Es könnte eine Steilvorlage für alle Opern-Verächter sein: Giuseppe Verdis „Ernani“ spart nicht mit absurden Volten in der Handlung. Ständig wird Rache geschworen, freilich nur, um die eigene Ehre zu retten.

Und selbstverständlich gehört dazu auch die Bereitschaft, dafür in den Tod zu gehen. Notfalls selbst dann, wenn sich eigentlich gerade das persönliche Glück in Form einer erfüllten Liebe eingestellt hat. Der einstige Schwur duldet eben keinen Bruch.

Ein höchst vergnüglicher Opern-Abend

Mit der wenig gespielten Verdi-Oper eröffneten die Bregenzer Festspiele jetzt die Saison im Haus. Dass Verdis „Ernani“ bei aller Problematik des Stoffs in Bregenz weitaus mehr als eine Ehrenrettung erfuhr und sich sogar als höchst vergnüglich entpuppte, lag an zwei Dingen: erstens an einem spitzenmäßigen Sänger-Ensemble und der hervorragenden musikalischen Umsetzung unter der Leitung des Verdi-Kenners Enrique Mazzola, und zweitens an der leichthändigen Regie von Lotte de Beer.

Sie inszeniert erst gar nicht gegen die Wunderlichkeiten des Stücks an, sondern kämmt es sanft in Richtung Groteske, indem sie die Figuren einfach nur ein wenig überzeichnet.

Elvira (Guanqun Yu) und Don Carlo (Franco Vassallo) – ein König mit Pappkrone und nacktem Oberköper.
Elvira (Guanqun Yu) und Don Carlo (Franco Vassallo) – ein König mit Pappkrone und nacktem Oberköper. | Bild: Karl Forster

Da ist etwa der selbstgefällige König Don Carlo (Franco Vassallo), dessen goldene Pappkrone nach seiner Wahl zum Kaiser noch einmal um 20 Zentimeter wächst und der meint, sich qua Machtstellung die hübsche Elvira (Guanqun Yu) gefügig machen zu können. Ein klarer Fall für MeToo also.

Don Ruy Gomez de Silva (Goran Juric) als alter Greis an der Gehhilfe. Hier ertappt er seine Braut Elvira mit dem Banditen Ernani.
Don Ruy Gomez de Silva (Goran Juric) als alter Greis an der Gehhilfe. Hier ertappt er seine Braut Elvira mit dem Banditen Ernani. | Bild: Karl Forster

Da ist außerdem der alte Don Ruy Gomez de Silva (Goran Juric), Onkel und Vormund Elviras, der durch eine Verbindung mit Elvira gerne noch einmal die Jugend spüren würde. Die Regisseurin zeigt ihn als gebrechlichen Greis an einer Gehhilfe, was seine Drohgebärden den Rivalen gegenüber erst recht lächerlich erscheinen lässt.

Ernani (Saimir Pirgu, Mitte) hat einen Haufen testosterongesteuerter Raufbolde um sich geschart.
Ernani (Saimir Pirgu, Mitte) hat einen Haufen testosterongesteuerter Raufbolde um sich geschart. | Bild: Dietmar Stiplovsek/APA/dpa

Und dann ist da schließlich der Titelheld Ernani (Saimir Pirgu), dessen Liebe zu Elvira zwar von dieser erwidert wird, der aber auf politischer Ebene noch ein Hühnchen mit Don Carlo zu rupfen hat, da dieser einst Ernanis Vater ermordet hatte.

Für seinen Rachefeldzug hat Ernani eine Horde Banditen um sich geschart, die de Beer als testosterongesteuerte Raufbolde zeigt, immer bereit zuzuschlagen und zu stechen, Hauptsache das Blut spritzt. Um das auf die Spitze zu treiben, hat die Regisseurin einige Stuntleute (Stunt Factory) in den Prager Philharmonischen Chor gemischt, die für die nötige Gang-Attitüde sorgen.

Ernani selbst lässt keine Gelegenheit aus, aus Gründen der Ehre seinen eigenen Kopf hinzuhalten. Fast scheint es, als bestehe sein eigentliches Anliegen darin, den Heldentod zu sterben. Damit scheitert er allerdings einige Male, nicht zuletzt weil Elvira eingreift und die Männlichkeitsrituale wieder einzufangen versucht.

Überhaupt scheint sie die einzige Vernünftige zu sein, deren Wirkmacht als Frau in diesem Kontext freilich begrenzt ist.

Ihr Glück ist nicht von langer Dauer: Ernani (Saimir Pirgu) und Elvira (Guanqun Yu).
Ihr Glück ist nicht von langer Dauer: Ernani (Saimir Pirgu) und Elvira (Guanqun Yu). | Bild: Dietmar Stiplovsek/APA/dpa

Schließlich kommt es doch noch, wie es kommen muss: Ein Hornsignal besiegelt Ernanis Schicksal: Er hatte de Silva versprochen, sich bei dem Signal umgehend zu erdolchen. Dafür hatte ihm dieser freie Hand für seine Rache an Don Carlo gewährt.

Die war zwar schließlich aufgrund eines wunderbaren Sinneswandels von Don Carlo letztlich nicht mehr notwendig, doch Silvas Eifersucht auf Ernani bleibt: Der Gehörnte stößt ins Horn, Ernani greift pflichtbewusst zum Dolch und stirbt. Elvira folgt ihm natürlich. Ausführliche Sterbe-Arie inbegriffen.

Toxische Männlichkeit

Lotte de Beers Überzeichnung bringt eine leichte Ironie in das Stück, die es für die heutige Zeit zugänglich macht, ohne es zu diskreditieren. Im Grunde sind die Themen, die hier zum Vorschein treten, ja nach wie vor hoch aktuell: Macht und Machtmissbrauch, Gewaltanwendung und eine toxische Männlichkeit. Das Wunderbare an dieser Inszenierung ist allerdings, dass de Beer diese Themen eher spielerisch angeht.

Außerdem erkennt sie etwas Allgemeingültiges in ihnen, wie sie im Programmbuch schreibt: „Das finde ich so typisch an uns Menschen: Wir wollen immer etwas besseres, als wir schaffen können. Wir wollen idealistisch sein, aber man sieht immer die Unvollkommenheit. (…) Dieses Stück hat eine hoffnungslose Botschaft, aber die Musik und die Szene sind beste Unterhaltung. Und diese Kombination gefällt mir sehr.“ Tatsächlich ist es diese Kombination aus Leichtigkeit und tiefem Ernst, die hier so überzeugend wirkt.

Blick auf die Bühne.
Blick auf die Bühne. | Bild: Dietmar Stiplovsek/APA/dpa

Ihren Widerschein findet die Unvollkommenheit auch in den Kostümen von Christof Hetzer: unfertige Reifröcke, angedeutete Ritterrüstungen, der König mit nacktem Oberkörper – alles wirkt auf raffinierte Weise wie improvisiert, ist aber freilich bis ins letzte Detail ausgeklügelt.

Da bleiben keine Wünsche offen

Raffiniert ist auch Enrique Mazzolas musikalische Interpretation. Er lässt die Farben in Verdis Partitur glühen, zeigt, dass der typische Dreivierteltakt auch zu dramatischen Szenen passt, entfesselt kraftvolle Chor-Szenen und stellt an anderer Stelle konzentrierte Intimität her.

Dafür kann er sich auf hervorragende Sänger und Sängerinnen verlassen, vornweg Guanqun Yu. Mit ihrem strömenden und einfühlsamen Sopran hatte sie vor einigen Jahren schon als Liù in „Turandot“ auf der Seebühne die Sympathien auf sich gezogen. Jetzt legt sie als rundum überzeugende Elvira nach. Aber auch SaimirPirgu, Franco Vassallo und Goran Juric lassen keine Wünsche offen.

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Schade nur, dass die Produktion in Bregenz nur wenige Aufführungen erfährt – das Festspielhaus muss stets für den Fall freigehalten werden, dass eine Seebühnen-Aufführung witterungsbedingt ins Haus verlegt wird. Vielleicht wird ja ein anderes Haus auf diese Produktion aufmerksam und übernimmt sie. Verdient hätte sie es allemal.

Weitere Termine für „Ernani“: 23. Juli um 11 Uhr, 31. Juli um 19.30 Uhr. Informationen dazu finden Sie hier.