„Ich wusste, wenn ich jemanden mit einer Waffe bedrohe, kommt die Polizei. Die nehmen mich mit, helfen mir und alles wird gut“: Das sagte ein 20-jähriger Angeklagter vor dem Konstanzer Amtsgericht. Er hatte im August 2021 einen Taxifahrer in Überlingen mit einem Gewehr bedroht und so versucht, an die Autoschlüssel zu gelangen. Wie aber kam es überhaupt soweit und warum war der Mann froh, festgenommen zu werden?
Die Nacht auf den 27. August 2021 beschrieb der Angeklagte dem Richter folgendermaßen: „Durch meinen Drogenkonsum hatte ich enorme Schulden und plötzlich standen Leute vor der Türe, die das Geld holen wollten.“ Es habe sich um mehrere Tausend Euro gehandelt.
„Ich hatte das Geld nicht da und verschanzte mich in meiner Wohnung. Mit solchen Leuten ist nicht zu spaßen.“ Er sei in Panik geraten: „Ich war arbeitslos und wusste einfach nicht, wo ich das ganze Geld hernehmen soll.“ Aussichtslos und verzweifelt habe er dann Suizidgedanken bekommen.
Im Taxi nach Überlingen
Durch diese Gedanken getrieben, habe er in der Nachbarschaft ein Gewehr gestohlen und sich von seiner Wohnung im Großraum Stockach in einem Taxi auf den Weg nach Überlingen gemacht, wo er sich am Landungsplatz habe absetzen lassen. Erst in Überlingen sei ihm bewusst geworden, dass er therapeutische Hilfe brauche.
Was darauf folgte, sei eine Kurzschlussreaktion gewesen: Er habe die Idee gehabt, jemanden mit der Waffe zu bedrohen, um sich eben diese Hilfe zu holen. „Ich war verwirrt, hatte Angst und wusste, wenn ich jemanden mit einer Waffe bedrohe, kommt die Polizei. Die nehmen mich mit, helfen mir und alles wird gut.“
Einen Taxifahrer nach seinem Gang zur Toilette überrascht
Er habe einen Taxifahrer dabei beobachtet, wie der gerade auf eine öffentliche Toilette ging. Der Angeklagte habe vor der Türe gewartet und den Fahrer überrascht, als dieser wieder herauskam. „Ich habe ihm gesagt, dass er mir den Autoschlüssel geben soll“, so der 20-Jährige vor Gericht.
Der Taxifahrer wehrte sich – es gelang ihm, die Waffe von sich zu wenden und den Angreifer auf den Boden zu drücken. Er hielt ihn dort fest, bis die Polizei kam Der Taxifahrer hat nach eigenen Aussagen bis heute Albträume, die sich um den Vorfall drehen.
Die Frage nach der Glaubwürdigkeit
Richter Franz Klaiber fiel es sichtlich schwer, den geschilderten Ablauf als glaubwürdig zu betrachten. Unter anderem hätten polizeiliche Ermittlungen und die Auswertung des Smartphones des Angeklagten ergeben, dass der 20-Jährige ein paar Tage vor der Tat eine Freundin in Hamburg besucht habe.
„Dort haben Sie dann in einem Hotel übernachtet. Das ist nicht gerade günstig“, so der Richter. Hinzu kamen Indizien für eine Reise nach Amsterdam, die der Angeklagte dafür genutzt habe, Drogen zu nehmen und feiern zu gehen.
„Wissen Sie, ich verstehe eines nicht: Wenn Sie doch Geldschulden bei Drogendealern hatten, warum haben Sie dann nicht einfach das Reisegeld für die Begleichung der Schulden verwendet?“, fragte der Richter. „Dann hätte ich ein anderes Problem gehabt: nämlich kein Geld mehr für Drogen“, war die Antwort des Angeklagten.
Sachverständiger Psychotherapeut sieht Identitätsstörung
Erst ein sachverständiger Psychotherapeut brachte vor Gericht etwas Licht ins Dunkel: „Es ist nicht entscheidend, was der Angeklagte sagt, sondern wie er versucht, sich darzustellen. Er ist psychisch auffällig und macht ein ungeordnetes Bild. Im Allgemeinen würde ich das bei ihm als Unreife bezeichnen.“ Der 20-Jährige laufe in seiner Entwicklung seinem Alter hinterher.
„Soweit ich das beurteilen kann, könnte man von einer Identitätsstörung sprechen. Er weiß nicht, was ihn ausmacht und seine Lebensentscheidungen sind brüchig.“ Solche Umstände würden sich öfter in etwas Depressivem und Spontanem ausdrücken.
Der Sachverständige weiter: „Sein Realitätsbezug ist sehr instabil. Man könnte sagen: Wahr ist für ihn, was sich gut anfühlt.“ Er lege sich die Wahrheiten einfach selbst zurecht und brauche einen großen Auftritt, um sich vor anderen zu positionieren. Hinzu komme beim Angeklagten eine Suchtmittelproblematik. „Er braucht definitiv Profis, die ihn betreuen können“, lautete das Fazit des Psychotherapeuten.
Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Richter fällt die Einordnung schwer
In einem Punkt waren sich alle im Gerichtssaal einig: Einfacher macht die Einordnung des Sachverständigen das Urteil nicht. Niemand könne genau wissen, wann der Angeklagte lüge, weil er sich in einem besonderen Licht darstellen möchte und wann er die Wahrheit sage.
Die Staatsanwaltschaft forderte in ihrem Plädoyer eine dreijährige Jugendstrafe mit Aufenthalt in einer Erziehungsanstalt oder einer Psychiatrie. Der Verteidiger hingegen verzichtete auf einen Antrag und bat den Richter, Rücksicht auf die Krankheit seines Mandanten zu nehmen.
Richter sieht therapeutische Behandlung als richtigen Weg
Nach einer halbstündigen Unterbrechung traf das Konstanzer Amtsgericht das Urteil: Drei Jahre Jugendstrafe in einer Erziehungsanstalt. Damit folgte Richter Franz Klaiber dem Antrag der Staatsanwaltschaft. „Der Sachverständige hat die Persönlichkeitsproblematik gut dargestellt. Das allerdings ändert nichts an der versuchten besonders schweren räuberischen Erpressung“, erläuterte er. Eine therapeutische Behandlung sei die richtige Entscheidung.
Klaiber sprach den Angeklagten zum Ende der Verhandlung direkt an: „Das müssen Sie aber auch wollen. Darauf müssen Sie sich einlassen und durchziehen. Ansonsten kann auch Haft drohen.“