Handwerker erschaffen nicht nur Häuser, Brote oder Schuhe. Sie basteln auch an unserer Sprache eifrig mit. Und zwar ganz ohne dafür Geld zu verlangen.

Was wäre das Deutsche ohne das Handwerk! Dann wären Lehrjahre womöglich doch Herrenjahre, ein Meister könnte doch auch vom Himmel fallen, und nicht jeder wäre seines eigenen Glückes Schmied. Keine Frage, unsere Sprache wäre um zahllose Redewendungen ärmer. Folgende Beispiele, entnommen dem neuen Buch „Pünktlich wie die Maurer“ (Duden Verlag) belegen den enormen Einfluss.

  • Jemanden hänseln: Wen eine Handwerks- oder Kaufmannsgilde „hansisch“ machte, den nahm sie in die „Hansa“ auf. Das gotische Wort bezeichnet so viel wie eine Menge oder eine größere Gruppe, gemeint war also ein Willkommensritual für neue Gildenmitglieder. Weil solche Rituale meist mit demütigenden Spielchen verbunden sind, gilt das Hänseln noch heute als Synonym für Hohn und Spott.
  • Eine Deadline setzen: Was heute so selbstverständlich wie harmlos eine ultimative Abgabefrist setzt, war einmal tatsächlich von todbringender Bedeutung. Im Amerikanischen Bürgerkrieg hatte der berüchtigte Kommandant des Gefangenenlagers Camp Sumter eine „Death Line“ eingerichtet. Wer diese Linie berührte, wurde umgehend erschossen, 13.000 Inhaftierte verloren ihr Leben. Im Druckhandwerk hielt man es später offenbar für eine originelle Idee, sich von diesem grauenhaften Ereignis inspirieren zu lassen. Jedenfalls enthielten Druckmaschinen schon bald die Beschreibung „Deadline“: Sie bezeichnete den Bereich einer Vorlage, der nicht mehr gedruckt wurde. Und weil solche Apparaturen bevorzugt im Pressewesen zum Einsatz kamen, dauerte es nicht lange, bis das Sprachbild eine neue Bedeutung erhielt: Jetzt bezeichnete es den Zeitpunkt des Redaktionsschlusses. Texte, die diese unsichtbare Linie überschritten, galten im übertragenen Sinne als tot.
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  • Ein Drahtzieher sein: Was um alles in der Welt haben dubiose Hintermänner von Verbrechen mit ehrbaren Handwerkern zu tun, die im späten Mittelalter aus Metallen Drähte zogen? Offenbar hat diese Redewendung einen weiten Weg hinter sich. Erst diente sie zur scherzhaften Beschreibung von Bettlern, die ihren Tag damit verbrachten, von Haustür zu Haustür zu gehen und jedes mal den Glockendraht zu bedienen. Dann wandelte sich die Bedeutung: Unter Einfluss des Englischen übertrug sich der Spott auf das Marionettentheater, dessen Figuren bekanntlich nach dem Willen eines unsichtbaren Akteurs tanzen. Zwar hängen sie dabei an flexiblen Fäden statt an starren Drähten. Doch weil die scherzhafte Bezeichnung „Drahtzieher“ bereits so schön etabliert war, übertrug man sie einfach auf den stets im Hintergrund agierenden Künstler. So kommt es, dass die unsichtbaren Hintermänner heutiger Tage Drähte ziehen.
  • Alles für die Katz: Einer vor 500 Jahren aufgeschriebenen Geschichte zufolge, soll im Harz einmal ein frommer, aber auch recht naiver Schmied dem Rat des Pfarrers gefolgt sein und seinen Kunden die Höhe ihrer Bezahlung selbst überlassen haben. Es kam wie zu erwarten: Mehr als ein „Vielen Dank, Herr Schmied!“ sprang für ihn nicht mehr heraus. Der Schmied, so heißt es, habe in seiner Frömmigkeit geglaubt, das Dankeschön sei wohl von ganz besonderem Wert. Und um das zu überprüfen, band er seine Katze fest und beschloss, sie fortan mit diesem Dank zu ernähren. „Katz‘, das ist für dich!“, rief er, wenn ein Kunde wieder bezahlt hatte. Das Tier war bald verhungert – die Redewendung lebt bis heute fort.
Rolf-Bernhard Essig: „Pünktlich wie die Maurer – Handwerksredensarten und ihre wunderbaren Geschichten“, Duden Verlag ...
Rolf-Bernhard Essig: „Pünktlich wie die Maurer – Handwerksredensarten und ihre wunderbaren Geschichten“, Duden Verlag 2022; 192 Seiten, 12 Euro.
  • Einem schwimmen die Felle davon: Ja, so ergeht es einem, wenn sich ein sicher geglaubter Erfolg plötzlich in Luft auflöst. Aber welche Rolle spielt dabei das Fell? Soll aus Tierhaut Leder werden, müssen Gerber sie erst mühsam von Haaren, Fett und Fleisch befreien. Dazu nutzen sie unterschiedliche Gerbstoffe, die unter anderem dafür sorgen, dass dieses Naturprodukt nicht während des Umwandlungsprozesses zu faulen beginnt. Damit alles reibungslos funktioniert, gilt es, die Haut immer wieder gründlich zu reinigen. Zum Beispiel an einem nahe gelegenen Flusslauf. Und jetzt wird klar, woher die Redewendung von den davonschwimmenden Fellen stammt: von Gerbern nämlich, die bei starker Strömung mit ansehen mussten, wie ihre beinahe bereits fertig produzierte Lederware einfach auf Nimmerwiedersehen verschwindet.
  • Nach Strich und Faden: Wer heute in dieser Präzision etwas prüft, der meint es ganz genau. So erging es auch den Meistern der Weberzünfte beim Blick auf ihre Ware. Stoffe, die ihren strengen Qualitätsansprüchen nicht genügten, ließen sich nämlich an deutlich sichtbaren Längsfäden erkennen. In diesem Fall trat die Grundstruktur des Gewebes bereits offen und schutzlos zutage, man musste also damit rechnen, dass der Stoff schon bald reißen würde. Mit der Zeit übertrug sich das Prüfverfahren der Weber auf das Argumentieren etwa an Universitäten. Wer hier „nach Strich und Faden“ betrog, der offenbarte allzu leichtfertig die Grundstruktur seiner eigennützigen oder sogar manipulativen Absicht. Entsprechend ist bis heute auch von „durchsichtigen Argumenten“ die Rede.
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  • Hanebüchener Unsinn: In früheren Zeiten haben die Drechsler noch selbst aus dem anspruchsvollsten Holz nützliche Gegenstände zu schnitzen vermocht. Zum Beispiel aus dem harten Zellstoff der Hainbuche, auch Hagebuche genannt. Unsinn freilich muss nicht erst geschnitzt werden, der wächst ganz von allein. Und tut er das in Gestalt des hanebüchenen Holzes, so ist er eben besonders derb und roh.
  • Pünktlich wie die Maurer: Wer hat nicht schon einmal dieses Lob für zeitiges Erscheinen vernommen? Und mal ehrlich: Wer hat sich noch nicht dabei im Stillen gefragt, warum ausgerechnet Maurer so viel Wert auf die Uhrzeit legen sollen? Die Antwort jedenfalls ist ernüchternd. Maurer sind nämlich keineswegs so zeitversessen, wie die Redewendung behauptet! „Pünktlich“ bedeutete bis ins 19. Jahrhundert vielmehr so viel wie „exakt, auf den Punkt genau“. Und genau das bezog sich nicht etwa auf Uhrzeiten, sondern eine möglichst präzise Arbeit beim Errichten einer Mauer.