In Ruth Kellers Büro fließen oft Tränen. Über Geld spricht man nicht, heißt es. Wenn Menschen aber in ihr Büro kommen, geht es immer ums Finanzielle. Ruth Keller ist Schuldnerberaterin beim Landratsamt. Seit 2009 berät die Diplom-Verwaltungswirtin Menschen in Notlagen.
Mehr als nur Geldsorgen
„Viele denken, als Schuldner geht man eben in die Privatinsolvenz und die Sache ist erledigt“, sagt Ruth Keller. Hinter der Schuldenproblematik stecke häufig noch viel mehr. Schwierigkeiten mit der Familie, dem Arbeitgeber, dem Partner – und manchmal auch mit der Justiz.

Die Wartezeit für einen persönlichen Termin beträgt etwa fünf Monate. Seit Beginn der Coronakrise haben die Anfragen zugenommen. Ruth Keller bezweifelt, dass das allein an finanziellen Einbußen, etwa durch Kurzarbeit, liegt. Viele hätten im ersten Lockdown nicht nur materiell ausgemistet, sondern sich auch an bis dahin nicht gelöste Probleme gewagt – wie ihre Schulden. Wer alleine nicht weiterkommt, findet Hilfe bei einer Schuldnerberatung, etwa bei der Diakonie, der Caritas oder eben beim Landratsamt. „Ich kann meinen Klienten einen Fahrplan zur Lösung an die Hand geben“, sagt Ruth Keller.
Erste Schulden mit 17
Einen solchen Fahrplan hält auch Stella Blanco Medrano aus Schwenningen seit Kurzem in der Hand. „Eigentlich hatte ich Schulden, seit ich 17 war“, sagt die junge Frau Mitte dreißig. „Ich habe nie gelernt, mit Geld umzugehen und so kam irgendwann das eine zum anderen.“ Sie zog früh zu Hause aus, finanzierte unter anderem Möbel über Kredite.
„Teilweise war das definitiv unnötig“, sagt sie rückblickend. Dennoch habe sie die Raten immer bezahlt. „Ich war nie arbeitslos. Im Gegenteil., ich habe teilweise sogar Nebenjobs angenommen.“ Bei ihr war eine langfristige psychische Erkrankung letztlich der Auslöser dafür, dass aus den oft als „bequem“ angepriesenen Raten ein Alptraum zu werden drohte.
Lange Leidenswege
Ruth Keller weiß, dass hinter vielen ihrer Klienten ein langer Leidensweg liegt. „Das schlimmste sind die existenziellen Ängste.“ Angst, nichts mehr im Kühlschrank zu haben, Angst, im nächsten Monat den Strom abgestellt zu bekommen. „Und das jeden Monat aufs Neue. Manche essen lieber nur trockenes Brot, als dass sie eine Rate nicht bezahlen.“ Viele Schuldner müssten 30 oder 40 Gläubiger bedienen. „Stellen Sie sich nur mal vor, wie da der Briefkasten aussieht.“
Ruth Keller ist es deshalb wichtig, zuerst eine Basis zu schaffen und grundlegende Fragen wie Miete, Nebenkosten, Unterhalt zu klären. „Dann haben die Klienten die Ruhe, um eine Schuldenregulierung durchzustehen.“
Krankheit soll kein Tabu sein
Bei Stella Blanco Medrano beginnen die Probleme, als sie im Jahr 2012 psychisch erkrankt. „Ich habe eine bipolare Störung“, sagt die Schwenningerin. Sie geht mit ihrer Erkrankung sehr offen um: „Psychisch Kranke sind auch Menschen und wollen gesehen werden.“

Psychiatrie als Rettungsanker
Die von starken Stimmungsschwankungen geprägte Erkrankung ist auch als „manisch-depressive Erkrankung„ bekannt, weil sich tief bedrückte und euphorische Phasen abwechseln. Der Aufenthalt in der Psychiatrie sei in den schlimmsten Phasen ihr Rettungsanker gewesen, sagt Stella Blanco Medrano.
Vier Mal wurde sie im Rottweiler Vinzenz-von-Paul-Hospital stationär behandelt. Zuletzt im vergangenen Frühjahr, nachdem ihre Zwillingsschwester einen Schlagfanfall erlitten hatte. Die schwere Erkrankung der Schwester, zu der sie ein inniges Verhältnis hat, warf Stella Blanco Medrano völlig aus der Bahn. „Das war das erste Mal, dass wir uns gegenseitig nicht helfen konnten“, sagt sie.
30.000 Euro Schulden
Dennoch wurde ihr geholfen: sowohl medizinisch als auch hinsichtlich ihrer Schulden, die sich auf rund 30.0000 Euro belaufen. In der Psychiatrie empfahl man Stella Blanco Medrano, sich an eine Schuldnerberatung zu wenden. Zu diesem Zeitpunkt drohten ihr die Verpflichtungen über den Kopf zu wachsen. „Bevor meine Schwester krank wurde, hatte ich eine neue Stelle angetreten und mir ein neues Auto gekauft“, schildert sie. Doch seit der schweren Erkrankung ihrer Schwester im September 2019 ist die junge Frau krank geschrieben.
Die Termine bei Ruth Keller waren für die alleinerziehende Mutter wie ein Befreiungsschlag. Dankbar denkt sie an das erste Treffen zurück. „Das war viel mehr als nur Schuldnerberatung, Frau Keller macht das mit ganzem Herzen“, sagt sie. Sie weiß inzwischen, wie wichtig es ist, Hilfe anzunehmen. „Nur so kann einem geholfen werden.“
Der Sohn steht im Mittelpunkt
Zu ihrem Netzwerk gehört auch der Vater ihres kleinen Sohnes. Zwar leben die beiden getrennt, doch sie verstehen sich gut und haben das gemeinsame Sorgerecht. Während der Klinikaufenthalte in Rottweil konnte der Kleine bei seinem Vater wohnen. „Wir wollen beide nur das Allerbeste für unser Kind.“
Und auch die Familienfinanzen sind auf einem guten Weg: Die gelernte Altenpflegerin wird in absehbarer Zeit schuldenfrei sein. Das Verbraucherinsolvenzverfahren wurde dank einer entsprechenden EU-Richtlinie von bisher sechs auf drei Jahre verkürzt.
Neuanfang, nicht Scheitern
Ruth Keller ist froh, dass sie mit Stella Blanco Medrano einer weiteren Klientin einen Weg aus den Schulden zeigen konnte. „Die Zusammenarbeit war toll“, sagt die Diplom-Verwaltungswirtin. Ihr Wunsch sei es, dass beim Thema Überschuldung und Verbraucherinsolvenz ein Umdenken stattfinde: Nicht das Scheitern, sondern der Neuanfang sollte im Mittelpunkt stehen, findet sie.
Der Blick nach vorne
Ein Neuanfang, wie ihn Stella Blanco Medrano gerade wagt. Mit ihrem Geld kommt sie gut zurecht, auch wenn sie Unterstützung vom Jobcenter erhält und große Sprünge derzeit nicht drin sind. „Ich nehme keine Kredite mehr auf“, sagt sie. „Ich habe genug für das, was ich zum Leben brauche. Und für alles andere spare ich.“ Sie blickt nach vorne, will wieder arbeiten, für ihren Sohn da sein. „Wichtig ist, dass man nach Leuten schaut, von denen man lernen kann und nicht nach solchen, die einen runterziehen.“
Wie die Schuldnerberatung helfen kann
- Hilfe finden: „Der Begriff Schuldnerberatung ist nicht geschützt“, sagt Ruth Keller. Die Vorbereitung für ein Verbraucherinsolvenzverfahren übernehmen dürfen nur anerkannte Stellen. „Es gibt aber längst ein Geschäft mit der Armut“, weiß Ruth Keller. Firmen, die etwa damit werben, dass sie keine Warteliste haben. Dafür seien ihre Dienste nicht kostenlos. „Von dem, was man bei den Firmen monatlich bezahlen muss, geht die Hälfte in die Verwaltung“, sagt Ruth Keller. Mit Warteliste, aber kostenfrei arbeiten hingegen öffentliche und kirchliche Beratungsstellen. Beim Landratsamt beträgt die Wartezeit momentan etwa fünf Monate.
- So wird den Menschen geholfen: Längst nicht jede Schuldnerberatung mündet in einem Verbraucherinsolvenzverfahren, sagt Ruth Keller. „Es gibt Anfragen, bei denen eine telefonische Beratung ausreicht, bei anderen ist eine intensive Schuldenregulierung nötig.“ Viele ihrer Klienten hätten die unbegründete Angst, dass ihnen „alles weggenommen“ werde. Hier greifen gesetzliche Schutzmaßnahmen wie das Pfändungskonto oder Aufstockung durch das Jobcenter.
- Verbraucherinsolvenz: Vor einem Insolvenzverfahren steht der außergerichtliche Einigungsversuch. „Ich versuche zunächst, mit allen Gläubigern einen Vergleich zu erzielen“, erklärt die Schuldnerberaterin. Lehnt nur einer der Gläubiger ab, gilt der Vergleich als gescheitert. Erst dann kann ein Verbraucherinsolvenzverfahren in die Wege geleitet werden, das vom Gericht per Beschluss eröffnet wird. Ebenso wird ein Insolvenzverwalter bestimmt, der unter anderem eine Tabelle erstellt, nach der die Gläubiger bedient werden. „Macht ein Gläubiger 50 Prozent der Schulden aus, erhält er von dem Betrag, der monatlich bezahlt werden muss, 50 Prozent.“ Wie viel abgegeben werden muss, orientiert sich an Einkommen und etwaigen Unterhaltspflichten, am Ende des Insolvenzverfahrens steht die Restschuldbefreiung. (ath)