Zweiter Verhandlungstag vor dem Amtsgericht: Ein 25-Jähriger muss sich wegen sexuellen Kindesmissbrauchs vor dem Schöffengericht verantworten.
Das aussagenpsychologische Gutachten eines sachverständigen Rechtspsychologen begründete erhebliche Zweifel an den Aussagen des potenziell geschädigten elfjährigen Mädchens, das berichtet hatte, während einer Taxifahrt gegen ihren Willen angefasst und auf den Mund geküsst worden zu sein.
Psychologe kann Lüge des Mädchens nicht ausschließen
Selten war die Konzentration aller Prozessbeteiligten vor dem Amtsgericht so stark spürbar, wie während der Präsentation des psychologischen Gutachtens des anwesenden Diplom-Psychologen.
„Könnte das Mädchen unter den gegebenen Umständen die Aussagen machen, ohne dass diese auf realen Erlebnissen basieren?“, lautete die zentrale Frage. Um sie zu beantworten, analysierte der Psychologe verschiedene Aspekte des Einlassungsverhaltens des Mädchens vor dem Hintergrund unterschiedlicher Hypothesen über deren Ursprung.
Die Leitfrage seines Gutachtens kann er dabei nur dann verneinen, wenn ausgeschlossen ist, dass es sich bei der Aussage um eine Lüge handelt oder Suggestionen gewirkt hat. „Es gibt einige Realkennzeichen, die auf ein tatsächliches Erleben hindeuten“, erklärte er. Dennoch stellte er fest, dass in der schwierigen Beziehung der Elfjährigen zu ihrer Mutter ein potenzielles Motiv für eine Lüge liegen könnte, weswegen er diese Hypothese nicht final zurückweisen konnte.
GPS-Daten des Taxis können Verdacht nicht erhärten
Die Annahme, dass die Aussage durch eine wirkende Suggestion herbeigeführt wurde, ließ sich aus Sicht des Psychologen sogar „mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zurückweisen“. Die Aussage sei durch mehrere unqualifizierte Befragungen, die vor der offiziellen Vernehmung erfolgten, kontaminiert.
„Ich kann aus der Befragung nicht mehr ableiten, ob das Geschilderte tatsächlich passiert ist“, so der Psychologe. Seinem Gutachten war eine ausführliche Befragung mehrerer Zeugen vorangegangen, die alle an der Entstehung der Aussage beteiligt waren.
Am zweiten Verhandlungstag wurden unter anderem die psychosoziale Beraterin des Mädchens und zwei Polizeibeamten angehört. Ebenfalls thematisiert wurde die Auswertung der GPS-Daten des betreffenden Taxis, die allerdings ebenfalls nicht zur Klärung der offenen Fragen beitragen konnten. „Es gibt eine einzige konkrete Aussage zu einem Ort, an dem der Kuss stattgefunden haben soll, und der liegt nachweislich nicht auf der Fahrtstrecke“, erklärte Verteidigerin Angelika Furmaniak.
Im Zweifel für den Angeklagten
„Eine Verurteilung ist völlig ausgeschlossen“, erklärte die Verteidigerin in ihrem rhetorisch gewandten Plädoyer. Trotz deutlich artikulierter Zweifel schloss sich Staatsanwältin Simone Bucher ihrer Forderung nach einem Freispruch an. „Ich bin der Überzeugung, dass die Geschichte einen wahren Kern hat, doch ich kann keine Verurteilungsgrundlage erkennen“, so Bucher.
Nach einer ausführlichen Beratung entschied das Schöffengericht um Amtsrichterin Stefanie Hauser auf Freispruch. „Wir haben uns schwergetan, aber in diesem Fall, in dem Aussage gegen Aussage steht, müssen wir sagen: im Zweifel für den Angeklagten.“