Christiane Keutner

„Monja, Monja“, trällert Roland W., viele summen mit. Chris Andrews singt „Yesterday men“ und Christian Anders in den 70er Jahren „Es fährt ein Zug nach nirgendwo“. Abgefahren. Im Romantica, später Theo‚s Disco, drängen sich die Menschen. Auf der Tanzfläche hüpfen Menschen in Schlaghosen und schillernden T-Shirts unter der silbern glitzernden Discokugel. Die Männer haben lange Haare, die Frauen tragen kurze Miniröcke.

„Schwofen zum Stehblues“

Theo Scholl sitzt am erhöhten Mischpult und legt auf. Er zieht Schallplatten aus den Hüllen, setzt die Nadel vorsichtig in die Rille, schiebt Regler. Seine Auswahl richtet er nach den Gästen: „Wenn ich jemanden gesehen habe, der ein Mädchen anbaggern und etwas enger schwofen wollte, habe ich die entsprechende Musik aufgelegt.“ In diesem Fall Stehblues. Kein Wunder, dass hier Liaisons begonnen haben, die nicht selten vor dem Traualtar endeten. „Halb Bermatingen ist sich hier nähergekommen“, witzelt er.

Theo Scholl erinnert sich sehr gern an die wilde Zeit der 70er.
Theo Scholl erinnert sich sehr gern an die wilde Zeit der 70er. | Bild: Christiane Keutner

„Peng“ (Asbach-Cola) und Bacardi-Cola werden an der Theke geordert. Verrauchte Atmosphäre. Vom Billardzimmer bis in die Pilsbar benötigt man eine Stunde. Zwischen 300 und 400 Menschen aus der ganzen Region besuchen an den Wochenenden und manchmal unter der Woche den angesagten Treffpunkt im beschaulichen Bermatingen. Der Eintritt ist frei, die Getränkepreise moderat.

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Lockere Sperrstunde? Fehlanzeige: In den 70ern durften die Kneipen während der Woche nur bis Mitternacht und an den Wochenenden bis 1 Uhr morgens Getränke ausschenken; mit beantragter Sperrzeitverkürzung bis 2 Uhr. Wurde sie überschritten – und die Kontrollen waren streng – war „ein Haufen Strafe“ zu zahlen. „Ich hatte mal privat meinen Geburtstag nach Feierabend mit meinem Personal gefeiert. Es lief keine Musik, wir hatten nur etwas getrunken. Dennoch musste ich blechen“, erzählt Theo Scholl.

Er hatte damals rund 2000 Schallplatten

Per Zufall ist er damals an den Job gekommen. Der gelernte Schreiner und Schlosser, der mit Freunden privat im Keller Musik gemacht und rund 2000 Schallplatten gesammelt hat, hatte den Besitzer Ernst Gommeringer zufällig kennengelernt. Er war mit einem Schulfreund nach Bermatingen gekommen, weil dieser seine Freundin besuchen wollte. Danach sind sie gemeinsam ins Romantica.

Theo Scholl in den 70er Jahren als DJ.
Theo Scholl in den 70er Jahren als DJ. | Bild: Keunter, Christiane

Discjockeys wurden damals ansonsten über eine Agentur gebucht. „Der bisherige DJ musste dringend gehen, weil er von der Polizei, beziehungsweise von seiner Partnerin gesucht wurde, weil er keine Alimente bezahlt hatte“, erinnert sich Theo Scholl. Ernst Gommeringer habe ihn „gezwungen mit Geld“, erklärt er schmunzelnd. So sprang er kurzfristig ein, seine Laufbahn als Kneipier begann.

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Noch heute wird über das damalige Romantica geschmunzelt, das teils Disco, teils Pilsbar und teils „Etablissement“ war. Allgemein bekannt ist, dass sich Bermatinger teilweise über die Zustände mächtig echauffiert und den moralischen Zeigefinger erhoben haben – um abends selbst in der Strip- und Animierbar zu sitzen. Man musste sich ja ein Bild machen.

Theo Scholl übernimmt 1978

1978 will Inhaber Ernst Gommeringer das Lokal aufgeben. Er fragt Theo Scholl, ob er übernehmen will. Der überlegt einen Tag, sagt zu: „Ich war gerade mal 27 und musste 60 000 DM Ablöse bezahlen. Das war viel Geld und ein Risiko.“ Er beginnt erst mit der Disco, später baut er selbst die Pilsbar um. Das „Nachtleben“ beendet er bei der Übernahme.

Bermatinger und Markdorfer trafen sich regelmäßig in Theos Disco.
Bermatinger und Markdorfer trafen sich regelmäßig in Theos Disco. | Bild: Privat

Die Disco boomt. Kurzfristig gibt es eine Flaute, aber mit dem Straßenfeger „Saturday night fever“ gibt es einen erneuten Aufschwung. Aufs und Abs folgen. Irgendwann gibt es laut Theo Scholl immer häufiger kleine Auseinandersetzungen und Belästigung der Gäste aus der Pilsbar, zuweilen Randale.

„Irgendwann war mir das zu blöde“

Um unerwünschte Besucher fernzuhalten, erhebt Scholl Eintritt. Doch das hilft wenig. „Irgendwann war mir das zu blöde. Es gab zu viel Ärger, ich musste mich entscheiden und hab die Disco dann knallhart zugemacht.“ Es blieben Pilsbar, Pizzeria und Sport-Treff mit Ausstrahlung der Bundesligaspiele, aber auch das ist wegen zuletzt mangelnder Resonanz Vergangenheit.

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Auf Drängen vieler Stammkunden, die Disco wenigstens einmal monatlich aufzumachen, hatte er sie nochmals geöffnet. Doch es blieb bei dem einen Mal; es lief nicht. Heute müsste er drei Männer oder Frauen des Security-Dienstes, zwei Bedienungen und einen DJ anstellen. Zusammen mit dem Ärger rechne sich das einfach nicht.

Die Zeit war „aufregend und schön“

So bleibt die Disco verwaist. Ab und zu wird der Gewölbekeller privat genutzt. Immer noch gibt es Menschen, die sich in die 70er und in Theos Disco zurücksehnen. „Sie war aufregend, schön und ich würde diese lieber nochmal durchmachen, als die nächsten zehn Jahre. Meine Enkel tun mir leid, weil sie diese Zeit nicht erleben können“, bedauert Theo Scholl.

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Und dass sich auch der Ton im Lokal zuweilen etwas verändert habe. Reichte es früher aus, dass man Aufsässige mit sanfter Autorität in die Schranken verwiesen habe, was absolut akzeptiert wurde, müsse man sich heute zuweilen um sein eigenes Wohlergehen fürchten.

„Ich habe mein Geld nicht in den Sand gesetzt“

Seine Übernahme hat er dennoch nie bereut: „Ich habe mein Geld nicht in den Sand gesetzt, konnte gut von meinen Einnahmen leben, bin von vielen anerkannt und akzeptiert. Viele Leute mögen mich“, freut er sich. Zahlreiche kommen seit 40 Jahren ins fast unveränderte Lokal. „Das ist das Schöne. Das ist ein Stück Jugend, da kann ich noch so alt werden“, schwärmt Manfred, der nicht wehmütig wird, sondern sich an den „schönen Erinnerungen“ freut, wenn er bei Theo an der Theke sitzt.

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Unter den Besuchern sind bereits die Enkel der ersten Stammgäste. Eltern und Großeltern wissen ihre Schützlinge bei Theo gut aufgehoben. „Einige Stammgäste wollen mich in eine Verjüngungskur schicken, damit ich noch möglichst lange weitermache“, amüsiert sich der 68-Jährige. Ans Aufhören denkt er jedoch vorerst nicht. Das Umfeld und die Atmosphäre halten ihn.

Ein Film löst eine Welle aus

  • SaturdayNightFever“, der US-amerikanische Tanzfilm aus dem Jahr 1977, prägte eine ganze Generation und löste weltweit eine Disco-Welle aus, die sich in der Musik, der Mode und dem Lebensstil der Jugendlichen widerspiegelt und heute Kultstatus hat. Er handelt vom Leben junger Menschen in der New Yorker Diskothekenszene und der dort entstandenen Subkultur. Die Hauptrolle spielte John Travolta. Mit dem Film wurde er weltberühmt.
  • Die Filmmusik der Bee Gees mit Titeln wie „Stayin‘ Alive“, „Night Fever“ und „How Deep Is Your Love“ gehört zu den meistverkauften Soundtracks aller Zeiten und verhalf den Bee Gees zu ihrem ersten Comeback. Die Band war die erfolgreichste der 70er Jahre. Auch Klassiker von Bands wie Abba (Dancing Queen), Led Zeppelin (Stairways to heaven) und den Stones aus dieser Zeit sind nach wie vor aktuell.