Sehr geehrter Herr Scheck,
Ihr Kommentar zur Spiegel-Bestsellerliste hat mich an etwas erinnert, nämlich an meine Zeit als Teenager. Schon als die „Twilight“-Buchreihe populär war, war die Rechnung die gleiche: Ein Fantasy-Liebesroman einer weiblichen Autorin, plus Begeisterungsstürme von (meist weiblichen) Fans, plus Verkaufszahlen in Millionenhöhe, ergibt, meist männliche, Literaturkritiker mit erhobenem Zeigefinger, die die erfolgreichen Bücher in der Luft zerfetzen.
Beim – Zitat – „größten Scheiß, den Sie seit Langem zwischen zwei Buchdeckeln gelesen haben“ ist es genau so, wie Sie beweisen. Mit dem „größten Scheiß“ meinen Sie die Fourth Wing-, oder auch Empyrean-Reihe der Autorin Rebecca Yarros. Das dritte Buch Onyx Storm ist ein rasender Erfolg mit 2,7 Millionen verkauften Büchern in der ersten Woche. Ihnen entlockt dieser aber nur ein „Wimmern“, wie Sie selbst sagen.
Und Sie haben ja recht! Als Gott das Talent zur Autorin und zur bildhaften Sprache verteilt hat, war Rebecca Yarros, glaube ich, gerade Kreide holen. Die Satzstrukturen sind primitiv. Die Handlung steckt voller Kitsch und Klischees. Yarros‘ Fantasy-Welt überzeugt weder mit Logik noch mit Kohärenz und irgendwie nervt der weibliche Hauptcharakter ziemlich.
Eigentlich mögen Sie doch Fantasy, oder?
Aber Sie mögen das Fantasy-Genre doch eigentlich, oder? In Ihrem Kanon der wichtigsten Werke der Weltliteratur zumindest findet sich ein Fantasy-Epos über männliche Helden auf einer Heldenreise eines männlichen Autors wieder, das wohl das literarische High-Fantasy-Genre begründete, ein (positives) Männlichkeitsbild prägte und in dem Männer in goldener Rüstung das Böse besiegen durften, in dem weibliche Heldinnen aber eher eine untergeordnete Rolle spielen: Herr der Ringe.
Einem Literatur-Account auf Instagram sagten Sie, dass ein gutes Buch für Sie ein gutes Buch ist, wenn es im Idealfall Ihren Blick in eine Richtung wendet, in die Sie vorher freiwillig nicht geschaut haben und es Sie aus Ihrer „Bubble“ herausführt, in eine Ecke, in der Sie noch nicht waren. „Wer von uns war denn schon im Auenland“, fragen Sie.
Ja, aber wer von uns war denn schon auf einem Militär-College, hat seine Kameraden wie die Fliegen sterben sehen, ist auf Drachen geritten und hat gleichzeitig einen unglaublich attraktiven Liebhaber an Land gezogen und heiße Schäferstündchen erlebt, während das Land im Krieg versinkt? Das muss man erst mal hinbekommen!
Über den Tellerrand hinausschauen
Und ich verspreche Ihnen: Wenn Sie mal vom „militaristischen Softporno“, wie Sie schreiben, absehen, finden Sie auch den Hauch einer Geschichte über weibliche Selbstermächtigung und ein totalitäres System, das seine Macht über sein Volk mit Zensur, Propaganda, Manipulation und Gehirnwäsche aufrechterhält, oder: Unterhaltung und Eskapismus. Dafür ist Literatur ja schließlich auch da.
Auf jeden Fall finden Sie eine Buchreihe, die das Fantasy-Genre mit feministischen Einflüssen neu aufrollt und für einen erfolgreichen Buchmarkt sorgt. Genug also, um auch Sie aus Ihrer Bubble zu locken.