Benno Kilzer ist seit zehn Jahren Dirigent bei der Villinger Stadtharmonie. Und das schwierigste Stück für die Stabführung, das läuft jetzt ganz aktuell. Das Mammutprogramm heißt, ein ganzes Jugendorchester achtsam aus der Krise zu führen. Die Untiefen dieses Dirigats sind enorm. Welche Untiefen der Weg noch bringt, das weiß keiner. Nur eines wissen sie bei der Harmonie: Hoffnung ist da, dass irgendwie alles gut werden kann, trotz leerer Vereinskassen und großer Herausforderungen.

Der Nackenschlag des Lockdowns

Sie haben alles versucht, die Corona-Monate mit prall gefüllten Segeln zu durchschiffen. „Unser Konzert war das letzte, das gegen Jahresende 2020 noch im städtischen Veranstaltungskalender stand“, erzählt Kilzer. Das Aus kam erst zwei Tage vor dem Auftritt in Form des Lockdowns. Bis dahin rechnete der Verein mit zwei Konzertabenden im Franziskaner, 700 Gäste aufgeteilt mit Abstand im Konzerthaus. Corona hatte etwas dagegen, die Verantwortlichen in Berlin und Stuttgart zogen die Reißleine, auf der Villinger Bühne ging nichts mehr.

Hier steht Benno Kilzer hinter einer mobilen Plastikwand. Aerosolschutz, so erklärt er. Beim Probenbetrieb wird alles getan, um alle zu ...
Hier steht Benno Kilzer hinter einer mobilen Plastikwand. Aerosolschutz, so erklärt er. Beim Probenbetrieb wird alles getan, um alle zu schützen. | Bild: Trippl, Norbert

Voller Zuversicht war im Verein alles bis kurz davor. Es wurde coronagerecht geprobt, auch hier wurde versucht, der Krise ein Schnippchen zu schlagen. Der Verein hat auch Landwirte mit Höfen in seinen Reihen und eine der großen Proben fand 2020 auf den Bertholdshöfen statt – auf einer großen Wiese. 1,50 Meter Abstand von Musiker zu Musiker: „Das ist schon viel Logistik dann“, schildert Kilzer. Die Instrumente raus an den Stadtrand fahren, die Noten, die Stühle. Und dann fing es auch noch an zu tröpfeln, fast wie eine Art Vorwarnung für alles, was da noch in den nächsten Wochen kommen sollte.

Jahreskonzert fest eingeplant

Und nun? Im Jahr 2021 plant die Harmonie akzentuiert nach vorne. Probe dieses Mal auf einer Wiese in Nordstetten und das Jahreskonzert ist bereits fest eingeplant, wie immer ist es der Samstag am Wochenende vor dem ersten Advent. Wieder sind zwei Abende vorgesehen, „wir rechnen damit, dass wir spielen können, das Publikum aber Abstand halten muss“. Benno Kilzer ist Diplom-Ingenieur und in der Automobilbranche tätig. Mit Vollgas würde der Verein am liebsten aus der Krise preschen, und doch hemmt aktuell so vieles den Fortschritt.

Luftfilter aktuell zu teuer

Trotz großartiger Spenden und treu weiter bezahlter Mitgliedsbeiträge sind die Kassen eigentlich leer. Aktuell nagen die Verantwortlichen an der Herausforderung, ein Luftreinigungsgerät für den Probenraum zu beschaffen. „Das kostet rund 3000 Euro, die wir aber nicht haben“, umreißt der Dirigent das Problem. Eine Lösung gibt es noch nicht und derweil probt die Gruppe einfach im Hof vom Haus der Musik an der Brigach

Tausende von Notensätzen gehören dem Verein.
Tausende von Notensätzen gehören dem Verein. | Bild: Trippl, Norbert


Aktuell trägt die Freude aufs Musizieren und Beisammensein die Gruppe. „Du merkst das sofort, alle die jetzt dabei sind, die wollen wirklich Musik machen.“

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„Ein wenig Angst habe ich jetzt schon vor Herbst und Winter“, schildert Kilzer seine Gefühlslage. „Noch ein Lockdown würde noch viel mehr kaputt machen“, meint er. Dass auch Aktive aus der Jugend zuletzt aufgehört haben, verschweigt er nicht. Im Jugendorchester stehe ein Umbruch bevor, „wir werden wohl 16, 17 Jugendliche aus dem Vororchester aufrücken lassen können“. Das ist dann schon ein großer Einschnitt für den 45-köpfigen Klangkörper.

Was der Jugend fehlte

Kilzer weiß von der eigenen Familie, wie unterschiedlich Heranwachsende in der Krise reagiert haben. „Die Jungen mussten auf brutal viel verzichten“, entfährt es ihm im Gespräch. Er selbst sagt: „Ich selbst weiß heute aber ja auch nicht, was genau auf mich zukommt.“ Keiner weiß, was das Virus als nächstes macht. Kilzer verantwortet den Probebetrieb als Hygiene-Verantwortlicher. „Wir müssen da auch den Impf-Status erfassen.“ Von den Jugendlichen will er „auf keinen Fall die Impfung erwarten, die Impfkommission empfiehlt das ja auch nicht“. Zuletzt habe er sich einfach nur gefreut, dass viele schon die erste Spritze hatten.

Wie also kommt das Orchester da raus? Die Jugendkapelle der Harmonie ist eine besonders fetzig aufspielende Musikervereinigung. Da geht auch öfters mal was mit Samba. „Die Spielfreude, die Lust auf die Musik, das hat uns jetzt schon auch als Verein insgesamt zusammengeschweißt“, ist er überzeugt.

Seit zehn Jahren dirigiert er das Jugendorchester der Harmonie. Benno Kilzer dachte vor Corona auch mal ans Aufhören. Heute weiß er, ...
Seit zehn Jahren dirigiert er das Jugendorchester der Harmonie. Benno Kilzer dachte vor Corona auch mal ans Aufhören. Heute weiß er, dass dies die falsche Entscheidung für ihn wäre. | Bild: Trippl, Norbert


Das vielleicht Allerbeste? „Wir klingen jetzt noch besser“, fasst er dieses neue Gefühl zusammen, das den Verein nun trage. „Corona war auch ein Filter. Wer jetzt noch dabei ist, der will es wirklich“, sagt der 52-Jährige.

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Vieles sei in den Krisenmonaten bewusster geworden. Auch bei Kilzer selbst. Er habe sich vor Corona durchaus gefragt, wie lange er das mit dem Dirigieren noch machen soll. „Heute weiß ich, ich will das wirklich.“ Prioritäten hätten sich verschoben, oder auch präzisiert, berichtet er weiter. Früher hätte es „auch mal genervt, am Sonntag unterm Jahr spielen zu müssen. Vergangene Woche hat einer unserer Musiker geheiratet, 16 von uns spielten in der Kirche. Es war so schön. Beisammen sein, Musik machen. Endlich auch mal wieder reden können ohne das Internet dazwischen.“

Der Verein wurde lange übersehen

Von der Politik habe er sich „lange verlassen gefühlt, vom Bund bis runter zur Stadt“, formuliert er. Hilfsprogramme seien erst später gekommen, „zunächst waren die Ausschreibungen so, dass das auf Musikvereine gar nicht gepasst hat“. Kilzer ist dankbar, dass dann die Stadtverwaltung von VS 2020 das Franziskaner für große Proben angeboten hatte. „Wir haben uns da wieder gesehen gefühlt.“ Lange Monate sei „gar nichts gekommen. Immer nur neue Corona-Verordnungen“. Damit, so Kilzer heute, „wussten wir aber nur, was wir nicht dürfen. Heute sei das „besser, wir werden wieder gesehen“.

Ein Archivfoto aus der Zeit vor Corona: Benno Kilzer dirigiert im Konzerthaus.
Ein Archivfoto aus der Zeit vor Corona: Benno Kilzer dirigiert im Konzerthaus.

Der Verein will jetzt einfach mutig nach vorne planen, um die Krise abzuschütteln. 2024 wird die Harmonie hundert Jahre alt. Vorgenommen habe man sich unter anderem: „Wir wollen nicht nur schön aufspielen, wir wollen auch für uns selbst das Gefühl haben, dass wir dann Jubiläum haben, und nicht nur die ganze Zeit am Schaffen sind“. der Verein habe jedenfalls „enormen Nachholbedarf“.

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