Herr van Eeden, Sie haben einen wichtigen Kunstpreis erhalten – den Hans-Thoma-Staatspreis. Gleichzeitig haben Sie sich intensiv mit dem Namensgeber des Preises befasst. Wie kamen Sie darauf?
Durch einen Zufall geriet ich auf diese Spur. Ich entdeckte, dass Thoma 1898 eine Reise nach Holland unternommen hat. Gerade diese Reise hat mich interessiert, ich stamme selbst aus den Niederlanden. Während der Nachforschungen zu dieser Reise stieß ich auf Details, die mich doch stutzig machten. Dann ergab eines das andere, ich stieß auf immer mehr Textstellen zum Beispiel in Briefen, die mir eines klar zeigten: Hans Thoma war Antisemit. Ein Denkmalsturz lag zunächst nicht in meiner Absicht.
Welche Texte sind das? Können Sie das näher ausführen?
Das hat eine Vorgeschichte. Der Heidelberger Professor Frank Engehausen gab vor einem Jahr ein Buch heraus, in dem er den ideologischen Hintergrund von Thoma ausgeleuchtet hat. Ich musste also nicht lange suchen, wichtige Fakten lagen in Engehausens Buch bereits vor. Er arbeitete im Auftrag des Stuttgarter Kunstministeriums. Dabei ging es auch um Thomas Vereinnahmung durch die Nazis.
Einer seiner Mitarbeiter hatte einen Brief von Hans Thoma an Cosima Wagner gefunden – die Frau von Richard Wagner. Da schreibt er unter anderem, dass der Antisemitismus zu spät komme, um noch wirksam zu sein. Die Juden, so schreibt Thoma an Wagner, würden jetzt in der ganzen Welt Musik machen und dirigieren, und das sei nicht mehr zu verhindern. Das sind eindeutige Aussagen.
Später entdeckte ich, dass Thoma vor allem die große Rembrandt-Ausstellung in Amsterdam sehen wollte – ein Maler, den Thoma sehr verehrte. Deshalb diese Reise 1898, sie ist wie ein Schlüssel zu seiner Biografie. Rembrandt war damals in Frankreich sehr bekannt, in Deutschland aber noch nicht, bis der deutsche Schriftsteller Julius Langbehn ein Buch verfasste, das damals sehr einflussreich war. Es hieß „Rembrandt als Erzieher“. Das Werk ist in einem antisemitischen und völkisch-nationalen Geist geschrieben. Thoma und Langbehn freundeten sich an, schrieben sich Briefe.

Sie sprechen bisher von Briefen, in denen sich Thoma zum Judenhass bekennt. Hat er sich auch öffentlich geäußert? Immerhin war er Professor, Maler und zeitweise Mitglied des badischen Landtags?
Er mischte sich immer wieder in Diskussionen ein. Einmal ging es um den erfolgreichen Maler Max Liebermann, einen Berliner mit jüdischen Wurzeln. Hans Thoma hat sich eingemischt und gegen Liebermann Stellung bezogen und ihm seinen Impressionismus, aber auch sein Judentum vorgeworfen.
Sie haben einen Preis angenommen – gleichzeitig holen sie den Patron des Preises vom Sockel. Wie geht das zusammen?
Ich halte es für völlig richtig, dass diese Zusammenhänge einmal untersucht werden und das alles gesagt wird. Die Verleihung habe ich dazu genutzt, die ganze Sache öffentlich zu machen. Und noch etwas: Als Preisträger konnte ich eine aktuelle Ausstellung in Thomas Geburtsort Bernau gestalten. Bernau und der Schwarzwald werden von der Aufmerksamkeit, die Thoma unversehens bekommen hat, sicherlich profitieren.
Ist Hans Thoma dann noch der richtige Namensgeber für einen derart wichtigen Preis? Soll man den Preis neu aufstellen?
Es ist ein Unterschied, ob man eine Straße oder einen Platz umbenennt oder einen Preis. Wer diesen Preis als nächster holt, wird sich gut überlegen, ob er das annimmt – oder ob diese Auszeichnung nicht vergiftet ist. Das muss jeder Kunstschaffende für sich entscheiden, ob er eine Ehre annimmt, die mit einer so schwierigen Vita verknüpft ist. Jeder, der ihn annimmt, wird sich dann rechtfertigen müssen. Und jedes Mal dieselbe Diskussion. Will man das?
Dann benötigt man eine Künstlerin oder einen Maler, deren Lebensläufe stimmig sind und in die Maßstäbe unserer Zeit passen? Einen unverbrauchten Kopf?
Ja, das fände ich richtig. Auch Bernau hätte es verdient, weil es ein wunderbares Dorf ist.
Haben Sie schon eine Rückmeldung aus Bernau bekommen?
Ja, schon. Die meisten waren unsinnig. Ich habe Hans Thoma auch nicht gecancelt. Mir ging es nur um Thomas Reise in die Niederlande. Dass ich dabei so viel finde, überrascht mich bis heute. Für das Verständnis dieses Künstlers war meine Erkundung richtig. Thoma ist eben nicht nur der bärtige Opa mit tollen Gemälden. Als Figur wird er durch diesen Prozess interessanter, auch das muss man festhalten.
Man könnte auch einwenden: Thoma hat das alles privat gesagt.
Seine Aussagen sind nicht nur privat. Er steckte in wichtigen gesellschaftlichen Kreisen. Er war befreundet mit Julius Langbehn, der damals ein führender völkischer Intellektueller war. Und er war Teil des Wagner-Umkreises, der an der Formung des späteren radikalen Antisemitismus der NSDAP beteiligt war. Cosimas Schwiegersohn hieß Houston Stewart Chamberlain, und dieser war so etwas wie ein Bindeglied zwischen dem Wagner-Clan und den Gedanken des frühen Adolf Hitler.
Warum wird das Weltbild von Hans Thoma so spät bekannt?
Dazu muss man eines wissen: Einer seiner wichtigen Auftraggeber und Mäzene war der badische Großherzog Friedrich I. Dieser war ein sehr liberaler Mann. Thoma war auf den Großherzog angewiesen, deshalb hielt sich der Maler nach außen zurück. Er hat sich angepasst.