Hildegard Diestel lacht. Sie singt ein altes Volkslied: „Meine Geschichte ist so traurig, aber wahr.“ Diese Geschichte begann im Park. Die Seniorin war dort mit einer Freundin, als sie jemanden laut telefonieren hörte. Sie fragte, wer da so laut spreche. Diestels Freundin antwortete: „Der Herr mit der roten Mütze.“ „Aber da sind doch zwei“, entgegnete Diestel. Von diesem Moment an war klar, dass etwas nicht stimmte.

Diagnose: Notfall

„Es ist, als ob ich schiele“, beschreibt sie den Zustand. Hinzu kommen Gleichgewichtsstörungen und ständige Kopfschmerzen. Diestel kam ins Krankenhaus. Seitdem erlebt sie ihre persönliche Odyssee.

Im Hospital kam sie von der Notaufnahme in die Neurologie. Dort erstellten die Ärzte ein MRT- und ein CT-Bild. „Sie gaben sich richtig Mühe“, sagt die 83-Jährige. Die Diagnose der Ärzte: Der Sehnerv sei geschwächt. Es sei ein Notfall – und sie solle schnellstmöglich zum Spezialisten.

Hildegard Diestel wartet auf einen Termin beim Augenarzt.
Hildegard Diestel wartet auf einen Termin beim Augenarzt. | Bild: Rasmus Peters

Ihr Hausarzt Michael Mauch bestätigte den Notfall. Er hatte zuvor bereits einen Augenarzt-Termin für die Dame vereinbart. Doch Diestels Leiden wurde so akut, dass sie ins Krankenhaus kam. Der Termin wurde von ihrem Pflegeheim abgesagt, weil Diestel zeitgleich in der Klinik behandelt wurde. Nur: Das behandelnde Schwarzwald-Baar-Klinikum verfügt über keine augenärztliche Abteilung.

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Also versuchte die Seniorin, die nahegelegene Praxis von Jens Eckert zu erreichen. Er ist Augen-Facharzt und habe bereits zwei Star-Operationen an ihren Augen vorgenommen. Doch erreicht, so die alte Dame, habe sie ihn nie. Deshalb telefonierten ihre Kinder den kompletten Landkreis ab, erzählt Diestel. Ohne Erfolg. Auch die Senioreneinrichtung, in der die 83-Jährige lebt, versuchte ihr Glück. Die erreichte einen Termin bei einem Klinikverbund – im Juli. Für einen Notfall reichlich spät, findet Diestel.

Haus- und Augenärzte sind überlastet

Wie kann das sein? Ein Anruf in der Augenarzt-Praxis von Jens Eckert erreicht lediglich den Anrufbeantworter. Für Notfällen wird an die 116 117 verwiesen. Beim Hausarzt eine ähnliche Situation. Kaum Durchkommen. Meist besetzt.

Augenarzt-Praxen wie die von Jens Eckert in Villingen-Schwenningen sind derzeit unter anderem durch Personalmangel
Augenarzt-Praxen wie die von Jens Eckert in Villingen-Schwenningen sind derzeit unter anderem durch Personalmangel | Bild: Rasmus Peters

Es ist Alltag medizinischer Versorgung mit überlasteten Praxen. Die allgemeine Überlastung der Augenärzte bestätigt Andrea Lietz-Partzsch. Sie ist Pressesprecherin des Berufsverbands der Augenärzte in Deutschland und selbst praktizierende Augenmedizinerin. Gründe dafür sieht sie einige: Augenheilkunde sei hochgradig ambulantisiert. Das heißt: Kontrollen nach Operationen etwa finden überwiegend in den Praxen statt. „Die demographische Entwicklung führt zudem zu einer immer steigenderen Anzahl an Augenerkrankten.“

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Kai Sommer, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung schildert zudem, dass einige Praxen so überlastet sind, dass derzeit keine neuen Patienten aufgenommen werden. Die Anzahl der Terminanfragen wachse. Die Gründe dafür reichen von steigender Bevölkerungszahl in Baden-Württemberg bei gleichbleibender Arztzeit bis hin zum Mangel an medizinischem Fachpersonal.

Hoffen auf einen früheren Termin

Gehe ein Patient mit Termin beim Spezialisten stattdessen ins Krankenhaus, werde beim Facharzt Zeit blockiert, in der ein anderer Patient hätte behandelt werden können, erläutert Sommer. Es sei Aufgabe der Patienten, hier den Überblick zu behalten. Gleiches gilt für Termine, die vom Hausarzt bei Spezialisten vereinbart wurden.

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Hildegard Diestel indessen hofft nun, dass sie bald nicht mehr doppelt, sondern einen Augenarzt sehen wird. Hausarzt Michael Mauch setzt sich derweil dafür ein, dass Diestels Juli-Termin doch noch vorverlegt wird.