Wenn Polina Rodionova aus der Ukraine am Wochenende für den BC Villingen-Schwenningen an den Stand tritt, ist es für die erfahrene Bogenschützin zugleich eine Premiere. Auch wenn sie schon an zahlreichen internationalen Wettkämpfen teilgenommen hat – an Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und auch schon welche mit dem ukrainischen Nationalteam gewonnen hat – in einem Bundesligafinale stand sie noch nie. Kein Wunder. Schließlich war es auch nie geplant, dass sie mal für den BCVS schießen würde.

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Im März des vergangenen Jahres kam die 28-Jährige in Villingen-Schwenningen an. Mit dem ukrainischen Nationalkader. Sie floh mit ihrer Mutter, ihrer Cousine und deren Mutter vor dem Krieg aus Somny, der Stadt in der sie geboren ist und bis vor Kurzem lebte.

Vor fast einem Jahr dachte Rodionova noch, dass sie zeitnah zurückkehren könnte. „Ich habe mit den Leuten hier gesprochen und einen Platz zum Trainieren gesucht. Ich war weit davon entfernt, in der Bundesliga zu schießen“, erzählt sie auf Englisch. Die Ukrainerin suchte einen Ort, um ihren geliebten Sport auszuüben. „Egal was los ist, der Sport hilft einem, auf seinem Weg zu bleiben“, erinnert sie sich an diese Zeit.

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Erst als sich langsam herausstellte, dass die ukrainische Kaderschützin länger in Deutschland bleiben muss, weil der Krieg in ihrem Heimatland kein Ende nimmt, wurde der Kontakt zum BCVS intensiver. Am ersten Bundesliga-Wettkampftag half sie schon mit, dass der Club auf dem ersten Platz in die Saison startete. Rodionova integrierte sich sofort in die Mannschaft, wie auch ihr Trainer Jürgen Grötzinger betont. „Das ist ein sehr harmonisches Team, da ist keiner neidisch auf den anderen“, erklärt er auch mit Blick auf die Aufnahme von Polina Rodionova.

Eine harmonische Mannschaft, die am Wochenende um den Titel kämpfen wird: (von links) Coach Jürgen Grötzinger, Nico Schiffhauer, Polina ...
Eine harmonische Mannschaft, die am Wochenende um den Titel kämpfen wird: (von links) Coach Jürgen Grötzinger, Nico Schiffhauer, Polina Rodionova, Dominic Gölz, Sarah Reincke, Florian Faber, Fiona Marquardt | Bild: Jürgen Löchelt

Die 28-Jährige bestätigt dies: „Wenn man für sich alleine schießt, macht es manchmal nicht so Spaß. Aber hier herrscht eine richtig freundliche Atmosphäre.“ Geholfen habe auch, dass sie durch die vielen internationalen Turniere und Trainingscamps, bei dem das ukrainische und deutsche Team zusammen waren, schon Kollegen wie Nico Schiffhauer kannte. Ganz fremd, kam sie sich nie vor.

Die Olympischen Spiele als Ziel

Auch wenn jetzt am Wochenende das Finale der Bundesliga ansteht: geändert wird am bisherigen Ablauf nichts. Weder beim Team noch bei der Ukrainerin. Am Mittwoch gab es noch ein gemeinsames Mannschaftstraining, wie Grötzinger erklärt. Den Rest kennen die Athleten. „Die Situation ist die Gleiche wie sonst auch. Ich habe meine Routinen und ich habe keinen Druck“, so Rodionova.

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Sechsmal trainiert sie jede Woche, geht vormittags noch auf eine Sprachschule, um Deutsch zu lernen. Viel Zeit für andere Dinge bleibt da nicht. „Ich gehe gerne Wandern, in die Berge und sammle manchmal Pilze“, erzählt sie von der freien Zeit im Schwarzwald. „Ich wusste vorher nicht, dass Deutschland so schön ist.“

Doch der Krieg in ihrer Heimat herrscht weiterhin. „Da ist immer noch der Krieg, der irgendwie direkt mit mir zu tun hat. Auch wenn ich hier viele Möglichkeiten habe, ist es hart.“ Die Situation habe ihr gezeigt, dass alles möglich ist. Von einer zur anderen Woche könne sich alles ändern. Das bestärkt sie auch in einem Ziel: Sie will ihr Land an den Olympischen Spielen 2024 in Paris repräsentieren. „Was danach kommt, weiß ich nicht. Vielleicht lerne ich weiter Deutsch und bleibe hier, vielleicht kann ich irgendwann zurück in die Ukraine.“

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Doch vorher gibt es am Samstag ein Bundesliga-Finale zu bestreiten. „Ich bin schon sehr gespannt auf diese neue Art von Herausforderung“, freut sich Rodionova und will es auch genießen. Dass die Doppelstädter mit der Ukrainerin das Potenzial haben, in der hessischen Landeshauptstadt weit vorne zu landen, sieht auch der Trainer. Die Zusammensetzung aus Erfahrung und jungen Schützinnen, wie der 15-jährigen Fiona Marquardt, zeichne das Team aktuell aus. Denn – das hat Polina Rodionova in den vergangenen Monaten kennengelernt – die Bundesliga ist vor allem ein Teamsport. Doch auch in diesem gilt, dass an einem Finaltag wie in Wiesbaden alles passieren kann.