In unserer Sprache lebt die Fasnacht auch nach Aschermittwoch weiter. Denn viele Wörter und Redewendungen sind mehr von der Narretei durchdrungen, als man denkt. Der Germanist und Volkskundler Werner Mezger hat die Fasnachtskultur intensiv erforscht – und dabei so manche sprachliche Entdeckung gemacht. Gegenüber dem SÜDKURIER erklärt er, welche das sind.
Der Narr
Nicht jeder Narrenbaum ist kahl und trägt bunte Bänder. Mancher steht mitten in einer Obstplantage. Dass ein Baum „Narren“ trägt, ist unter Landwirten nämlich gar nichts Ungewöhnliches: Gemeint sind damit verkümmerte Früchte.
Auch der britische und französische Narr („Fool“ bzw. „Fou“) bezieht seinen Namen von diesen traurigen Erscheinungen, geht er doch zurück aufs lateinische „Follis“: „Leerer Beutel, Hülle ohne Kern“. Wie aber gelangt der leere Beutel in die Fasnacht – oder umgekehrt: der Narr an den Obstbaum?
Die Antwort liegt in einer Zeit, als die Fasnacht statt der Narren noch von Teufeln und Dämonen bevölkert war. Die mittelalterliche Idee lautete: Wenn die Fastenzeit im Zeichen der strahlenden Herrschaft Gottes steht, muss es zuvor eine Zeit geben, die ans Dunkle, Böse, Abgründige gemahnt.
Wer sich also im 14. Jahrhundert zur Fasnacht nach Narren erkundigt hätte, dem wären alle möglichen Menschen begegnet, nicht jedoch singende Frohnaturen. „Der Begriff ‚Narr‘ war breit gestreut“, sagt Mezger. „Man verstand darunter alle Personen, die nach damaligen Vorstellungen nicht der biblischen Idealvorstellung vom Menschen als Ebenbild Gottes zu entsprechen schienen.
Das reichte vom Gottesleugner über Menschen mit geistiger Behinderung bis zu Personen, die sich absichtlich dumm stellten.“ Der Begriff „Narr“ bedeute so viel wie unvollkommen, verwachsen, außerhalb einer Norm.
In die Fasnacht stolperte der Narr erst im 15. Jahrhundert: eine Zeit, die in ihren gewaltigen Veränderungen an unsere Epoche erinnert. Johannes Gutenberg erfand den Buchdruck, Christoph Kolumbus entdeckte Amerika, und der Basler Humanist Sebastian Brandt schrieb seine Moralsatire „Das Narrenschiff“. Er verarbeitete darin die vorherrschende Empfindung, wonach die ganze Welt nicht mehr der Norm entspricht, also buchstäblich närrisch wird. So kam es, dass die Fasnacht schon bald nicht mehr allein dem Teufel gehörte, sondern zum Reich der „leeren Beutel“ wurde: der Narren.
närrsch, narret
Wer „närrisch“ ist, hat gute Laune. Das sieht jedoch im Alemannischen und Schwäbischen ganz anders aus. Spricht jemand davon, „närrsch“ oder „narret“ zu werden, sollte man ihm besser aus dem Weg gehen. Er ist dann nämlich außer sich vor Wut. „Hier hat sich die dämonische Seite der Narrenfigur noch erhalten“, sagt Mezger. Bemerkenswert: Das gilt nur für den Dialekt und auch da ausschließlich für das Adjektiv.
launisch
Jetzt kommt der Mond ins Spiel. Im Mittelalter zählten ihn die Menschen zu den Planeten. Und wer in seinem Zeichen das Licht der Welt erblickte, kam vor allem für feuchte Berufe infrage: Wassermüller, Fischer, Schleifmühlenbetreiber.
Doch auch so windige Gestalten wie Spieler und Gaukler galten als Kinder des Mondes. Schließlich galt er im Unterschied zur Sonne als wenig verlässlicher Geselle. Mal stand seine Sichel linksrum, mal rechtsrum, mal gab‘s Neumond, dann Vollmond: Wer so wechselhaft vom Himmel schaut, ist der ideale Pate für sprunghafte, unstete Menschen!
Nirgends zeigte sich diese Verbindung so deutlich wie in der Fasnacht, die wegen ihrer kalendarischen Abhängigkeit von Ostern meist um den Neumond herum beginnt. Zur Welt gebracht haben soll die Narretei nämlich die fiktive Figur der Narrenmutter, ein von der biblischen Eva inspirierter Mythos, der über weite Teile Europas verbreitet war. Im französischen Dijon entdeckte Mezger eine besonders eindrucksvolle Darstellung: Zu sehen ist das Gesicht der Narrenmutter, rechtsseitig umrahmt von der dünnen Sichel des Mondes.
Unstete, sprunghafte, also wahrhaft närrische Menschen einerseits, der Mond andererseits: Dieses Wechselverhältnis brachte den Forscher auf einen Gedanken. Wenn „Mond“ im Lateinischen „Luna“ heißt, müsste das passende deutsche Adjektiv nicht „lunisch“ lauten?
„Ich kannte aus dem Französischen den Begriff ‚Lunatique‘ und aus dem Englischen ‚Lunatic‘“, sagt Mezger: „Deshalb habe ich einfach im etymologischen Wörterbuch nachgeschlagen. Und tatsächlich: Unser Wort ‚launisch‘ geht auf ‚lunisch‘ zurück. Es bezeichnet Menschen, die so unstet sind wie der Mond!“
Humor
Auch bei diesem Wort spielt der Mond eine entscheidende Rolle. Und zwar in seiner bereits genannten Doppelfunktion: einerseits als Planet der Spieler und Gaukler, andererseits als Regent über die Feuchtigkeit. Wie nämlich lautet deren lateinischer Name? Richtig: „Umor“!
Kein Wunder also, dass jemand, der närrisch war und damit zugleich im Zeichen der feuchten Berufe stand, allmählich zum „Humoristen“ wurde. Er sei sich ganz sicher, betont Mezger. Nämlich zum einen über diese Herkunft. Und zum anderen: „dass das von den heutigen Spaßmachern bestimmt niemand weiß!“
Narro, narro, siebe, siebe:
Mit geschichtsträchtigen Kulturgütern, sagt Mezger, sei es eine verrückte Sache. Dort, wo sich eine Jahrhunderte alte Tradition nachweisen lasse, beharrten die Menschen darauf, den jeweiligen Erfinder noch persönlich gekannt zu haben. Und statt stolz zu sein auf ihre Verflechtung in die europäische Kulturgeschichte, seien sie nicht von der Idee abzubringen, es handele sich bloß um eine lokale Spezialität.
Der Ausspruch „Narro, narro, siebe, siebe“ zum Beispiel verdanke sich – anders, als manche Legende es will – eben nicht dem Geistesblitz irgendeiner örtlichen Fasnachtsgröße. Vielmehr gehe er auf die schon erwähnte Figur der Narrenmutter zurück. Darstellungen wie der auf 1528 datierte Narrenteller von Ambras zeigen sie mit ihren Söhnen.

Nicht vier, fünf oder sechs: Nein, genau sieben müssen es sein. Warum?
„Da tut sich wieder ein ganzes Universum auf“, ächzt Mezger. Und lässt dann einen Vortrag über die mystische Bedeutung der Zahl Sieben folgen. Wichtigster Punkt: die Erschaffung der Welt an sieben Tagen (inklusive Ruhetag). Wenn Eva laut Genesis das Böse in die Welt gebracht haben soll, so ist die Narrenmutter als Ursprung der Narretei ihre Verwandte. In den sieben Kindern zeigt sich also der Bezug zum Schöpfungsmythos.