Er ist eine mediale Reizfigur, die es offenbar liebt zu provozieren. Der langjährige „Spiegel“-Kolumnist und Autor Jan Fleischhauer hat in seinen Texten schon den Weltfußballverband FIFA als kriminelle Organisation bezeichnet, den deutschen Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) als „sehr reiches Würstchen“ gescholten und das italienische Volk mit dem Kapitän der havarierten Costa Concordia verglichen.
Letzteres brachte Fleischhauer 2012 eine Rüge des italienischen Botschafters in Berlin ein, er habe „vulgäre Behauptungen“ aufgestellt und solle „Verallgemeinerungen aufgrund der Rasse bleiben lassen“.
Unzulässiger Vergleich
Nun könnte eine Äußerung des 60-Jährigen auf Twitter strafrechtliche Konsequenzen für ihn haben: „Atomwaffen auf Zürich!“ So antwortete Fleischhauer am 24. September auf einen Tweet des „Weltwoche“-Herausgebers und SVP-Nationalrats Roger Köppel.
Dieser hatte zuvor den russischen Angriffskrieg in der Ukraine mit dem „auf einer Lüge aufgebauten“ Irakkrieg verglichen und den Amerikanern vorgeworfen, sie würden einen „Stellvertreterkrieg gegen Russland mit dem Risiko einer nuklearen Katastrophe“ führen.
Öffentlicher Frieden gefährdet?
Wie Fleischhauer selbst in seiner „Focus“-Kolumne erklärt, habe er nun – zwei Monate nach seinem Tweet – einen Brief von der deutschen Polizei bekommen. Das Kriminalfachdezernat 4 in München, welches unter anderem für politisch motivierte Kriminalität und Sonderermittlungen zuständig ist, stufte ihn als Beschuldigten ein.
Das zuständige Polizeipräsidium München verweist auf Anfrage an die Staatsanwaltschaft München I. Diese bestätigt, wegen der Äußerung „Atomwaffen auf Zürich!“ ein Ermittlungsverfahren zu führen. „Die Ermittlungen dauern noch an. Der Einleitung des Verfahrens ist eine Anzeige vorausgegangen“, so Oberstaatsanwältin Anne Leiding. Wer Anzeige erstattet hat, sagt sie nicht.
Laut Fleischhauer wirft ihm die Polizei vor, mit seinem Tweet eine Straftat nach Paragraf 140 Strafgesetzbuch begangen zu haben: Belohnung und Billigung von Straftaten. Dabei handelt es sich um einen Tatbestand, der den öffentlichen Frieden schützen soll. Das Strafmaß sieht bis zu drei Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe vor.
Provokateur legt nach
„Billigt man einen Völkermord, wenn man dem russischen Präsidenten den Abwurf einer Atombombe über Zürich empfiehlt?“, fragt Fleischhauer in seinem Meinungsbeitrag. Für ihn stehe es außer Frage, dass Atomwaffen grundsätzlich abzulehnen sind. „Andererseits, so eine taktische Mini-Bombe über dem Zürisee hätte auch Vorteile: Das Schwarzgeldproblem wäre mit einem Schlag gelöst“, legt der Provokateur nach und beeilt sich hinzuzufügen, dass er solche Scherze besser lassen sollte.
Sein ursprünglicher Aufreger-Tweet sei lediglich eine „spöttische Replik“ auf seinen „Bekannten“ Roger Köppel gewesen. Dieser sei „einer der größten Kritiker der Aufrüstung der Ukraine“ und habe „aus Angst vor einem Atomkrieg zu sofortigen Verhandlungen mit Wladimir Putin“ aufgerufen. Mit dem Tweet, gemünzt auf Köppel, habe er sagen wollen: „Ihr Schweizer Angsthasen, (…) es dreht sich nicht immer alles um euch.“
Auch die „Weltwoche“ reagierte auf die Ermittlungen. Es gelte „noch“ die Unschuldsvermutung für Fleischhauer, so die Wochenzeitung in einem Beitrag.
Grenzen der Meinungsfreiheit?
Wie der Journalist in seiner Kolumne schreibt, hat ihm die Polizei mehrere Möglichkeiten angeboten: Er könne die vorgeworfene Straftat zugeben oder einen Anwalt beiziehen. Gegen Zahlung einer Geldauflage wäre auch eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens denkbar. Für was sich der Journalist entscheiden wird, ist noch nicht bekannt.
Nicht nur die Ermittler, sondern auch Fleischhauer stellen sich die Frage, wo die Grenzen der Meinungsfreiheit liegen. Dabei zitiert der Beschuldigte den Kabarettisten Werner Finck: „Da, wo`s zu weit geht, fängt die Freiheit erst an.“