Wir leben in empörten Zeiten. Es gibt so viel, über das man sich aufregen kann: Ignoranz von Mitmenschen, Inkompetenz von Politikern, Bräsigkeit von Behörden, Dummheit, Egoismus und die Fifa.
Und es gibt so viele Anlässe, seit digitale Medien uns empörende Ereignisse auf die Smartphones spielen und die Algorithmen der angeblich sozialen Plattformen empörte Beiträge mit Sichtbarkeit belohnen.
Ärger ist die Basis
Merken Sie, wie ihr Blut anfängt zu wallen? Das liegt daran, dass Sie sich kaum dagegen wehren können, empört zu sein. Empörung ist eine starke, aber auch eine komplexe Emotion. Ihre Basis ist der Ärger.
Wir ärgern uns, wenn etwas nicht so läuft, wie wir es gern hätten – wenn also Wunsch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Wir wollen spazieren gehen, aber es regnet: Wie ärgerlich!

Für die Empörung braucht es zusätzlich eine soziale Komponente. Wir empören uns, wenn wir uns über andere Menschen ärgern – vor allem dann, wenn sie sich entgegen der Normen verhalten, die uns selbst wichtig sind.
In der Empörung steckt also immer auch ein Wunsch nach Gerechtigkeit. Wobei wir automatisch das als richtig definieren, was wir selbst richtig finden.
Zurück zum Konsens?
So hat die Empörung eine soziale Funktion: Sie löst in uns ein starkes Gefühl aus, wenn wir die gesellschaftliche Übereinkunft bedroht sehen. Das sprechen wir dann aus, prangern an – und hoffen, dass der Störenfried Einsicht zeigt und wieder Konsens einkehrt.
Was in einer überschaubaren Welt (Clan, Dorf) noch regulierend wirkte, läuft heute aus dem Ruder. Empörende Informationen aus aller Welt übersteigen unsere emotional-moralischen Verarbeitungs-Kapazitäten.

Außerdem existiert „die Gesellschaft“ als geschlossener Werte-Körper nicht mehr. Wir gehören unterschiedlichen Teil-Gesellschaften mit oft gegensätzlichen Normen an. Bei der Arbeit empören wir uns vielleicht über den autoritären Chef, auf dem Fußballplatz hingegen über den unentschlossenen Mannschafts-Kapitän.
Unsere Empörung hat kein Fundament mehr. Die Gefahr ist, dass sie irgendwann zum Selbstzweck wird und Gruppen erzeugt, die sich nur noch über die Ablehnung anderer definieren.
Empörung allein ändert nichts
Denn Empören fühlt sich so gut an! Immer, wenn wir eine Abweichung bei anderen benennen, erhöhen wir uns selbst moralisch. Wir bestätigen uns, auf der richtigen Seite zu stehen. Wir boostern unseren Selbstwert, allerdings ohne wirklich etwas zu verändern. Denn wer sich empört, macht zwar Krach, aber keinen Unterschied.
Einen Tweet über Rassisten zu schreiben, beseitigt Rassismus nicht. Kunstwerke mit Kartoffelbrei zu bewerfen, hat keinen Einfluss auf die Erderwärmung. Klima-Aktivisten als Spinner zu bezeichnen, aber auch nicht.
Die Lösung? Nun ja – wir Menschen sind ja nicht nur mit Emotionen gesegnet, sondern auch mit Verstand, um unsere Emotionen zu durchleuchten: Wieso genau regt mich das jetzt so auf? Welche guten Gründe könnte dieser empörenswerte Mensch da haben, sich so zu verhalten, wie er es tut?
Wenn wir das versuchen, können wir Empörung durch Neugier und Demut ersetzen. Es gibt andere Standpunkte als meinen. Was richtig sein mag, ist nicht immer eindeutig. Wer sich anbrüllt, löst keine Probleme.
Ach ja, worüber haben Sie sich zuletzt so richtig aufgeregt? Und was tun Sie jetzt dagegen?