Was wird aus der Gäubahn und der Direktverbindung aus der Schweiz, vom Bodensee oder Singen zum Stuttgarter Hauptbahnhof, wenn der neue Stuttgarter Tiefbahnhof 2025 in Betrieb geht, die neue Anbindung der Gäubahn über den Flughafen aber jahrelang noch nicht fertig ist?
Müssen tatsächlich alle Fahrgäste – wie es die Bahn bisher plant – in Stuttgart-Vaihingen oder an einem neuen Nordhaltepunkt umsteigen, und das für eine Dauer von mindestens acht Jahren? Wird die Schienenfernstrecke aus der Schweiz oder für Pendler nach Stuttgart so unattraktiv für Fahrgäste, dass sie massenhaft auf die Straße ausweichen? Zur Klärung dieser Frage kommen an diesem Freitag in Stuttgart alle Beteiligten zum großen „Faktencheck“ in Stuttgart zusammen. Eingeladen hat der Interessenverband Gäu-Neckar-Bodensee-Bahn.
OB Häusler ohne große Erwartungen
Doch bei einigen Teilnehmern sind die Hoffnungen auf ein greifbares Ergebnis im Vorfeld mehr als gedämpft. „Meine Erwartungen sind nicht sonderlich hoch“, sagt der Singener Oberbürgermeister Bernd Häusler. „Ich befürchte, dass uns nur erklärt wird, was nicht geht.“
Auch sein Tuttlinger Amtskollege Michael Beck ist skeptisch. „Ich sehe das gar nicht als richtigen Faktencheck. Die Fakten liegen ohnehin schon auf dem Tisch. Jeder wird sagen, was er zu sagen hat, und fertig. Und am Ende steht, dass wir für ein Jahrzehnt abgehängt werden“, so Beck.
Die Rathauschefs sind verwundert darüber, dass die drei vorliegenden unabhängigen Rechtsgutachten die der Bahn eine Betriebspflicht für die Strecke bis zum Hauptbahnhof bescheinigen, gar nicht auf der Tagesordnung des Faktenchecks stehen.
Dagegen werden Stadt Stuttgart und die Bahn ihre Pläne ausführlich darlegen, anschließend sollen die einzelnen Varianten vorgestellt werden, die als Alternativen auf dem Tisch liegen – durch einen Referenten der DB Netz AG. Eine davon ist auch der Erhalt der Gäubahn-Gleise bis zum Hauptbahnhof. Eine Variante, die aber sowohl Stadt und Region Stuttgart – die die Fläche städtebaulich verplant hat – als auch die Bahn ablehnen.
Was macht Guido Wolf
Kritik, dass der Interessenverband als Veranstalter nicht die Interessen der Gäubahn-Anrainer vertrete, weist Guido Wolf, Vorsitzender des Verbandes und Tuttlinger CDU-Landtagsabgeordneter, zurück. „Ich erwarte eine ergebnisoffene Präsentation unterschiedlicher Varianten, wie Gäubahnnutzer möglichst bequem, im Idealfall ohne Umstieg, auch während des Baus des Pfaffensteigtunnels bis zum Stuttgarter Hauptbahnhof kommen“, sagt Wolf.
Dass keine Bewertung der Vorschläge durch eine externe Expertise stattfindet begründet Wolf so: „Wir haben das im Interessenverband diskutiert, in der jetzigen Phase aber die Themenbreite für zu vielfältig erachtet, als dass wir uns zugetraut hätten, dafür jeweils externen Sachverstand einzukaufen.“ Jetzt gehe es zunächst darum, herauszufinden, welche Varianten vertieft werden könnten.
Und in Bezug auf die Rechtsgutachten warte man die Stellungnahme des Eisenbahnbundesamtes (EBA) ab. „Diesen Aspekt haben wir keineswegs ausgeblendet. Das Eisenbahnbundesamt entscheidet, das habe ich mehrfach erlebt, unabhängig. Das Ergebnis warten wir ab“, so Wolf.
Ist es überhaupt ein Faktencheck?
Die Erwartungen von Matthias Lieb, Landesvorsitzender des Verkehrsclubs VCD, gehen vor der Veranstaltung jedenfalls gegen Null. „Die geplante Veranstaltung ist kein Faktencheck, sondern eine Informationsveranstaltung der Deutschen Bahn und der Landeshauptstadt – nicht mehr“. Auch der Landesnaturschutzverband (LNV) kritisiert die Tagesordnung, ebenso der Fahrgastverband Pro Bahn.
Ganz unabhängig von der Veranstaltung am Freitag könnte sich aber doch noch eine neue Perspektive ergeben. Denn es könnte sich noch ein anderer Akteur in die Debatte einschalten: die für den Erfolg ihrer Klima- und Umweltschutzklagen gefürchtete Deutsche Umwelthilfe (DUH).
Deren Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch bestätigte dem SÜDKURIER, dass die DUH derzeit prüfe, gegen die Kappung der Gäubahnstrecke und die befürchtete Kapazitätsverringerung des neuen Tiefbahnhofs im Rahmen ihrer erfolgreichen Klimaschutzklage gegen das Land Baden-Württemberg vorzugehen.
„Attentat auf leistungsfähige Schiene“
„Eine Kappung der Gäubahn ist ein Attentat auf eine leistungsfähige Schiene, wir möchten einen Bahnhof, der sicherstellt, dass die Klimaschutzziele und die Verdoppelung der Fahrgastzahlen erreicht werden können“, so Resch. Die DUH war erst vor kurzem mit einer Klimaklage gegen das Land Baden-Württemberg vor dem baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshof erfolgreich.
Der Verband werde nun „mit allen Mitteln“, so Resch, auf Vollzug des Urteils drängen und darauf, dass das Land seine Klimaschutzziele umsetzt. Das Urteil könnte für die Gäubahn, so Resch, ein „Gamechanger“ sein. Resch: „Unsere Forderung Nummer eins wird sein, die Gäubahn nicht abzuhängen.“