Es war am Dienstag gegen Mittag, als Autofahrern vor einem Betrieb im Industriepark in Gottmadingen ein massives Aufgebot an zivilen Polizei-Einsatzwagen auffiel. Etwa zehn Fahrzeuge aus Rottweil, Friedrichshafen und Konstanz sowie zahlreiche Beamte samt Spürhund deuteten auf einen größeren Einsatz der dort jeweils beheimateten Kriminalpolizei hin.

Zur selben Zeit beobachtete ein SÜDKURIER-Journalist in der Innenstadt von Pfullendorf eine Razzia der Polizei. Mit drei Polizeifahrzeugen sowie mehreren zivilen Autos waren die Einsatzkräfte angerückt, um mit mehreren Dutzend Beamten eine Wohnung nach Drogen zu durchsuchen.
Die Aktion dauerte mehr als zwei Stunden und sorgte bei Passanten für große Aufmerksamkeit. Im Visier der Ermittler war nach Angaben von Augenzeugen der Bewohner einer Wohnung inklusive des dazugehörigen Kellers, die auf den Kopf gestellt wurden. Auch Autos wurden akribisch unter die Lupe genommen.
Neun Festnahmen in Immendingen
Zeitgleich führte die Kriminalpolizei Rottweil weitere Zugriffe in einer Privatwohnung in Rielasingen-Worblingen, in Immendingen, Zürich, im Landkreis Lörrach sowie im hessischen Gießen durch – mit Unterstützung vom Sondereinsatzkommando (SEK), der Kantonspolizei Zürich, der Hubschrauberstaffel und Drogenspürhunden. Dass dabei einer der größten Kokain-Funde in der Geschichte Baden-Württembergs gemacht werden könnte, ahnten zu diesem Zeitpunkt wohl nur die Behörden.
233 Kilogramm Kokain und 50 Kilogramm Cannabis stellten die Sicherheitskräfte nach mehrmonatigen Ermittlungen sicher. Der Straßenverkaufswert: mindestens 50 Millionen Euro. Dabei hat sich der Tatverdacht gegen neun mutmaßliche Drogenhändler im Alter zwischen 31 und 56 Jahren erhärtet. Sie sollen im großen Stil Kokain aus Süd- und Mittelamerika nach Deutschland geschmuggelt haben, um dieses im süddeutschen Raum und der angrenzenden Schweiz zu verkaufen.
Alle neun Tatverdächtigen wurden laut Andreas Mathy von der Staatsanwaltschaft Konstanz beim Zugriff in Immendingen festgenommen. Sie stammen mehrheitlich aus Deutschland, unter ihnen gibt es jedoch auch je einen Verdächtigen aus der Türkei, der Dominikanischen Republik, den Niederlanden sowie einen Schweizer mit doppelter Staatsbürgerschaft. Zwei der Festgenommenen waren im Landkreis Konstanz wohnhaft, einer im Bodenseekreis.
Da die hochprofessionell agierenden Tatverdächtigen teilweise bewaffnet waren, waren auch Spezialkräfte der Polizei im Einsatz. Die Beamten konnten mehrere zehntausend Euro an mutmaßlichem Dealer-Geld, hochwertige Autos, Unterlagen über internationale Finanzströme sowie digitale Datenträger mit wichtigen Beweisen sichern.
Bis zu 15 Jahre Haft sind möglich
Die Staatsanwaltschaft Konstanz wirft den neun Festgenommenen bandenmäßiges Handeltreiben mit Drogen in nicht geringer Menge vor, was bei einer Verurteilung mit fünf bis 15 Jahren Gefängnis bestraft werden kann. Außerdem hat die Konstanzer Staatsanwaltschaft gegen sieben weitere Täter Haftbefehle erlassen.
Der Schmuggel von Kokain nach Europa erfolgt häufig durch hochkriminelle und konspirativ agierende Gruppierungen aus Lateinamerika per Frachtcontainer auf Schiffen. Auch in Gottmadingen soll laut Augenzeugen vor dem von der Razzia betroffenen Betrieb am Dienstag noch ein entsprechender Container gestanden haben, der am Mittwochmorgen bereits abtransportiert war. Weder am Festnetz noch über Handy war bei dem Betrieb am Mittwochnachmittag jemand erreichbar.

Steckt erneut Mafia dahinter?
Ein Zusammenhang mit den Razzien Anfang Mai in Überlingen, Radolfzell und zahlreichen weiteren Orten gegen die italienische Mafia Ndrangheta gibt es laut Andreas Mathy von der Staatsanwaltschaft Konstanz nicht. Es stecke auch keine bekannte Mafia-Organisation dahinter. Weitere Angaben wollten die Behörden am Mittwoch nicht machen. Die Ermittlungen gegen die sieben gesuchten Täter sowie weitere Verdächtige würden noch andauern.
Angesichts der groß angelegten Aktion der Sicherheitsbehörden meldete sich am Mittwoch auch der stellvertretende Ministerpräsident und zuständige Innenminister Thomas Strobl (CDU) zu Wort: „Baden-Württemberg ist und bleibt hartnäckig und unnachgiebig im Kampf gegen das organisierte Verbrechen.“ Der jetzige Schlag gegen die organisierte Rauschgift-Kriminalität sei ein Beleg für eine ausgezeichnete und akribische Polizeiarbeit.
„Kriminelle Strukturen zerschlagen“
„Wir werden auch weiterhin alles daran setzen, dieses schwerkriminelle, organisierte Treiben im Schulterschluss mit anderen Sicherheitsbehörden zu beenden und kriminelle Strukturen national wie international zu zerschlagen“, teilte Strobl mit. Niemand solle sich durch eine Straftat bereichern können, zumal mit dem Verkauf von Rauschgift die Gesundheit und das Leben anderer Menschen gefährdet werden.
Geleitet hatte die Razzien an mindestens sieben Orten die auf organisierte Rauschgift-Kriminalität spezialisierte Kriminalinspektion 4 der Kriminalpolizeidirektion Rottweil in Kooperation mit dem Landeskriminalamt Baden-Württemberg, der Direktion Spezialeinheiten in Göppingen, der Kantonspolizei Zürich und der Staatsanwaltschaft Konstanz.