Herr Früh, 33 Menschen sind bislang bei uns in Folge einer Corona-Infektion gestorben. Weshalb haben sie es nicht geschafft?

Bei den meisten bestanden fortgeschrittene, schwere Vorerkrankungen wie Krebs oder chronische Lungenkrankheiten oder eine hohes Alter. Der Altersschnitt der Verstorbenen liegt bei den im Kreis Verstorbenen bei 80 Jahren. Einer der Verstorbenen war noch im Erwerbsalter und aus unserer Sicht durchaus fit, hatte eine Skiausfahrt in Ischgl unternommen. Er hatte keine wesentlichen Vorerkrankungen. Es traten hier krankheitsbedingte Komplikationen während der Langzeitbeatmung auf. Das Geschehen war nicht mehr beherrschbar. Das ist sehr tragisch.

Familien dürfen jetzt wieder feiern. Wie riskant ist das eigentlich, etwa für Senioren aber auch für alle anderen, wenn der Geburtstagskuchen auf dem Tisch steht und alle singen?

Wir raten noch davon ab, dass Senioren uneingeschränkt an Feiern teilnehmen. Bei 20 Personen im Wohnzimmer habe ich große Bedenken. Aber: Unsere jetzt geringen Fallzahlen rechtfertigen die vorsichtige Öffnung für Jüngere. Problematisch ist es weiterhin, wenn Personen, die bereits leichte grippale Beschwerden haben, unbedacht ausgehen und an derartigen Veranstaltungen teilnehmen.

War es aus Ihrer Sicht richtig, das Klinikum radikal herunterzufahren?

Ja. Aus der Sicht der Lage im März war das richtig und verantwortungsvoll. In der heutigen Nachbeurteilung war das radikale Herunterfahren überzogen. Die vorgehaltenen Kapazitäten mit über 100 Corona-Behandlungsplätzen wurden auch in der Spitzenzeit nicht ausgefüllt. Vor Ostern war aber die Sorge groß, dass die Vorhaltungen nicht mehr lange ausreichen. Wir konnten die Entspannung nach den Ostertagen damals nicht absehen. Klar ist, dass die Berichte aus Bergamo und dem Elsass bei uns berechtigte Ängste ausgelöst haben. Die Entscheidung, das Klinikum herunterzufahren, bleibt nachvollziehbar.

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Die Krankenhaus-Struktur wurde bei und längst radikal verändert. Die Kliniken St. Georgen und Furtwangen sind entfallen, das Donaueschinger Haus ergänzt das große Schwarzwald-Baar Klinikum. Hat sich diese Struktur bewährt oder war sie zu wenig kleinteilig?

Es kann keinen Weg zurück in die früheren regionalen Krankenhausstrukturen geben. Kleinere Krankenhäuser können wichtige Fachdisziplinen wie Onkologie, Kardiologie, Neurologie nicht unter einem Dach vorhalten. Wir benötigen sie für die Notfallbehandlungen, etwa bei Schlaganfällen oder Herzinfarkten. Die Begrenzung einer unbekannten Seuche in einem Großklinikum ist problematisch. Deshalb übernahm das Lungenzentrum am Zweitstandort in Donaueschingen die Covidstation. Coviderkrankungen sind zunächst keine Notfallerkrankungen, die schwerwiegenden Symptome kommen nach sieben, acht Tagen und beginnen zumeist mit Atembeschwerden. Es bleibt ausreichend Zeit ein Zentralklinikum zu erreichen.

Woran würden wir denn frühzeitig erkennen, wenn es demnächst mit einer zweiten Welle losgeht? Was wird bei der nächsten Virus-Lage anders praktiziert?

Wir haben da nur die Meldungszahlen der nachgewiesenen Fälle zur Verfügung. Diese rechnen wir auf den sogenannten 7-Tages-R-Wert auf 100.000 Einwohner hoch. Die Fallzahlen sind seit Wochen auf niedrigem Niveau mit nur leichten Schwankungen. Derzeitig sind das keine Anzeichen für eine zweite Welle.

Was braucht Ihre Behörde künftig? Wieviele Mitarbeiter wurden Ihnen zuletzt beigeordnet?

Wir liegen bislang mit unseren Fallzahlen etwa 20 Prozent unter dem Landesschnitt. Daher kamen wir mit den vorhandenen Kräften und der Unterstützung durch die Ämter des Landratsamtes noch zurecht. Alle Tätigkeiten, die nicht essentiell sind, wurden pausiert. Dennoch fielen erhebliche Überstunden an. Verstärkt werden wir mittlerweile durch RKI-Scouts. Diese werden bei der Ermittlung der Kontaktpersonen eingesetzt. Wir haben jetzt eine Aufstockung auf vier Scouts in Aussicht. Im Fall einer zweiten Welle können wir zudem unseren 30 Stellen umfassenden Mitarbeiterstamm mit derzeitig geschulten Kräften des Landratsamtes kurzfristig verdoppeln. Dazu wurde ein weiteres Ermittlungsbüro in räumlicher Nähe zur Aufnahme dieser Kräfte eingerichtet und ausgestattet.

Sind jetzt genügend Masken und Desinfektionsmittel in der Region eingelagert? Dies war ja zuletzt nicht der Fall. Der Kreis musste Notkäufe in China tätigen.

Die Versorgung ist jetzt ausreichend. Es gibt keine Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Hauben, Handschuhen, Masken, Anzügen. Die Qualität des Angebotes der Schutzmittel hat sich zudem gebessert.

Das Gesundheitsamt des Landkreises teilte in den ersten Monaten täglich und jetzt wochentäglich die Corona-Zahlen mit. Sie benennen dabei auch die Anzahl der genesenen Menschen. Wie gesund sind denn die Betroffenen nach einem Positiv-Test genau?

Die Genesenen sind größtenteils vollständig gesundet. Einige hatten am Ende der Quarantänezeit immer noch Atembeschwerden oder Erschöpfungssyndrome. Etwaige Langzeitschäden können wir nicht erfassen. Sie sind leider nicht meldepflichtig.

Schwarzwald-Baar hat im Vergleich zu Hochrhein, und Konstanz oder Bodenseekreis deutlich höhere Infektionszahlen. Woran liegt das?

Sie schauen auf der Karte in die falsche Richtung. Corona entwickelte sich im Land nicht flächendeckend gleich. Die Fallzahlen pro 100.000 Einwohner sind im Bodenseekreis, den Landkreisen Waldshut und Konstanz niedriger als im Landesvergleich. Ich denke, hierzu hat die Schließung der Grenzen beigetragen. Die Fallzahlen in den nördlich angrenzenden Kreisen liegt deutlich höher. Die Infektionszahlen im Kreis liegen bislang etwa 20 Prozent unter dem Landesdurchschnitt und etwa 35 Prozent unter dem Schnitt der Region.

Würden Sie es begrüßen, wenn nun mehr getestet werden könnte? Wer vor allem sollte aus Ihrer Sicht getestet werden?

Jetzt bei den niedrigen Fallzahlen macht eine flächendeckende Testung keinen Sinn. Dazu muss man die erheblichen Kosten sehen. Kontaktpersonen und Krankheitsverdächtige sind unbedingt weiterhin schnell und gegebenenfalls wiederholt zu testen. Sinnvoll ist zudem, immer wieder stichprobenartig zu testen, etwa in Einrichtungen wie in großen Gemeinschaftsunterkünften, Pflegeheimen und Kliniken.

Wo ist es aus Ihrer Sicht eigentlich jetzt am riskantesten hinsichtlich der Ansteckungsgefahr?

Erstens: Kontakt mit symptomatischen Personen oder mit rückkehrenden Personen aus Risikogebieten. Zweitens: Die Kontaktumstände Deshalb gilt weiterhin: Riskante Kontakte meiden, Distanz einhalten und Räume gut lüften.

Was haben die Corona-Demos wie in VS zuletzt bei Ihnen ausgelöst?

Bestürzung und Unverständnis. Bestürzung, dass die Gefährdung nicht wahrgenommen wird. Erschreckt hat mich zudem die Schnelligkeit, mit der sich Verschwörungstheorien verbreiteten.

Wie lange muss die Maskenpflicht bleiben?

Die Maske hat sich zum Fremdschutz und bedingt zum Eigenschutz bewährt. Auch wenn es manchmal lästig ist, eine echte Einschränkung erkenne ich in der Regel nicht. So lange wir Infektionen im Kreis haben, halte ich diese Pflicht für richtig und angemessen.

Tragen Sie selbst eine leichte Maske zum Schutz anderer oder eine, die vor allem Sie selbst schützt?

Sowohl als auch. Privat trage ich einen Mundnasenschutz, auch beim Einkaufen und im Amt außerhalb meines Zimmers. Am Schreibtisch bin ich maskenfrei. Bei Untersuchungen und Begehungen trage ich Schutzmasken der Stufe FFP2. Bei Abstrichen dazu Haube, Schutzkittel und Handschuhe.

Es gibt Berichte, dass das Virus sich deutlich verändert haben könnte. Sehen Sie das so und was bedeutet das?

Alle Organismen vermehren und erneuern sich ständig durch die Teilung des Erbgutes. Auch Corona formatiert sich ständig neu, dabei ist die Mutation eine natürliche Erscheinung. Negative Folgen für die Ausbreitung oder den Krankheitsverlauf sind selten.

Wie wirkt sich das aus?

Die Ausbreitungsgeschwindigkeit nimmt zu und, oder die Komplikationsrate steigt. Bislang ist das Virus in Deutschland nicht aggressiver geworden.

Sind bei uns eigentlich Schlachtbetriebe in den Fokus gerückt?

Diese Einrichtungen haben wir seit dem ersten Ausbruch im Enzkreis im Fokus. Wir haben uns mit der Gewerbeaufsicht zusammengeschlossen. Wir haben drei größere fleischverarbeitende Betriebe im Landkreis. Diese Betriebe sind vorwiegend Hersteller regionaler Spezialitäten, die mit einheimischen Kräften arbeiten. Kritischen Wohnsituationen von Leiharbeitern, die die Ausbreitung begünstigen, bestehen nicht. In Zusammenarbeit mit der Gewerbeaufsicht wurden die Betriebe begangen und beraten.

Gab es Fälle bei unseren Schlachtern?

Nein. Kein Mitarbeiter aus fleischverarbeitenden Betrieben im Schwarzwald-Baar-Kreis ist bei uns bislang als bestätigter Corona-Fall gemeldet worden.

Fahren Sie 2020 selbst in den Urlaub?

Ich habe in den letzten beiden Wochen meine Enkel in Thüringen besucht. Dieses Jahr ist kein größerer Urlaub aufgrund der Corona-Situation geplant.

Fragen: Norbert Trippl

Teils eins dieses Interviews erschien am Samstag auf dieser Seite. Das Gespräch wurde aus Gründen des Infektionsschutzes am Telefon geführt.

Zur Person

Jochen Früh ist seit 2016 Amtsleiter. 2015 startete er als Stellvertreter. Zuvor wirkte er zehn Jahre als stellvertretender Leiter im Gesundheitsamt Waldshut. Der heute 61-Jährige arbeitete nach einer Weiterbildung zum Internisten als Oberarzt in einer Rehabilitationseinrichtung der Rentenversicherung bis zum Jahr 1998. das hiesige Gesundheitsamt will er noch fünf Jahre leiten.