Es war am Wahlsonntag das Ergebnis, das die Umfragen im Vorfeld der Europawahl erwarten ließen. Der Schock nach den ersten Prognosen saß jedoch vor allem bei den Ampel-Parteien SPD und Grüne tief. Beide mussten Stimmenverluste hinnehmen, nur die FDP konnte ihr Ergebnis der letzten Wahl halten.
CDU-Chef Friedrich Merz erklärte CDU und CSU zwar zum Sieger, aber über allem schwebte das starke Abschneiden der AfD. Die Ankündigungen der anderen Parteien, den Vormarsch der Rechtspopulisten stoppen zu können, haben sich als Luftblase entpuppt. Die Folge ist klar: Ampel und Union werden ihre Strategien bis zu den Ost-Landtagswahlen im September und vor allem für die Bundestagswahl im kommenden Jahr komplett überarbeiten müssen.

In der SPD-Zentrale drückten die Gesichter aus, was 14 Prozent für die Sozialdemokraten bei dieser Europawahl bedeuten. Die Sozialdemokraten konnten selbst das schwache Ergebnis von 2019 nicht halten. Nachdem es zunächst still ist im Atrium des Willy-Brandt-Hauses, geht so etwas wie ein Aufstöhnen durch den Saal, als das Ergebnis der AfD erscheint. Die Rechtsnationalen sind stärker als die Genossen. „Damit es am rechten Rand eng wird“, steht auf einem Wahlplakat an der Fassade der Parteizentrale. Von wegen.
Olaf Scholz ist angezählt
„Das ist für uns ein bitterer Abend. Da gibt es nichts zu beschönigen“, gestand Spitzenkandidatin Katarina Barley das schlechte Abschneiden der Sozialdemokraten ein. 2019 hatten 15,8 Prozent bei der SPD etwas ins Rutschen gebracht. Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles trat eine Woche später von ihren Ämtern zurück. Und heute? „Dass Dinge anders werden müssen, ist glasklar“, sagte der Parteivorsitzende Lars Klingbeil. Er wird nicht den Kanzler meinen. Aber alle wissen, dass Olaf Scholz mit diesem Ergebnis angezählt ist. Dieser schaute etwa anderthalb Stunden nach den ersten Zahlen im Willy-Brandt-Haus vorbei und machte lächelnd Fotos mit Parteimitgliedern. Zur Wahlklatsche sagen wollte er nichts. „Nö“, antwortete er auf die Fragen der wartenden Reporter.
SPD-Chef Klingbeil nahm vorweg, was CDU-Chef Merz später fordern sollte: einen sofortigen Politikwechsel der Ampel. Andeutungen in Richtung vorgezogener Bundestagswahlen machte Merz keine. Denn der 68-Jährige muss sich fragen, warum die AfD im Vergleich zur letzten Europawahl um etwa fünf Prozentpunkte und damit um fast 50 Prozent zulegen konnte. Im Osten wurden die Rechtspopulisten stärkste Kraft, das lässt schon jetzt erahnen, dass die Ost-Landtagswahlen im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg so ausgehen werden, wie die Umfragen es andeuten: Mit klaren Siegen der Alternative für Deutschland. Der Blick in die Wählerwanderungen zeigt darüber hinaus, dass die Union deutlich mehr Stimmen an die AfD verloren hat als alle anderen Parteien.
AfD blickt zuversichtlich auf kommende Landtagswahlen
Die AfD hatte sich zwar ein noch besseres Ergebnis als die 16,5 Prozent an diesem Wahlabend erhofft. Aber Parteichef Tino Chrupalla strotzte bei der Wahlparty vor Selbstbewusstsein, er musste seine Anhänger, viele mit Deutschlandflaggen in den Händen, gar nicht anfeuern. Sie wissen, dass sie zuversichtlich auf die kommenden Wahlen blicken können.

Ganz anders bei den Grünen. Deren Wahlparty in der Berliner Columbiahalle geriet düster. Nur ein wenig grünes Licht erhellte den Ort, an dem sonst Konzerte gespielt werden. Die Mienen der Co-Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour sowie von Spitzenkandidatin Terry Reintke waren demonstrativ gefasst. Das große Thema der Grünen ist weg. Vor fünf Jahren konnte Robert Habeck noch frohlocken „Der Klimaschutz wurde gewählt.“ Doch inzwischen ist das „grüne Wunder“ vorüber, die Zeiten sind andere, vielleicht auch wegen des vermurksten Heizungsgesetzes.