Johanna Welschen ist eine Mutter mit großen Sorgen. Sie hat Angst vor einem Maskenzwang im Unterricht. Sie hat Angst vor einem zweiten Lockdown. Sie hat Angst vor einer Impfpflicht. Und das alles nur wegen einem Virus, der angeblich nicht gefährlicher sein soll als die Grippe? Unzumutbar.
Deshalb geht die 27-Jährige aus Aftholderberg, einem Weiler, der zu Herdwangen-Schönach im Linzgau gehört, mit tausenden Querdenkern auf die Straße. Sie wird laut, demonstriert. Wie am Samstag und Sonntag vor zwei Wochen in Berlin mit einer eigenwilligen Maske, gebastelt aus Draht und Tampons. „Ich möchte damit zeigen, dass es keine Vorschrift gibt, wie diese Maske auszusehen hat. Dass es eigentlich egal ist, welche Maske man trägt“, beschreibt Welschen ihr Anliegen.
Sie steht an vorderster Front – direkt an der gepanzerten Reihe aus Polizisten. Welschen kümmert sich für einen befreundeten Fotografen, der das Ereignis der Zeitgeschichte in Bildern festhält, um das Equipment. In einem Bollerwagen lagern Stative, Objektive, Blitze.
Welschen erinnert sich noch gut daran, wie die Situation plötzlich kippte. Die Polizei soll die Menge ihrer Meinung nach von allen Seiten eingekesselt haben. Die Masse wird unruhig. Menschen drücken von hinten. Die Polizei hält von vorne dagegen. „Ich hatte Angst. Ich hatte Panik“, berichtet die junge Frau knapp eine Woche später.
Welschen will hier weg. Sie behauptet, zur Presse zu gehören. Ein Sicherheitsbeamter greift nach ihrem Arm, zieht sie aus der Menge und führt Welschen an der tobenden Masse vorbei in sicheres Terrain. Gerade noch einmal gut gegangen.
Dass auch Rechtsextremisten an der Demonstration teilnahmen, habe Welschen mitbekommen. „Aber Nazis habe ich nicht gesehen. Mit ihnen würde ich mich nicht zusammenschließen“, sagt sie. Im Vergleich zu tausenden anderen Demonstranten seien etwa Reichsbürger „ein sehr, sehr, sehr, sehr, sehr kleiner Anteil gewesen. Ich finde es schade, dass von vielen Medien das Augenmerk auf die kleine Gruppe gerichtet wurde“, sagt die Mutter. Es war zwar ihre erste Demonstration. Aber es soll nicht ihre Letzte gewesen sein.
Die ruhige, freundliche Blondine lebt idyllisch und zurückgezogen mit ihrem Ehemann und drei Kindern in einem alten Bauernhaus an der Durchgangsstraße nach Pfullendorf. Ihre Leidenschaft sind das Landleben und die Tierwelt. Die Kreativ-Mutter ist selbstständig: Sie strickt, häkelt, zeichnet, bastelt und näht. Kurioserweise macht die Corona-Gegnerin aus der Krise ein Geschäftsmodell. Die Maskengegnerin vertreibt nämlich auf ihrer Homepage Schutzmasken. „Wenn man schon muss, dann so, dass man noch Luft bekommt!“, wirbt sie auf ihrer Facebookseite Ende Mai.
Johanna Welschen war immer ein Mensch, der kritisch nachbohrt. Schon in der Schule fiel sie damit auf. „Ich habe immer gesagt: ‚Stopp! Kann ich das bitte hinterfragen?‘“, erzählt sie in ihrem Wohnzimmer
Ihr Misstrauen ist bis heute geblieben. Denn an diesem sonnigen Freitagnachmittag möchte Johanna Welschen ihre Sorgen in der Corona-Krise zwar gerne mit dem SÜDKURIER teilen – aber nur, wenn ihre Freundin als Zeugin dabei sein darf. Die Brünette mittleren Alters will unerkannt bleiben, soll aber einschreiten, wenn Johanna Welschen die falschen Worte auf kritische Fragen der Presse wählt.
Und: Sie soll das Gespräch mit dem Smartphone filmen. Dazu war der SÜDKURIER jedoch nicht bereit. Nach kurzer Diskussion einigen sich die Gesprächspartner darauf, die 90 Minuten im Ton festzuhalten. Dass ein Gesprächspartner so wenig Vertrauen zur Presse hat, aber trotzdem offen reden will, war für den Reporter neu.
Doch Johanna Welschen ist mit ihrer Skepsis nicht die einzige: Knapp ein Drittel der Menschen in Deutschland geht einer Studie der überparteilichen Organisation „More in Common“ zufolge davon aus, dass die Regierung bei der Bewältigung der Corona-Krise eigene Interessen verfolgt. „30 Prozent der Menschen in Deutschland glauben, dass die Regierung die Corona-Krise größer aussehen lässt als sie ist, um eigene Pläne durchzusetzen“, heißt es in der Untersuchung. Dafür wurden im Juli 2020 vom Meinungsforschungsinstitut Kantar mehr als 2000 Menschen in Deutschland befragt.
Gleichzeitig bekommt die Bundesregierung den Angaben zufolge für ihre Krisenpolitik gute Noten. Rund 70 Prozent der Menschen nehmen die Krisenpolitik der Bundesregierung „eher als demokratisch denn als undemokratisch, eher als fair denn als unfair, eher als kompetent denn inkompetent wahr“, hieß es in der Studie.
Johanna Welschen hat sich auf ihren ersten Gesprächstermin mit der Presse besonders gut vorbereitet. Auf dem Sofa liegen etwa zehn Klarsichtfolien. Alle gefüllt mit ausgedruckten Zeitungsberichten oder Studien aus dem Netz – darunter die Heinsberg-Studie von Hendrik Streeck. Mit neonfarbigem Textmarker hat Welschen die Zeilen gegilbt, die ihre Argumente untermauern. Denn sie will keinesfalls als Verschwörungstheoretikerin abgestempelt werden. Sie sieht sich eher als kritische Faktencheckerin und Andersdenkende.
Die Forderungen von Johanna Welschen
Einige ihrer Argumente fußen auf Recherchen der Querdenker-Szene. Es sind aber auch Berichte aus der „Zeit“, dem „Spiegel“ oder der „FAZ„ dabei. Kurios. Denn Johanna Welschen ist doch eigentlich davon überzeugt, dass die Presse Meinungen der Querdenker verdreht oder verschweigt – das habe sie zumindest schon häufiger gehört. Die Medien sollen angeblich die Angst vor dem Virus, die von der Politik bewusst geschürt wird, kritiklos aufgreifen und abdrucken.
Im Gespräch mit Johanna Welschen kommt es einem so vor, als suche die Dreifachmutter bewusst nach Berichten, die ihr Verständnis von der aktuellen Situation untermauern. Berichte desselben Mediums, die einen anderen Wissenschaftler wiedergeben, werden dagegen von ihr offenbar ignoriert oder als falsch abgestempelt.
Beim Thema Impfen ist Welschen zurückhaltend. Sich selbst und ihre Kinder habe sie zwar gegen „einige Dinge“ impfen lassen – dass es bei der Suche nach dem richtigen Stoff für das Corona-Virus deutlich schneller gehen soll, macht ihr große Sorgen.
Bei den Masken gibt sie sich allerdings kompromisslos. „Für mich ist es wichtig der anderen Person ins Gesicht schauen zu können“, sagt sie. Es reiche deshalb aus, an die Vernunft der Menschen zu appellieren, dass der Abstand gewahrt bleibt.
Und: „Jeder, der sich selbst schützen möchte, kann gerne eine Maske tragen“, schreibt Welschen im Nachgang des Gesprächs mit dem SÜDKURIER in einer Nachricht.
Alltagsmasken sind nach Meinung der allermeisten Ärzte und Epidemiologen allerdings nur wirksam, wenn alle Mund-Nasen-Schutz tragen. Sie bieten lediglich einen Fremdschutz, weil sich Aerosole beim Husten, Niesen oder Sprechen durch den Stoff nicht so weit verteilen können. FFP-2 oder FFP-3 Maske können hingegen dem Eigenschutz dienen.
Johanna Welschens wichtigste Quelle ist Sucharit Bhakdi, ein deutscher Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Er gilt mit seinem Buch „Corona Fehlalarm? Zwischen Panikmache und Wissenschaft“ als einer der prominentesten Köpfe im Verschwörungskosmos. Viele seiner Ansichten sind hoch umstritten oder bereits widerlegt.