In seinem Buch „Villingen 1945 – Bericht aus einer schweren Zeit“ bringt es Hermann Riedel nüchtern auf den Punkt: „Mit Ablauf des 20. April war auch für die Bevölkerung der Stadt Villingen das Dritte Reich abgeschlossen.“
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Einmarsch der Franzosen
Der Einmarsch der Franzosen an jenem Freitag vor 75 Jahren markierte nicht nur das Kriegsende, sondern läutete auch das Ende des Kriegsgefangenenlagers Stalag (Stammlager) VB ein. Wer wurde hier gefangen gehalten? Wo mussten die Menschen arbeiten? Eine Spurensuche.
- Ein neues Quartier entsteht: Ein großes Schild an der Ecke Richthofenstraße/Kirnacher Straße verkündet es: Im Bereich des ehemaligen Kasernenareals Lyautey entsteht das neue Wohnquartier „von Richthofen-Park“ mit 330 neuen Wohnungen. Damit erinnert das Quartier zwar an den „Roten Baron“ Manfred von Richthofen, den erfolgreichsten Jagdflieger des Ersten Weltkriegs. Keine Erwähnung findet derzeit die Vergangenheit des Geländes, als sich hier im Zweiten Weltkrieg, in der Nachbarschaft zur Saba, das Kriegsgefangenenlagers Stalag VB befand. In den Jahren 1913/1914 war hier die Villinger Kaserne gebaut worden, die in den 20er Jahren den Namen Richthofen-Kaserne erhielt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Gelände von der französischen Besatzungsmacht als Lyautey-Kaserne genutzt.
- Zwangsarbeit: Auf dem Lyautey-Gelände, dort, wo sich viele Jahre lang die Panzer-Hangars standen, lebten die Gefangenen in einfachen Holzbaracken. Vom Stalag aus wurden sie zu Arbeitseinsätzen in Handwerks- und Industriebetriebe sowie in der Landwirtschaft gebracht. Neben dem Stammlager gab es mehrere Außenstellen, so etwa das Industriegemeinschaftslager für „Ostarbeiter“ in der Rietheimer Straße. Das größte jedoch war das Stalag mit einer zeitweisen Maximalbelegung von 4000 Menschen. „Villingen hatte damals rund 18 000 Einwohner“, sagt Friedhelm Schulz. „Rechnet man das auf die heutige Einwohnerzahl um, wären es 20 000 Kriegsgefangene.“ Schulz kennt sich auf dem Gelände gut aus, wenngleich aus anderen Gründen: Als Jazz-Experte und Vorstandsmitglied des Fördervereins MPS Studio Villingen verbringt er viel Zeit in denen in direkter Nachbarschaft gelegenen Räumen, die im Jahr 2010 als „Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung“ eingestuft wurden.

- Wirtschaft profitierte: „Saba, Kienzle, Binder oder auch Kaiser Uhren – die gesamte regionale Wirtschaft hat von den Kriegsgefangenen profitiert“, sagt Friedhelm Schulz. Ab 1940/41 hatte die Saba Aufträge der Wehrmacht erhalten. „Die Nachfrage nach Radiogeräten ging im Zweiten Weltkrieg stark zurück“, weiß Friedhelm Schulz. „Da kamen die Aufträge natürlich gelegen, um die Mitarbeiter zu halten.“ Die hochwertigen Produkte aus Villingen waren auch für die Kriegswirtschaft von Bedeutung. „Mit Sicherheit wurden Saba-Produkte im funktechnischen Bereich eingesetzt.“
- Einsatz in Betrieben und auf Höfen: Nicht nur große Firmen profitierten von den Gefangenen. Viele von ihnen wurden auf kleinen Bauernhöfen und in Handwerksbetrieben eingesetzt; manchmal schliefen sie auch bei den Gastfamilien, heißt es im 2017 erschienenen Buch „Geschichte der Stadt Villingen-Schwenningen Bd. II“. Die Behandlung der Fremdarbeiter sei dabei sehr unterschiedlich gewesen. Einerseits seien die Menschen zum Teil schwer misshandelt worden, andererseits wurde auch davon berichtet, wie den Menschen von den Einheimischen Brot oder Kleidung zugesteckt wurde. An Flucht sei kaum zu denken gewesen. „Man kann davon ausgehen, dass sich die Gefangenen an die Regeln hielten“, sagt Schulz. „Wären sie geflohen, wären sie sofort aufgefallen.“
- Gegen das Vergessen: Friedhelm Schulz fürchtet, dass die Vergangenheit des Geländes im Zuge der Neubebauung in Vergessenheit gerät. „Ich fände es gut, wenn man im Bereich des ehemaligen Lagers ein Hinweisschild oder etwas in der Art aufstellen würde. Wenn dort erst einmal der Richthofen-Park steht, interessiert das Thema keinen mehr.“ Mit dem Verschwinden der militärischen Einrichtungen stelle irgendwann auch niemand mehr Fragen.