Martin Schäfer

Der neue Testturm der Aufzugsfirma ThyssenKrupp in Rottweil ein Gigant: Mit seinen 246 Metern Höhe ist der Turm das höchste deutsche Gebäude südlich der Bankentürme von Frankfurt am Main. Nur sein schmaler und eher schornsteinhafter Umriss deutet darauf hin, dass es sich nicht um einen der üblichen Büro-Silos handelt. Dennoch reagiert dieser Turm auf Wind genauso wie seine fülligeren Brüder: Er schwankt. Je nach Windstärke sind das beim Rottweiler Wolkenkratzer bis zu 76 Zentimeter Seitwärtsbewegung an der Spitze.

Doch man muss nicht auf den Wind warten, um diese Schwingungen zu Testzwecken zu erleben und zu nutzen. Denn überall auf der Welt, wo ein neuer Wolkenkratzer in den Himmel wächst, muss gegen Schwingungen, die meist durch Winddruck entstehen, Vorsorge getroffen werden. Diese Technik kann nicht von der Stange gekauft werden. Sie muss für jedes Hochhaus individuell entwickelt werden. Dafür haben sich die Thyssen-Ingenieure etwas einfallen lassen: Mit einem sogenannten aktiven Schwingungstilger lassen sich Gebäudeschwingungen von Hochhäusern simulieren. Sie können sogar weitaus größer als der Rottweiler Turm sein. So kann schon vor der Grundsteinlegung berechnet werden, wie schwer der Tilger sein muss und wo genau er eingebaut werden muss.

Der Schwingungstilger im Testturm ist ein Paket aus Betonplatten. Zusammen wiegen sie 240 Tonnen. Das Gewicht ist an acht Stahlseilen ...

Der Schwingungstilger im Testturm ist ein Paket aus Betonplatten. Zusammen wiegen sie 240 Tonnen. Das Gewicht ist an acht Stahlseilen frei schwingend aufgehängt.

„Derzeit gibt es auf der Erde rund 180 Gebäude, die mehr als 300 Meter hoch sind“, sagt der Chef der Aufzugssparte Andreas Schierenbeck. Und die Zahl der Wolkenkratzer steigt weiter. Diese Gebäude stehen und entstehen überwiegend im asiatischen Raum. Forschung und Entwicklung der modernen Gebäudetechnik sind allerdings häufig in Deutschland angesiedelt.

Der Rottweiler Aufzugsturm ist im Rohbau fertig. Die Bauarbeiter haben die Glaswände der Aussichtsplattform schon fertig montiert. Die war ein Geschenk an Rottweil: Die Bürger fühlten sich angesprochen und eingebunden. Von Bürgerprotesten gegen den weithin sichtbaren Neubau keine Spur. Die öffentlich zugängliche Plattform, die in einer Höhe von 232 Metern über einen verglasten Panoramalift erreicht wird, „ist die höchste in Deutschland und Europa“, betont Schierenbeck. Die Eröffnung für Besucher ist dem aktuellen Stand zufolge im Mai 2017. Dann hoffen die Betreiber auf Besucherzahl von bis zu 100 000 pro Jahr am Turm.

Doch schon jetzt freut sich die Baustelle starken Interesses seitens der Bevölkerung. Es gibt reine Baustellenführungen des Tourismus-Büros der Stadt. Eine kleine Ausstellung informiert am Fuß des Turms über den Bau – im Jahr 2015 wurden 50 000 Interessierte gezählt. Wahrscheinlich schauen sich derzeit mehr Menschen den Neubau an als die älteste Stadt Baden-Württembergs selbst, die sich auch als Stadt der Türme bezeichnet. Da passt der Aufzugsturm gut dazu. „Moderne trifft Tradition“, sagt Rottweils Oberbürgermeister Ralf Broß. Durch die Star-Architekten Helmut Jahn und Werner Sobeck erhält die derzeit graue und unschöne Betonröhre noch eine attraktive Fassade.

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Für eine größere Ansicht anklicken | Bild: SK

Betriebsbeginn für die Aufzugstests ist nach Angabe von Andreas Schierenbeck dieser Dezember. Dann düsen die ersten Aufzüge durch die neun Testschächte. Hinzu kommen noch zwei weitere Schächte für die Feuerwehr und der Besucherlift auf die Panoramaplattform. Hauptziel der Forschung und Entwicklung sind einerseits Hochgeschwindigkeitsaufzüge, die mit bis zu 65 km/h den Turm hinaufsausen. Anderseits will ThyssenKrupp hier sein neues Konzept von Magnetschwebekabinen austesten. Das sind Aufzugskabinen ohne Seil, die nur Kraft zweier Magnetführungen durch den Schacht bugsiert werden. Das allerdings eher bei der gewohnten Schrittgeschwindigkeit. Das besondere daran: Es können mehrere Kabinen in einem viele hundert Meter langen Schacht fahren, der dadurch viel besser ausgenutzt wird.
 

Über horizontale Verbindungsmechanismen können die Kabinen auch den Schacht wechseln. Schierenbeck betont insbesondere die Sicherheit: Bei Stromausfall können die Kabine nnicht herunterfallen. „Die Kabine senkt sich dann mit höchstens fünf Zentimeter pro Sekunde langsam nach unten“, sagt Schierenbeck. Der Sicherheitsmechanismus funktioniert genauso wie bei einer sogenannten Wirbelstrombremse schneller Schienenfahrzeuge.

Prinzipiell hätte das Unternehmen den Testturm auch wie einen Bergwerksschacht in die Tiefe versenken können. Doch die Forscher und Entwickler wollen mit dem frei stehenden Turm insbesondere das reale Gebäudeverhalten und die Wechselwirkung mit dem Aufzug untersuchen. Im Wind schwingt der Turm, bei Sonne verbiegt sich die Konstruktion. Das muss die Aufzugstechnik berücksichtigen. Technisch können Schwingungen durch die Gegenschwingung eines Pendels kompensiert werden. Daher befindet sich auf rund 193 Metern ein Schwingungsdämpfer. Der hängt an acht Seilen, wiegt stolze 240 Tonnen und fängt gewissermaßen den Windstoß auf das Gebäude ab. Er hilft, die maximale Turmauslenkung im Sturm auf 76 Zentimeter zu begrenzen.

Der Tetstturm erhebt sich aus der Landschaft.
Der Tetstturm erhebt sich aus der Landschaft.

„Doch wir können den Turm auch aktiv schwingen lassen, wie etwa das One World Trade Center in New York“, sagt Andreas Schierenbeck. An der Dämpfermasse – das sind meist riesige zusammengefügte Betonquader – machen sich dann mehrere Elektromotoren zu schaffen und lenken das Pendel aus. Die Bewegungsenergie überträgt sich über die Aufhängung auf das Gebäude und bringt es zum Schwingen. Mit einer Schwingungsperiode von acht Sekunden können die Ingenieure das in Rottweil simulierte One World Trade Center (Höhe bis zum Dach 417 Meter) hin- und herschwingen lassen. Schierenbeck sagt dazu stolz: „Diese Option gibt es bei keinem anderen Testturm.“

 

Video vom Aufzug-Testturm in Rottweil

 

Schon gewusst?

Manche Leute meinen, Hochhäuser schwankten bei Sturm an ihrer Spitze einige Meter hin und her. Das ist falsch. Bei solchen Schwankungen müsste das Fensterglas bersten. Wolkenkratzer schwanken in der Regel nur um Zentimeter. Die sogenannte Kopfauslenkung wird auch im heftigsten Sturm nicht viel größer. Nach amerikanischen Vorschriften etwa darf sich auch bei einem Erdbeben oder einem Hurrikan ein Stockwerk gegenüber dem darunterliegenden um maximal 0,5 Prozent der Stockwerkshöhe verschieben. Wenn ein solcher unwahrscheinlicher Extremwert in allen Etagen gleichzeitig erreicht wird, schwankt ein 300 Meter hoher Wolkenkratzer an der Spitze nur um 1,50 Meter. Menschen empfinden übrigens nicht die Größe des Ausschlages oder der Kopfauslenkung eines Gebäudes als unangenehm, sondern die Beschleunigung, die der Körper erfährt, wenn das Bauwerk schwankt. (mic)
 

Im Turm Taipai (2.v.r.) hängt ein 660 Tonnen schweres Pendelgewicht
Im Turm Taipai (2.v.r.) hängt ein 660 Tonnen schweres Pendelgewicht | Bild: David Chang (EPA)

Schwere Gewichte gegen Schwingungen

  • Schwingungsdämpfer: So heißen die meist viele Tonnen schweren Gewichte, die die Schwingungen von hohen Bauwerken begrenzen sollen. Die Schwingungen werden meistens vom Wind erzeugt, der in großen Höhen Geschwindigkeiten weit jenseits der 100 km/h erreichen kann, oder auch von Erdbeben. Dagegen muss vor allem in Ostasien (Indonesien, Philippinen, Japan) Vorsorge getroffen werden, weil hier tektonische Platten aneinanderreiben, die Erdbeben auslösen. Auch Gebäude, die im Umkreis von großen Industriemaschinen liegen, die heftige Schwingungen erzeugen, werden mit Dämpfer-Systemen ausgerüstet.
    Werden sie in Hochhäusern eingebaut, nennt man sie Tilgerpendel oder Tilger.
  • Brücken: Nicht nur bei hohen Autobahnbrücken, sondern auch bei niedrigen Fußgängerbrücken können Schwingungen auftreten, die meist der Wind verursacht. Daher werden in Brücken Schwingungstilger verbaut, so bei der Millennium Bridge in London, die für Fußgänger die Themse auf 325 Metern Länge überspannt.
  • Bekannte Gebäude: In der Turmspitze des Berliner Fernsehturms am Alexanderplatz hängt ein Tilgerpendel. Es wiegt 1,5 Tonnen. Der bekannte Turm Taipei 101, der 508 Meter hoch ist, hat einen 660 Tonnen schweren Tilger gegen Winddruck. Im Comcast Center in Philadelphia (US-Ostküste, Höhe: 297 Meter) hängt der größte wassergefüllte Tilger der Welt. Er wiegt 1300 Tonnen. (mic)