Applaus aus dem Zuschauerbereich, Umarmungen und glückliche Gesichter: Die Befürworter der Stolpersteine machten aus ihre Freude keinen Hehl, als Oberbürgermeister Jürgen Roth den rund 100 Zuhörern das Ergebnis der Abstimmung bekannt gab.

Mit 24 Ja-Stimmen, 14 Gegenstimmen und einer Enthaltung hat sich der Gemeinderat mit einer deutlichen Mehrheit für das Verlegen von Stolpersteinen in der Doppelstadt ausgesprochen.

In einer emotionalen Rede warb Grünen-Stadträtin Constanze Kaiser – Lehrerin an einer Gemeinschaftsschule und Gründungsmitglied des Vereins Pro Stolpersteine – um Unterstützung für den fraktionsübergreifenden Antrag. Mit stellenweiser stockender Stimme berichtete sie von ihren Erfahrungen bei einem Besuch im Konzentrationslager Auschwitz.
„Die arbeitsteilig geplante und industriell durchgeführte Ermordung von so vielen Menschen ist eine Grausamkeit besonderer Art, die wir Nachgeborenen niemals vergessen dürfen“, sagte sie. „Die Geschichten der Opfer hier in unserer Stadt gehen unter die Haut.“
So haben die Stadträte abgestimmt
Der Stadt fehlt ein sichtbares Erinnern
Sie prangerte an, dass es in der Stadt an sichtbarem Erinnern mangelt: Dass Villingen eine mittelalterliche Stadt ist, sehe man an Stadtmauer, Toren und Türmen und dass die Industrialisierung Schwenningen geprägt hat, sehe man etwa am Uhrenmuseum. „Aber dass man auch hier bei uns einmal vergessen hat, was Zivilisation heißt und Menschen unter anderem wegen ihres Glaubens in den Tod geschickt hat, das sehen wir nicht.“
Als einzige Fraktion stimmte die AfD geschlossen gegen den Antrag. „Ich bin überzeugt, dass die Mehrheit der Bürger in unserer Stadt gegen die Stolpersteine sind“, begründete Stadtrat Olaf Barth die ablehnende Haltung seiner Fraktion. Die vom Verein Pro Stolpersteine getriebene Diskussion spalte die Stadt, sagte er und sprach deshalb von „Spaltersteinen“.
Die AfD sei nicht gegen das Gedenken, aber „gut gemeint ist nicht unbedingt gut gemacht“. Er gab zudem zu bedenken, dass sich unter anderem die Israelitische Kultusgemeinde Rottweil-Villingen-Schwenningen gegen Stolpersteine ausgesprochen habe. Auch DLVH-Stadtrat Jürgen Schützinger sprach sich gegen die Verlegung von Stolpersteinen aus.
Zwei nachträgliche Unterstützer
Neben den 22 anwesenden Unterzeichnern des Antrags – Stadtrat Marcel Klinge war abwesend – stimmten OB Jürgen Roth und Gudrun Furtwängler von der CDU für den Antrag. CDU-Stadtrat Klaus Martin enthielt sich.
Der lange Weg zu Stolpersteinen in VS
Seit fast 20 Jahren wird in Villingen-Schwenningen über das Thema Stolpersteine diskutiert. Verlegt wurden die Gedenksteine bis heute nicht. Sie sind Teil eines Kunstprojektes von Gunter Demnig, das 1992 begann. Europaweit wurden bereits mehr als 75 000 dieser speziellen Pflastersteine vor Häusern von Nazi-Opfern verlegt.
- 2004: Der erste Anlauf von Befürwortern scheitert erstmals im Jahr 2004 im VS-Gemeinderat.
- 2013: Am 13. November lehnt das Gremium den Vorschlag einer ökumenischen Initiative, Stolpersteine zu verlegen, erneut ab. Mit 18 zu 16 Stimmen sowie bei zwei Enthaltungen ist das Ergebnis denkbar knapp. 200 Besucher hatten in der Sitzung die emotional geführte Debatte mitverfolgt.
- 2014: Im Januar macht ein Kunstprojekt auf sich aufmerksam. Abiturienten verlegen auf einer Internetseite „virtuelle Stolpersteine“ zur Erinnerung an die Holocaust-Opfer in Villingen. Das Kunstprojekt wird wenig später mit dem Joseph-Haberer-Preis ausgezeichnet. Im Mai 2014 gründen 16 Mitglieder den Verein Pro Stolpersteine, mit dem Ziel, sich gegen das Vergessen zu engagieren. Regelmäßig werden Mahnwachen organisiert.
- 2019: Mitte November bringen 23 Stadträte von Bündnisgrünen, SPD, FDP, CDU und Freie Wählern einen überfraktionellen Antrag ein, erneut über das Thema abzustimmen. (jef)