Ein Clown ist nicht harmlos. Und nicht einfach nur zur Kinderbelustigung da. Jedenfalls nicht dieser Rigoletto-Clown, der jetzt in Bregenz zu erleben ist. Als riesiger Kopf überblickt er die Seebühne. Anfangs mag er noch friedlich aussehen, aber schon zu den ersten unheilvollen Akkorden der Ouvertüre öffnet sich sein Mund und er zeigt seine Zähne. Und wenn später ein Fluch den Rigoletto trifft, die Bühne sich blutrot einfärbt und die Augen des Clownkopfs von innen heraus zu leuchten beginnen, dann gruselt‘s einen.

Parallel zu Rigolettos Welt wird auch das Bühnenbild demontiert.
Parallel zu Rigolettos Welt wird auch das Bühnenbild demontiert. | Bild: Felic Kästler/dpa

Schnell wird klar: Dieser Kopf, dessen Halskrause die Hauptbühne für Philipp Stölzls „Rigoletto“-Inszenierung bildet, ist nicht bloß eine Opernkulisse. Dieser Kopf und die beiden Fäuste rechts und links spielen mit. Wenn Rigoletto in seiner Funktion als Hofnarr dem frauenschändenden Herzog beispringt und die gehörnten Ehemänner verspottet, dann zeigt die rechte Faust den Mittelfinger. Und wenn sich der Herzog, im geöffneten Mund des Clowns stehend, buchstäblich eine Frau angelt, dann schließt sich der Mund mit dem Paar anschließend diskret. Man kann sich nur denken, was in den Gemächern des Herzogs jetzt vor sich geht. Die Frau wird nach Gebrauch übrigens im See entsorgt. Den Zynismus des Herzogs bringt Stölzl immer wieder deutlich und trotzdem sehr spielerisch auf den Punkt.

Der Herzog lässt zu „La donna è mobile“ die Puppen tanzen.
Der Herzog lässt zu „La donna è mobile“ die Puppen tanzen. | Bild: Karl Forster

Wer ist dieser Clown?

Wer aber ist dieser Clown, den sich Stölzl zusammen mit Heike Vollmer ausgedacht hat? In erster Linie ist es Rigoletto selbst. Im Zirkus des Herzogs ist er der Clown. Aber der Kopf reflektiert nicht allein Rigolettos Perspektive. Er ist vor allem das Vergrößerungsglas für das emotionale Geschehen auf der Bühne. Ob Fluch und Verderben oder Liebe und Zärtlichkeit – an den Kopfbewegungen und dem wechselnden Gesichtsausdruck lässt sich das ablesen.

Der Clownskopf dient als Vergrößerungsglas für das emotionale Geschehen der Oper.
Der Clownskopf dient als Vergrößerungsglas für das emotionale Geschehen der Oper. | Bild: Anja Köhler

Schon vor Monaten hatte Stölzl verkündet, er wolle die Emotionen der Oper „ins Monumentale hochziehen, sodass ein filmischer Effekt entsteht, ohne das ausgelutschte Mittel des Films zu bemühen.“ Das ist ihm aufs Eindrucksvollste gelungen. Das Problem vieler Seebühnen-Inszenierungen, dass die Darsteller in der riesigen Kulisse schnell verloren wirken, bekommt er auf geniale Weise in den Griff – übrigens auch dadurch, dass er das Bühnengeschehen stets deutlich fokussiert. Dabei geht er wahrhaftig nicht sparsam um mit akrobatischen Tricks, mit Tanz und Stunt-Einsätzen. Aber immer sind sie sinnvoll eingebunden, nie verliert sich das Auge im szenischen Allerlei.

Technik und Musik sind eng verzahnt

Die „Rigoletto“-Bühne dürfte eine der technisch aufwändigsten in der Geschichte der Bregenzer Festspiele sein. Doch wer glaubt, technische Hochrüstung und künstlerische Ernsthaftigkeit schlössen sich automatisch aus, der sollte sich diesen „Rigoletto“ anschauen. Freilich, die enge Verzahnung von Technik und Musik erfordert, dass sich beide Seiten aufeinander einlassen und einem relativ eng getakteten Korsett folgen müssen. Doch Stölzl und Dirigent Enrique Mazzola tun das beide mit Gewinn. Stölzls Regie ist detailliert auf die Musik abgestimmt. Umgekehrt klingt dieser „Rigoletto“ mit Mazzola am Pult der Wiener Symphoniker frisch und temporeich. Dass die gewaltige Bühnenhydraulik auch Geräusche macht, kann man sich gelegentlich als Seufzen Rigolettos zurechthören, in manchen Szenen aber ist es störend. Das ist der Preis, den die Technik fordert, aber es ist kein hoher Preis.

Bild 4: Diese Bühne spielt bei „Rigoletto“ mit
Bild: Karl Forster

Probleme der Klangtechnik

Bei der Premiere gab es zudem einige Pannen mit der offenbar neu überarbeiteten Klangtechnik. Da fiel mal ein Mikro aus, mal wurde der Klang übersteuert, mal gab es ungewollte Echos. Man darf allerdings davon ausgehen, dass die Klangtechniker das bald in den Griff bekommen. Dafür wurde auf der Bühne schöner gesungen denn je. Neben Stephen Costello als Herzog und Vladimir Stoyanov als Rigoletto sang und spielte sich vor allem Mélissa Petit als Gilda mit ihrem wunderbar klaren Sopran in die Herzen des Publikums.

Vor wenigen Tagen haben wir an dieser Stelle darüber spekuliert, wann der Fesselballon in Rigolettos linker Faust zum Einsatz kommt.

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Jetzt wissen wir: Gilda wird nicht in dem Ballon, wohl aber aus dem Ballon entführt. Zuvor aber steigt sie in ihm in die Höhe und träumt dabei (innig: „Caro nome“) von ihrem vermeintlichen Studenten Gualtier Maldè, als der sich der Herzog ihr gegenüber ausgegeben hat. Gilda schwebt auf Wolke sieben – und nichts könnte das treffender verbildlichen als ein Schwebeflug Richtung Himmel.

Gilda schwebt auf Wolke Sieben – der Ballonflug verbildlicht das.
Gilda schwebt auf Wolke Sieben – der Ballonflug verbildlicht das. | Bild: Karl Forster

Ähnlich berührend gelingt die Schlusszene. Gilda stirbt in den Armen ihres Vaters Rigoletto und singt eine letzte Arie – am Boden. Doch ihre Worte sind noch nicht verklungen, da steigt sie (als Double) im Ballon auf und schwebt davon. Ihr Körper bleibt am Boden, aber ihre Seele macht sich auf den Weg. Ein genialer Einfall – und ein großer Schlusspunkt in einer großen Inszenierung.