Wer in Donaueschingen am Brigachufer entlanggeht, dem werden an einem Baum auf der an den Bahngleisen gelegenen Seite ein Strauß Blumen und eine Kerze auffallen. Sie liegen seit dem 9. März an Ort und Stelle. Sie erinnern an 77 Tage voller Hoffnung, Angst und Trauer.

Dabei handelt es sich um jenen Platz, an dem vor rund einem Jahr die Leiche des vermissten Dirk Brünker von Passanten entdeckt wurde. Für die Familie des Vermissten waren das 77 äußerst zehrende und anstrengende Tage. Sie haben Blumen und Kerze an der Brigach abgelegt, um sich an ihren Vater zu erinnern, wie der SÜDKURIER auf Anfrage erfährt.

Tochter Tamara Brünker erinnert sich noch gut an den Tag vor einem Jahr, als ihr Vater nach der endlos erscheinenden Zeit entdeckt wurde: „Ich habe über das Telefon von der Polizei erfahren, dass man jemanden gefunden habe und es höchstwahrscheinlich Papa ist.“ Sie sei dann zu ihrer Mutter gefahren, um es ihr persönlich zu sagen. „Da ist eine Last abgefallen“, so Brünker.

Die ewige Ungewissheit

Irgendwann sei nach so vielen Tagen der Gedanke gekommen, „was ist, wenn er nie mehr gefunden wird. Am Anfang stand das nie zur Debatte, wir haben nicht darüber nachgedacht. Aber man bekommt schließlich mit, dass es in Deutschland einige solcher Fälle gibt“, sagt Tamara Brünker. Ewig in Ungewissheit zu harren, „diesen Gedanken habe ich nicht weitergedacht. Ich konnte es nicht.“

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Nicht mehr nach Hause gekommen war der Vater am 23. Dezember 2022. Am Abend sei er in Villingen gewesen – und nie mehr zurückgekehrt. Als am Morgen jede Spur von ihm fehlt, herrschen unterschiedliche Gedanken bei der Familie: „Ich hatte sofort das Gefühl, dass etwas passiert ist“, erklärt Tamara Brünker.

Wo war Dirk Brünker?

Recht schnell habe sie auch erfahren, wo er in der Nacht zuvor gewesen sei. „Ich hatte mich nach einer stressigen Prüfungsphase auf die Weihnachtszeit und die Einkäufe gefreut.“ In der Stadt trifft sie Bekannte, spricht mit verschiedenen Leuten: „Es war schnell klar, wo er Abend gewesen war“, so Brünker. Beim Gasthaus Ott verliert sich die Spur ab 20 Uhr dann vorerst. Die nächsten Informationen gibt es erst am 26. Dezember, zwei Tage später.

Dann hat die Familie auch auf eigene Faust eine Suchaktion organisiert. Viele Menschen kommen, um dabei zu helfen. Schließlich sind Hunderte in der Region unterwegs und suchen nach Dirk Brünker, geben Informationen, schenken der Familie Hoffnung. Die Fäden laufen damals bei Sohn Kai Brünker zusammen. Er hat eine Karte ausgedruckt und bekommt laufend Informationen, wo überall schon gesucht wurde.

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Große Welle der Hilfsbereitschaft

„Man hat Schlimmes an Gerüchten gehört, aber wir haben in der Zeit auch viel Positives gesehen und viele gute Menschen erlebt“, sagt Tamara Brünker.

Polizisten sind am 3. Februar 2023 im Villinger Gewerbekanal auf der Suche nach Dirk Brünker.
Polizisten sind am 3. Februar 2023 im Villinger Gewerbekanal auf der Suche nach Dirk Brünker. | Bild: Hoffmann, Claudia

Teilweise über zwölf Stunden verbringen private Suchtrupps draußen in der Kälte. „Und es war ja auch der zweite Weihnachtsfeiertag. Da sitzen die Leute normal mit ihrer Familie zusammen.“ Aus der ganzen Region finden sich Helfer ein: „Es war überwältigend. Die Leute sind kilometerweit gelaufen“, so Brünker weiter. Der Vater wird jedoch nicht gefunden

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Diese Tage werden schließlich zu einem Auf und Ab der Gefühlswelt. Angst, Wut, Hoffnung – viele Gefühle vermischen sich: „Wir hatten Phasen, da waren wir uns sicher, dass er noch lebt. Das änderte sich aber auch.“ Innerhalb der Familie wächst man noch enger zusammen. Welche Gedanken auch kommen, es gibt Verständnis.

Es herrscht Leere – doch das Leben geht weiter

Was jedoch besonders schwerfällt zu verstehen: Man hat das Gefühl, die Welt bleibt stehen, wenn die Familie mit einem solchen Schicksal umgehen muss – aber das tut sie nicht: „Ich stand oft lange am Fenster und schaute nach draußen. Es ist gemein. Es passiert das Schlimmste, das man sich vorstellen kann, aber das Leben geht weiter wie bisher. Kaum ist man aus dem Haus, ist alles normal“, erklärt Tamara Brünker. Und das, während in einem selbst Leere und Dunkelheit vorherrschen.

Polizei und Feuerwehr sind am Donnerstagmittag, 9. März 2022, im Einsatz an der Brigach. Dort wird der leblose Körper von Dirk Brünker ...
Polizei und Feuerwehr sind am Donnerstagmittag, 9. März 2022, im Einsatz an der Brigach. Dort wird der leblose Körper von Dirk Brünker entdeckt. | Bild: Simon, Guy

Im Alltag habe man funktioniert, für Kinder, Familie, Arbeit. „Es ist Wahnsinn, welche Mechanismen der Körper ins Laufen bringt, um einen zu schützen. Man schaltet in einen Überlebensmodus“, erklärt sie.

Trauer mischt sich mit Erleichterung

Daher auch die ungeheure Erleichterung, als die Ungewissheit verschwunden ist. Mittlerweile gibt es einen Ort, da ist der Papa, der Opa: „Uns allen tut es gut, dass wir einen Ort haben, an den wir gehen können und wissen: Hier ist er.“ Zu wissen, dass er irgendwo da draußen sei, „der Gedanke war ganz schlimm und unerträglich“.

Die Unwissenheit ist es, die nagt. Deshalb sammelt die Familie alles an Informationen, was sie bekommen kann und hofft auf zeitnahe Einsicht aller Akten zu dem Fall, um offene Fragen zu beantworten.

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Wenn Tamara Brünker ihren Vater heute sehen will, dann schaut sie sich auf dem Handy Bilder und Videos von früher an, oder besucht ihn auf dem Friedhof. Und auch die jungen Enkelkinder beschäftigen sich mit dem Opa: „Das Grab ist wie ein Briefkasten für Nachrichten an ihn“, erklärt die Tochter. Die Kinder haben außerdem Bilder gemalt, die mit einem Helium-Ballon in den Himmel geschickt wurden. Dort, wo Opa jetzt ist.