In meinem Wohnzimmer hängt ein Ölgemälde, ein Erbstück von meiner Großmutter. Es zeigt einen norwegischen Fjord. Schneebedeckte Berge, ein Dampfschiff, ein Fischerboot. Winzige Möwen, die, wenn man ganz nah herangeht, nur hauchfeine weiße Pinselstriche sind. Der Himmel ist tiefblau.

In meiner Erinnerung hängt das Bild über dem Sofa im Wohnzimmer meiner Oma und ist für mich untrennbar mit seinem Rahmen verbunden. Der ist breit, golden, verziert mit geschnitzten Blätter-Ornamenten. Ein Rahmen wie aus dem abgelegenen Raum eines Nationalmuseums. Pompös und kitschig und genau damit ein maximaler Kontrast zum nordisch-kühlen Fjord-Motiv.

Altes Bild in neuem Rahmen

Manchmal stelle ich mir vor, wie es wäre, das Bild in einen ganz anderen Rahmen zu setzen. Zum Beispiel in einen schmalen aus gebürstetem Aluminium. Oder einen schneeweißen, der weit hervorragt wie ein Fensterrahmen. Oder in einen schwarz angepinselten Rahmen aus groben Holzlatten. Die Möwe bliebe dieselbe, das Fischerboot, der Schnee, der Dampfer.

Und doch würde sich für mich die Resonanz verändern, die das Bild in mir anschlägt: Es würde unterkühlt und gleichgültig wirken im Alu-Rahmen. Haltlos und indifferent im weißen Fensterrahmen. Düster und unsympathisch zwischen den schwarzen Latten. Oder vielleicht doch ganz anders: wertvoll und spannend gebrochen im Alu. Elegant im weißen Fenster. Spannungsreich in der schwarzen Begrenzung. Egal wie: Mein verschnörkelter Goldrahmen wäre leer – und einfach nur noch geschmacklos.

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Wenn wir vertraute, scheinbar bekannte Dinge in einen neuen Zusammenhang bringen, kann es sein, dass wir sie ganz anders verstehen – und auch den bisher als alternativlos erfahrenen Kontext infrage stellen. Reframing ist das Wort dafür – Neu-Rahmung.

Wann könnte das gut sein? Immer dann, wenn es um eine Entscheidung, eine Lebenssituation, das Verhalten eines Mitmenschen geht. Ein Beispiel. Ein dreijähriges Kind (das eigene, ein Enkel, ein wildfremdes auf dem Nachbarsitz im Zug) zetert und weigert sich zu tun, was es tun soll (die Nase putzen, eine Mütze anziehen, einen Schluck Wasser trinken). Erste Gedanken und Bilder: Das Kind hört nicht, es trotzt, es will mich provozieren. Der Rahmen, durch den ich das Bild des tobenden Kindes anschaue, bin ich selbst.

Aus dem tobenden wird ein lernendes Kind

Wenn ich nun diesen Rahmen ersetze durch die Perspektive des Kindes, dann kann plötzlich das Bild eine völlig andere Bedeutung bekommen. Dann sehe ich vielleicht einen kleinen Menschen, der versucht, zu lernen, wo seine eigene Selbstbestimmung anfängt und seine Freiheit endet – ich sehe kein tobendes, sondern ein lernendes Kind. Oder ich stelle mir vor, wie eine langweilige Zugfahrt, die stickige Luft und die Unsicherheit des Ortswechsels wirken können – dann sehe ich ein Kind, das nicht weiß wohin mit seinem Unwohlsein und es, weil es darüber noch nicht sprechen kann, in Abwehr übersetzt.

So in einen neuen Rahmen gesetzt, können negative Dinge positiv erscheinen (und umgekehrt). Wir können erfahren, dass die Welt nie „so ist“. Wir beginnen zu verstehen, dass wir eigentlich nicht wahrnehmen, sondern wahrgeben – dass wir selbst entscheiden können, wie wir auf die Dinge blicken. Auf uns selbst, auf ein kleines Kind im Zug, auf einen norwegischen Fjord, auf die ganze Welt.