Henner Kotte

Bald werden die Bürger der Stadt Leipzig über Zeppelin reden und fluchen: „Ausgerechnet zur Fußball-EM: Zeppelinbrücke zwei Jahre gesperrt!“ Die Zeppelinbrücke ist eine der wichtigsten Ost-West-Verbindungen der Stadt und führt direkt ins Sportgelände auf die Frankfurter Wiesen zum EM-2024-Spielort Red-Bull-Arena und dem sportwissenschaftlichen Komplex der Universität.

Die Zeppelinbrücke in Leipzig. Im Hintergrund das Sportgelände um die Red-Bull-Arena.
Die Zeppelinbrücke in Leipzig. Im Hintergrund das Sportgelände um die Red-Bull-Arena. | Bild: Henner Kotte

Entworfen hat die Brücke Stadtbaudirektor Hugo Licht (1841-1923), gebaut wurde sie in den Weltkriegsjahren 1914/18. Sie quert das Elsterbecken, eine Hochwasserstauanlage. Einerseits steht hier das unvollendete Richard-Wagner-Nationaldenkmal, andererseits war neben ihr die Regattastrecke für die Olympischen Spiele 2012 geplant. Graf Zeppelins Name ehrte den Innovator und ehrte die Stadt.

„Ernste Enttäuschung“

Am 3. Juli 1900 aber hatte die „Leipziger Volkszeitung“ zunächst hämisch kommentiert: „Des Grafen Zeppelin lenkbares Luftschiff hat bei seinem ersten Aufstieg den zahlreich herbeigeströmten Zuschauern, darunter den aristokratischen Freunden des Luftschiffers, die sich für adelige Luftschiffart interessieren, eine ernste Enttäuschung gebracht“, hieß es.

„Tagelang war alles in atemloser Spannung gehalten worden; als der Tag der geplanten Auffahrt, der 1. Juli, kam, stellte sich heraus, dass die Ballons nicht fünf, sondern fünfundzwanzig Stunden zur Füllung brauchten.“ Doch beeindruckte letztlich Zeppelins aerotechnischer Erfolg, und die Messemetropole widmete dem Konstrukteur ihre neue Brücke.

Neuer Technik intensiv zugetan

Neuerungen stand Leipzig auch verkehrstechnisch aufgeschlossen gegenüber: Bereits am 21. Februar 1784 war der erste Heißluftballon aufgestiegen. Deutschlands erste Ferneisenbahn fuhr am 7. April 1839 von Leipzig nach Dresden. Öffentlichen Nahverkehr gibt es seit 1872.

Leipzigs erster ziviler Flugplatz eröffnete im April 1911 als zweiter überhaupt in Deutschland nach Hamburg. Das Schkeuditzer Kreuz war 1936 das erste Autobahnkreuz Deutschlands. Und auf dem nahegelegenen Flughafen landeten sowohl französische wie sowjetische Überschallmaschinen. Mittlerweile produzieren vor Ort sowohl Porsche als auch BMW.

Leipzig hatte 1896 erstmals die Mustermesse ausgerufen: Man verkaufte nicht mehr Warenmassen, sondern zeigte ihre bestellbaren Muster. Dazu wurden Ausstellungsflächen benötigt und neue große Häuser. 1912 fand der Bauboom seinen Höhepunkt mit Mädler-Passage, Specks-Hof und dem Zeppelin-Haus. Rauchwarenhändler Felix Reimann hatte 1908 in der belebten Nikolaistraße Grundstück Nr. 29 erworben und kaufte Nr. 27 später dazu.

Vom Bierausschank zu edlen Pelzen

Bislang schenkte man hier Bier im „Breuhahn“ aus. Reimann ließ abreißen und beauftragte Architekt Gustav Pflaume mit der Bebauungsplanung. Der Leipziger hinterließ der Stadt namhafte Häuser wie die älteste Turnhalle (Torgauer Straße 15), das Messehaus Drei Könige (Petersstraße 32/34) und das Eitingon-Krankenhaus (Eitingonstraße 12).

Kaufmanns-Palast: Der Leipziger Rauchwarenhändler Felix Reimann ließ 1911/12 in der Nicolaistraße ein Geschäftshaus bauen, das er zu ...
Kaufmanns-Palast: Der Leipziger Rauchwarenhändler Felix Reimann ließ 1911/12 in der Nicolaistraße ein Geschäftshaus bauen, das er zu Ehren von Luftschiff-Pionier Ferdinand von Zeppelin nach ihm benannte. Über dem mittleren Fenster im ersten Stock prangt ein Relief des Grafen. | Bild: Henner Kotte

Sein markantestes Gebäude aber bleibt das Haus Nikolaistraße 27/29. Dass es zum „Zeppelin-Haus“ wurde, ist dem Bauherrn zu verdanken. Felix Reimann war von den Leistungen des Luftfahrtpioniers so beeindruckt, dass er ihm in der Messestadt ein Denkmal setzen wollte und sei es sein eigenes Pelzhandelshaus.

Wie Leipzig zu seinem Flugplatz kam

Das Zeppelin-Haus ist Teil des Leder- und Rauchwarenviertels und beeindruckt allein aufgrund seiner Dimensionen: Es ist ein geschlossener Vierflügelbau, dessen glasbedachter Innenhof 160 Quadratmeter misst. Seine überdachte Passage ist prachtvoll gestaltet wie die Außenfront.

Die Rundbögen der Schaufenster im Erdgeschoss zieren Messingleuchter im Jugendstil, dazwischen ist die Front mit isländischen Labrodit verkleidet, der „aufgrund seines schönen Perlmuttschimmers gerne zu Schmucksteinen und kunstgewerblichen Gegenständen verarbeitet wird. Seine hohe Empfindlichkeit gegenüber jedem Wärmeeinfluss, Säuren und Laugen macht eine Verarbeitung jedoch schwierig“.

Doch fällt dem Flaneur die Qualität des Baumaterials kaum auf. Die darüber liegenden vier Stockwerke und das Dachgeschoss bestehen aus Kalkstein. Simse, Pfeiler und Erker zeigen Tierköpfe und weisen auf die Nutzung des Hauses für den Pelzhandel hin. Über dem goldschimmernden Eingangstor prangt der Name: Zeppelin-Haus.

„Zeppelin-Haus“ – eingefasst in Jugendstil-Ornamentik. Darunter das Fenster mit Girlande über dem Haupteingang des ...
„Zeppelin-Haus“ – eingefasst in Jugendstil-Ornamentik. Darunter das Fenster mit Girlande über dem Haupteingang des Gebäudes. | Bild: Henner Kotte

An prominenter Stelle mittig erblickt man von Girlanden umrahmt das Konterfei des Grafen. Bildhauer Hans Zeissig schuf das kupferne Portrait. Für die Vorarbeiten besuchte der Künstler Graf Zeppelin in Friedrichshafen.

Drei Tage habe dieser Zeissig Modell gesessen, wird erzählt. Darob soll der Graf bei aller Ehre lautstark seinen Unmut geäußert haben. Von den Zwistigkeiten sieht man dem Abbild nichts an. Ersichtlich sind Zeppelins prägnanter Bart und sein scharfer Blick. Der Graf schaut forsch in Richtung Süden und von Leipzig aus zu Bodensee und Heimat.

Das Relief-Porträt von Ferdinand Graf von Zeppelin (1838-1917) an der Fassade des nach ihm benannten Hauses.
Das Relief-Porträt von Ferdinand Graf von Zeppelin (1838-1917) an der Fassade des nach ihm benannten Hauses. | Bild: Archiv Alexander Michel

Zum ersten Mal landete ein Zeppelin 1913 in Leipzig. LZ 17 war in Friedrichshafen gebaut und auf den Namen Sachsen getauft worden. Es besaß eine Länge von 158 Meter, bei einem Durchmesser von fast 15 Metern und konnte neuneinhalb Tonnen tragen. Am 22. Juni empfingen Graf Zeppelin in Begleitung von Sachsens König Friedrich August III. zur Einweihung der neuen Luftschiffhalle LZ 17 Sachsen und LZ 11 Königin Luise auf dem Flughafen Leipzig-Mockau.

„Wahre Völkerwanderung“

„Obwohl die die Ankunft der Luftschiffe erst gegen 4 Uhr nachmittags angesagt war, konnte man schon morgens Leute sehen, die eifrig mit dem Glas Umschau hielten“ berichtete die „Leipziger Volkszeitung“. „Aber von mittag an“, heißt es weiter, „setzte eine wahre Völkerwanderung ein. In endloser langer Reihe bewegten sich die Menschen auf den Hauptzugangsstraßen her.“ Es kam zu Staus bei Automobil und Straßenbahn. Mit eben solchen ist bei der Sperrung der Zeppelinbrücke 2023/24 ebenfalls zu rechnen.