„Der Kopf sitzt noch gerade, mit dem Körper bin ich nicht ganz zufrieden“, sagt Bernhard Seemann mit einem Augenzwinkern zur Frage nach seiner Gesundheit.
Doch mit seiner Konstitution kann er noch recht zufrieden sein. Denn am Sonntag, 27. April, feiert der stadtbekannte ehemalige Bauunternehmer in seinem Heim am Keltenweg in Marbach seinen 90. Geburtstag.
Hinter Bernhard Seemann liegen neun Jahrzehnte eines nicht alltäglichen Lebens, das Bücher füllen könnte. Eine Vita voller Arbeit, Verantwortung, privaten Glücks und sozialem Aufstieg, unternehmerischem Scheitern und geglücktem Neuanfang.
Flegeljahre im Villinger Krawazi
Doch der Reihe nach. Seine „Kindheit und Flegeljahre“, so formuliert es Bernhard Seemann, hat er im Villinger Krawazi-Viertel, am südliche Ende der Gerberstraße, verbracht. Dort hatte der Vater Rudolf ein Haus gekauft, dort ist er mit seinen Brüdern Karl und Dietmar sowie der Schwester Sieglinde in der Kriegs- und Nachkriegszeit in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen.
Der Vater hat, nachdem er aus dem Krieg zurückgekommen war, sein Baugeschäft wieder aufgenommen, das er bereits 1936 gegründet hatte. Der Neuanfang war wohl hart und schwierig. Auch die Kinder wurden früh an die Arbeit herangeführt. Bernhard Seemann nahm bereits 1949, da war er noch keine 14 Jahre alt, eine Lehre als Maurer auf.
1950 zog die Baufirma Seemann von der Gerberstraße in die Goldenbühlstraße 23 um, wo sie bis 1980 beheimatet war. Bernhard Seemann legte erfolgreich die Maurer-Meisterprüfung ab, sein Bruder Karl studierte Bauingenieurwesen. Beide traten sie später in das väterliche Baugeschäft ein.
Der Vater als strenger Lehrmeister
„Der Vater gab uns die Chance, mitzugestalten“, berichtet Bernhard Seemann. Den Söhnen war er offenbar ein strenger Lehrmeister. Die Zeiten waren danach. „Wir haben nichts anderes gekannt als die Sieben-Tage-Woche“, erinnert sich Bernhard Seemann.
In den Jahren des Wirtschaftswunders ging es mit der Baufirma stetig bergauf. Dann starb der Vater überraschend 1965 im Alter von erst 58 Jahren. Die Söhne Bernhard und Karl standen fortan in der Verantwortung. Da beschäftigte die Baufirma nach Erinnerung von Bernhard Seemann bereits 180 Mitarbeiter.
Hunderte Wohnungen in VS gebaut
In der Nachkriegszeit folgten viele weitere gute Jahre für die Baufirma. Sie hat in Villingen und Schwenningen unübersehbare Spuren hinterlassen, viele hundert neue Wohnungen gebaut: die Wöschhalde, die Wohnblocks in der Hammerhalde, die Wohnanlagen auf dem ehemaligen Gelände der Uhrenfabrik Kaiser in der Weiherstraße oder, von 1970/71 bis 1982, über 400 Wohnungen auf dem Kopsbühl-Rundling für etwa 1500 Menschen.

Das Unternehmen entwickelte sich rasant weiter, war in ganz Baden-Württemberg tätig, wurde zum Konzern mit immer neuen Geschäftsbereichen und bestand am Ende aus 15 verschiedenen Gesellschaften. 1980 erfolgte der Umzug auf die Schwenninger Steig mit einem großen neuen Verwaltungsgebäude.

Spannende Zeiten, spannende Leute
Als erfolgreicher Bauunternehmer erlebte Bernhard Seemann den sozialen Aufstieg, es waren spannende Zeiten. Über den ehemaligen Saba-Reporter Herber Schroff lernte er viel Prominenz aus Sport, Showbranche und dem Fußballzirkus kennen, die damals über die Saba nach Villingen kamen. Im Hause Seemann gaben sich illustre Gäste ein Stelldichein.
Bernhard Seemann blieb bodenständig und sozial engagiert: Anfang der 1970er-Jahre leitete er als Vorsitzender fünf Jahre lang den Villinger Turnverein, unterstützte zahlreiche andere Vereine als Gönner und Spender. Eine Legislaturperiode war er als gewählter Kreisrat auch politisch tätig.
Höhepunkt und Niedergang
Die folgenden 1980er-Jahre indes brachten nichts Gutes. Die florierende Baukonjunktur der Nachkriegszeit geriet ins Stocken. Krise war angesagt. Mehrere große Villinger Baufirmen wie Briegel, Laufer oder Kurz & Gaiser, verschwanden damals vom Markt.
Mitte der 1980er-Jahre traf es auch das Seemann-Firmengeflecht, das damals auf seinem Höhepunkt fast 500 Mitarbeiter beschäftigte. Trotz eines zweijährigen Sparkurses, bei der die Belegschaft auf 260 Mitarbeiter abgebaut wurde, konnte sich das Unternehmen nicht mehr aus seinen Schwierigkeiten befreien. Die Banken gaben keine Kredite mehr. Seemann war am Ende.
Der Zusammenbruch des größten Villinger Bauunternehmens hat die Gemüter damals sehr bewegt. Besonders auch ihren Chef Bernhard Seemann. Der Verlust des Unternehmens und der Arbeitsplätze hat ihn zutiefst getroffen. Über dieses dunkle Kapitel mag er im Rückblick öffentlich nicht mehr reden.
Beruflicher Neustart
Der Unternehmer hat sich beruflich neu aufgestellt. Er gründete die Firma Immo Südwest und stieg in die Projektentwicklung und Vermittlung von gewerblichen Grundstücken ein.
Auf diesem Feld war er viele Jahre erfolgreich tätig, unter anderem für die auf den Schweizer Markt drängenden Filialunternehmen Aldi, Rewe oder Bauhaus. Mehrere Jahre an seiner Seite arbeitete auch Tochter Sybille Seemann. Erst vor zwei Jahren, mit 88, hat sich Bernhard Seemann aus dem Geschäftsleben aufs Altenteil zurückgezogen.
Die Familie, sie betrachtet Bernhard Seemann als wichtigsten Rückhalt, der ihm geholfen habe, auch die dunklen Zeiten zu überstehen. In erster Stelle steht für ihn seine Frau Herta, mit der er seit 1958 verheiratet ist.
Dass er, der geborene Villinger, damals eine Schwenningerin geheiratet hat, brachte ihm zwar mancherlei Frotzeleien im Bekanntenkreis ein. Bei verschiedenen Gelegenheiten hat er immer wieder hervorgehoben, dass sie sein Lebensglück war. Der Wunsch, gemeinsam alt zu werden und ein erfülltes Leben zu leben, konnten sie verwirklichen.
Familie, Arbeit, Sport
Familie und Arbeit haben Bernhard Seemann vital gehalten. Und der Sport. „Er war immer ein sportbegeisterter Mensch“, berichtet seine Tochter Sybille. Er spielte Tennis und Squash, war Hobbyfußballer, ging wandern und schwimmen, war im Winter leidenschaftlicher Skifahren. Bis heute hält er sich regelmäßig mit Gymnastik und Spaziergängen in Bewegung.
Am Sonntag feiert er im engsten Familien- und Freundeskreis in Marbach den 90. Geburtstag. Mit dabei sein werden neben seiner Frau Herta (92) auch die Töchter Marion und Sybille und der Enkel Sascha.