Abdullah Alsayed ist 35 Jahre alt, lebt in Friedrichshafen und hat nach eigenen Angaben noch nie gewählt. „Also nicht so richtig“, ergänzt er. In seinem Heimatland Syrien habe er zwar an Wahlen teilgenommen – „wir mussten ja“ – aber was man sich in Europa unter Wahlen vorstelle, sei das nicht gewesen. „Das Ergebnis stand eigentlich immer schon fest, bevor wir gewählt haben“, schildert Alsayed. Hätte er darüber entscheiden können, hätte er gar keine Stimme abgegeben. Doch solange er in Syrien lebte, sei das Wählen Pflicht gewesen.

Jetzt sei die Situation eine andere. Hier in Deutschland könne er seine Meinung äußern und habe sich auch entschieden, nicht an der Wahl in Syrien teilzunehmen. Kurze Zeit nach dem Gespräch wird der Auslandswahltermin, der am 20. Mai sein sollte, ohnehin abgesagt: „von den zuständigen deutschen Behörden“, ist auf der Webseite der Botschaft nachzulesen. Alsayed zeigt sich erfreut über das Verbot. Jetzt müsse nur noch die Botschaft komplett geschlossen werden, sagt er.
Der 35-Jährige jedenfalls möchte sich bald einbürgern lassen. Das Antragsverfahren dazu laufe schon, es sei nur durch die Pandemie verzögert worden. Ende vergangenen Jahres sei sein Arbeitsvertrag aufgrund der aktuellen Situation nicht verlängert worden. „Ich musste eine neue Stelle finden. Denn ohne Arbeit kann man sich nicht einbürgern lassen“, erklärt er. Als deutscher Staatsbürger wäre er hier dann auch wahlberechtigt. Zum ersten Mal im Gesprächsverlauf lächelt Alsayed, als er sagt: „Dann könnte ich wählen gehen, aber so richtig, also frei und mit einer echten Auswahl.“
Besuch im Bundestag gibt Aufschluss über Demokratie in Deutschland
Auch Hussam Alhasan möchte sich einbürgern lassen, sobald es möglich ist. Aktuell verfügt er über eine Niederlassungserlaubnis, also einen unbegrenzten Aufenthaltstitel. Auch der 27-Jährige lebt in Friedrichshafen. Bei einem fünftägigen Besuch im Bundestag hat er erfahren, wie Demokratie in Deutschland funktioniert: „Da darf jeder sagen, was er sagen mag. Das geht bei uns nicht.“
Ein Jahr vor seiner Flucht fand die letzten Präsidentschaftswahl in Syrien statt. „Ich erinnere mich noch gut an den Tag“, sagt Alhasan. Er sei an der Universität gewesen, die Geheimpolizei habe das Gebäude abgeriegelt. „Wir wurden nur rausgelassen, wenn wir gewählt haben, mit unserem eigenen Blut und einem Fingerabdruck.“ Dabei sei vollkommen klar gewesen, für wen die Stimme abgegeben werden müsse. „Es gab zwar Gegenkandidaten, aber das war eine Farce“, sagt er.

Überhaupt sei die ganze Wahl eine Farce: Früher hätten sie bei den Präsidentschaftswahlen nur mit Ja oder Nein abstimmen können, wobei: „Das war theoretisch so“, ergänzt Alhasan. „Praktisch hatte man nur die Wahl zwischen Ja und Ja.“ Genauso verhalte es sich jetzt mit den Gegenkandidaten. Diese müssten Voraussetzungen erfüllen, die es praktisch unmöglich machten, dass sich ein Oppositioneller zur Wahl stelle. Und selbst wenn es einen echten Gegenkandidaten gäbe, sei damit wenig erreicht, meint Alhasan. „Der Sieger steht schon vorher fest.“
Baschar al-Assad gewinne immer mit einer klaren Mehrheit wie schon zuvor sein Vater. Und das, obwohl allein drei Millionen Syrer in der Türkei, eine Million in Deutschland und weitere vier bis fünf Millionen im Libanon und Jordanien lebten und auch Syrien selbst nur noch teilweise unter Assads Einfluss stehe. Auch bei der letzten Wahl habe er gar nicht mehr die Kontrolle über das gesamte Land gehabt.
Auch Alhasan freut sich, dass Deutschland die Auslandwahl an der Botschaft verboten hat. „Da bin ich sehr stolz auf Deutschland“, sagt er. Wäre die Wahl nicht verboten worden, hätten sie als Druckmittel gedient, befürchtet der 27-Jährige: „Es gibt zwar offiziell keine Wahlpflicht, aber jeder, der irgendein Dokument braucht, muss erst wählen, bevor er es bekommt.“ Und wie schon Abdullah Alsayed wenige Tage zuvor sagte, findet auch er, dass nun noch die Schließung der kompletten Botschaft fehle: „Da gehen jeden Tag Leute hin und zahlen für jedes Dokument Hunderte Euros. Das sind insgesamt Millionen und die gehen an die syrische Regierung.“