny vorgesehen. Und: Andreas Anton, Direktkandidat aus dem benachbarten Bundestagswahlkreis Rottweil-Tuttlingen, bekam den vierten Bühnenplatz. Für den Direktkandidaten des Wahlkreises 286, Marcel Klinge, war offenbar kein ausführlicher Auftritt vorgesehen.
Klinge gab als Conférencier an dem Abend ein gutes Bild ab. Schon zuletzt hatte er unterstrichen, dass er trotz seines parteipolitischen Schicksals „einen engagierten Wahlkampf für die Partei“ zu machen gedenke, wie er sich vor Wochen gegenüber dieser Redaktion ausgedrückt hatte. Beruflich hat Klinge seine eigene Neupositionierung längst eingeleitet. Er will sich dem Thema Gastronomie und Tourismus mittels zweier neu gegründeter Organisationen widmen.
Vorfahrt für den Kandidaten aus Rottweil-Tuttlingen in Villingen
Statt Klinge durfte in Villingen demonstrativ Andreas Anton den Abend der Landes-FDP eröffnen. Der 37-Jährige meinte, die Liberalen seien „eine Umweltschutzpartei“. Sie dürfe „sich dieses Thema nicht von den Grünen wegnehmen lassen“. Er forderte „eine Entbürokratisierung“ im Land und zeichnete ein düsteres Bild anhand der Wahlziele der politischen Konkurrenz. Konkret verwies er dabei auf die seiner Auffassung nach drohenden Faktoren wie Verschärfungen bei „Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer. Er prognostizierte zudem einen „Verlust von Millionen Arbeitsplätzen in Deutschland“ angesichts der Mobilitätswende.
Judith Skudelny sprach nach Anton. Die Mutter zweier Kinder attackierte unter anderem die deutsche Bildungspolitik: „Bund und Land haben es nicht geschafft, den Kindern die Bildung zu geben, die sie verdient hätten“. formulierte sie. Dass die FDP im Bund aufs Mitregieren verzichtet hatte, ließ sie unerwähnt.
Theurer bricht Lanze für Pflegekräfte und Ärzte
Michael Theurer geißelte die Zustände im Land, es könne nicht sein, dass „Pfleger und Ärzte zunehmend nicht mehr bei uns arbeiten wollen“, sagte er angesichts oft attraktiverer Arbeitsbedingungen im Ausland. Er forderte Gegenmaßnahmen in Form von besserer Entlohnung und niedrigerer Besteuerung, etwa bei Sonn- und Feiertagsarbeit. „Deutschland kann das besser“, stellte er fest. Für die Unternehmer im Land packte er dieses Bonbon aus: Sie müssten die Möglichkeit bekommen, Verluste aus der Coronazeit rückzuverrechnen – mit bereits geleisteten Steuerzahlungen.
Bei der Bildungspolitik griff der liberale Landesvorsitzende die baden-württembergische Grünen-Ministerin Theresia Bauer namentlich an: „Ich verstehe es nicht, dass bei uns die Schulen und Universitäten nicht flächendeckend mit Raumlüftern ausgestattet wurden“, sagte er. Dass das einfache Lüften von Schulräumen auch von Experten als effektiver eingeschätzt wird als der Einsatz von Raumlüftern, behielt er offenbar lieber für sich. Für Theurer ist „das Wichtigste, dass mit der Bundestagswahl am 26. September nicht Rot-Rot-Grün kommt“, wie er formulierte. Theurer prognostizierte einen Wahlausgang, der „die SPD nicht so stark wie jetzt erwartet und die CDU nicht so schwach wie befürchtet“, erleben wird.
Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke machte es kurz und deftig an diesem Abend in Villingen. Die Grünen kandidierten „im Land nur mit den CDU, weil die den Linksruck mitmachen“, höhnte er. Und man müsse sich, so Rülke weiter, „ja schon einmal fragen, was passiert wäre im Land, wenn die Grünen beispielsweise mit der Linkspartei koaliert hätten, wie es seiner Auffassung nach im Bund drohen würde. Denn so, der Landesfraktionschef, gäbe es „in Baden-Württemberg wenigstens weniger Staatssekretäre als jetzt, weil die Linkspartei ja weniger zu versorgende Funktionäre hätte“, ulkte er spitz und unter Beifall des sichtlich zugeneigten Publikums.
Wie es Marcel Klinge mit seiner Rolle ging
Nicht einmal ein Schlusswort blieb für Marcel Klinge als Gastgeber dieser Veranstaltung des FDP-Landesverbands. Klinge sagte am Freitag zum SÜDKURIER auf Nachfrage: „Ja, ich hätte gerne mehr gesagt.“ Er vermied aber jeglichen Seitenhieb und betonte, dass „wohl aus Gründen der Corona-Abstandsregeln nicht mehr Platz auf der Bühne gewesen sein könnte“. Und dann ganz ehrlich: „Natürlich hätte ich mich da auch gerne dazugesetzt.“ Klinge war am Freitag früh schon wieder für die Partei im Schwarzwald unterwegs. „So muss das sein“, sagte er ohne vernehmbare Bitternis.
Was die Menschen bewegt
Wir haben Menschen aus der Region vor der Videokamera gefragt: „Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?“ Die Antworten können Sie im folgenden Video ansehen.
