Ob er auch einen Abenteuerroman lesen würde? „Ja, wenn er gut geschrieben ist“, sagt Georg Gänswein. Entspannt sitzt der Erzbischof im Schlossgarten in Bonndorf. Ein Pavillon schirmt den Priester, der bis auf den weißen Stehkragen ganz in Schwarz gekleidet ist, vor der sengenden Augustsonne ab.
Mit SÜDKURIER-Redakteur Johannes Bruggaier plaudert der 64-Jährige an diesem Vormittag über drei Bücher, die er erstmals in jungen Jahren gelesen hat und die sein Leben geprägt haben.
In der vom Landkreis Waldshut veranstalteten Kulturreihe „Ein Mensch und drei Bücher“ spricht der Leiter der SÜDKURIER-Kulturredaktion mit Gänswein auch über dessen ganz persönliche Lesegewohnheiten. Aktuell verbringt er die Ferien in seinem Heimatort Riedern am Wald im Südschwarzwald.

Die Tatsache, dass sich unter den drei Werken Joseph Ratzingers „Einführung in das Christentum“ befindet, dürfte die Zuschauer im Bonndorfer Schlossgarten wenig verwundert haben. Schließlich war Georg Gänswein seit 2003 persönlicher Assistent von Kardinal Ratzinger und wurde 2005 mit dessen Wahl zum Papst dessen Privatsekretär. Dieses Amt bekleidet er bis heute. Offenherzig berichtet er nebenbei, dass es Benedikt XVI. nach dessen schwerer Erkrankung inzwischen besser gehe.
Ratzingers Buch? Anfangs „zu kompliziert, zu schwer“
Der Funke beim Lesen von Joseph Ratzingers „Einführung in das Christentum“, eine Zusammenfassung dessen Vorlesungen an der Universität Tübingen aus dem Jahr 1967, sei bei Gänswein jedoch „erst später übergesprungen“, wie er schmunzelnd verrät. „Mein damaliger Pfarrer hat gesagt, das musst du lesen“, erzählt der Geistliche. Mit 17 oder 18 Jahren habe er Ratzingers Werk allerdings als „zu kompliziert und zu schwer“ empfunden.
Dem Erzbischof und Privatsekretär des emeritierten Papstes Benedikt XVI. gehe es wie den meisten Menschen. Berufsbedingt müsse er viel lesen. „Berichte, Pressespiegel und Nachrichten verfolgen“, zählt Gänswein auf. Mehr als eine halbe Stunde Zeit zum Schmökern habe er im Alltag jedoch kaum. „Wenn die Augen zufallen, ist es Zeit, das Buch zuzuklappen“, gibt der Geistliche einen seltenen Einblick in sein Leben im Vatikan preis. Im Urlaub nehme er sich mehr Zeit zum Lesen.
Eine Welt ohne Religion
Dass Gänswein mit dem Buch „Der Herr der Welt“ des britischen Geistlichen Robert Hugh Benson als zweites Werk ausgerechnet einen dystopischen Roman ausgewählt hatte, der in einer Zukunft spielt, in der, so Bruggaier, „die Religionen weitgehend vom Erdboden geweht wurden“, dürfte indes überraschen. „Der Roman entwirft ein Szenario, das der Kirche nicht gefallen haben kann“, sagt der Journalist. Es sei ein Irrtum, „dass man im Vatikan wie im Elfenbeinturm lebt“, entgegnet Gänswein.
Obwohl die Kirche im Buch nicht gut wegkomme, sei es nach seinem Erscheinen 1906 nicht auf den sogenannten römischen Index gekommen, merkt der Erzbischof an. Dieses Verzeichnis listete bis Mitte der 1960er-Jahre literarische Publikationen auf, deren Lektüre aus Sicht der katholischen Kirche als schwere Sünde galt.
„Den Spiegel vorgehalten zu bekommen, kann zur Selbstreflexion beitragen“, fügt Gänswein hinzu. Der Klappentext von Bensons Roman, der in Fachkreisen als Vorläufer von George Orwells „1984“ oder Aldous Huxleys „Brave New World“ gilt, habe den jungen Theologiestudenten „elektrisiert“.
Hesses Gedicht als Vorbild für Benedikt XVI.?
Als drittes Buch sprechen Bruggaier und Gänswein über Hermann Hesses „Das Glasperlenspiel“ aus dem Jahr 1943. Der Redakteur will wissen, ob Hesse mit einem Gedicht der Hauptfigur Josef Knecht bei Benedikt XVI. den Ausschlag zum Verzicht auf das Papstamt 2013 gegeben habe. „Der Vergleich ist ziemlich gewagt, aber ich werde ihn fragen“, verspricht Gänswein lachend.
Nach seinem Sommerurlaub geht es für ihn zurück nach Rom. Auch dort sei das Thema Corona allgegenwärtig. „Seit März gibt es keine Audienzen mehr. Das hat es seit Menschengedenken nicht mehr gegeben“, sagt der Erzbischof nachdenklich.