An einem Freitag klagte Aliya (4) über Schmerzen im Hals. Die Mutter stellte bei ihrem Kind erhöhte Temperatur und eine leichte Mandelentzündung fest. Nichts besonders Dramatisches eigentlich. Für solche Fälle gibt es schließlich speziell für kleinere Kinder und Säuglinge Fiebersaft. Nur war der nirgendwo zu bekommen.

Drei Apotheken klapperte Aliyas Mutter ab, schließlich versuchte sie über verschiedene Internet-Portale das Medikament zu besorgen. Überall bekam die Waldshuterin dieselbe Antwort: „Dieses Produkt ist leider aktuell nicht verfügbar.“

Das könnte Sie auch interessieren

Immer mehr Arzneimittel sind schwer zu besorgen

Immer mehr Menschen machen derzeit ähnliche Erfahrungen wie die Waldshuter Mutter. Sie erhalten dringend benötigte Arzneimittel nur schwer oder manchmal auch gar nicht. Und dabei geht es nicht nur um Fiebersaft, sondern auch um lebenswichtige Medikamente wie das Brustkrebsmittel Tamoxifen.

Die Knappheit von Medikamenten wie Fiebersaft hat vielfältige Ursachen. Eine davon ist die globale Konzentration bei der Produktion. In je größerer Menge ein Wirkstoff eine Produktionsanlage verlässt, desto geringer werden dort die anfallenden Herstellungskosten pro Einheit sein. Ein günstigerer Anbieter verdrängt den teureren vom Markt.

80 Prozent aller Arzneimittel kommen aus China und Indien

Das führt dazu, dass bestimmte Wirkstoffe in immer größerer Menge von immer weniger Herstellern kommen. Das Europäische Parlament stellte 2020 in einer Studie fest, dass inzwischen 80 Prozent aller Arzneimittelwirkstoffe in China und Indien hergestellt werden. 40 Prozent der in Europa verkauften Fertigarzneimittel kommen aus diesen beiden Ländern.

Der speziell für Kinder entwickelte Fiebersaft der Marke Dolormin des Anbieters Johnson & Johnson. Dieses und andere ähnliche ...
Der speziell für Kinder entwickelte Fiebersaft der Marke Dolormin des Anbieters Johnson & Johnson. Dieses und andere ähnliche Medikamente sind derzeit auch am Hochhrein in Apotheken kaum erhältlich. | Bild: Vonberg, Markus

Dieser Konzentrationsprozess greift vor allem bei massenhaft benötigten Wirkstoffen, für die der Patentschutz ausgelaufen ist – so wie 1985 bei Ibuprofen, das in vielen Fiebersäften Verwendung findet. 2018 stellten laut Branchendienst Apotheke Adhoc weltweit nur sechs Lieferanten Ibuprofen her. Je zwei produzieren in China, in Indien und in den USA, darunter ist auch die BASF mit ihrem Werk in Bishop/Texas. Jede Störung in einer dieser Produktionsstätten, etwa durch Stromausfall, Starkregen oder eine Krankheitswelle kann global weitreichende Folgen haben.

Das könnte Sie auch interessieren

Doch gibt es auch spezifisch deutsche Gründe, weshalb Fiebersäfte auf Ibuprofen-Basis hierzulande derzeit kaum zu haben sind. Zum einen erklärt das Bundesinstitut für Arzneimittel (BfArM) die eingeschränkte Verfügbarkeit mit einem dieses Jahr ungewöhnlich hohen Bedarf nach diesen Medikamenten. Den zweiten wesentlichen Grund sieht es im Ausstieg eines Marktteilnehmers.

Bedeutender Hersteller zieht sich vom Markt zurück

Zum 1. Mai nahm die zur Novartis-Gruppe gehörende 1a Pharma den Vertrieb von Ibuprofen-Produkten aus ihrem Programm. Als Grund wurde fehlende Wirtschaftlichkeit angegeben. 1a Pharma war in der Branche nicht irgendwer, sondern hatte bei Ibuprofen 25 Prozent Marktanteil. Das BfArM über die Folgen des Rückzugs von 1a Pharma: „Die betroffenen Marktanteile konnten nicht kurzfristig von den weiteren pharmazeutischen Unternehmen übernommen werden, wodurch es zu einer Unterversorgung des Marktes mit den in Rede stehenden Produkten kam.“

Pharmaunternehmen findet keine Mitarbeiter

Die Ulmer Teva – in der Öffentlichkeit bekannter ist ihre Tochter Ratiopharm – ist eines jener Unternehmen, von denen erwartet wird, dass sie in die durch den Rückzug von 1a Pharma entstandene Bresche springen. Nach eigenen Angaben hat Teva in diesem Segment 127 Prozent Zuwachs gegenüber dem Vorjahr. „Jetzt suchen wir händeringend Angestellte für die Produktion, um die Nachfrage zu bedienen“, sagt Geschäftsführer Andreas Burkhardt Ende Juli in einem Interview mit dem Branchendienst Apotheke Adhoc. Doch es fehle nicht nur an Arbeitskräften, auch die Lieferketten seien deutlich labiler als früher, dies betreffe nicht nur Wirkstoffe, sondern auch Filter oder Reinigungsmittel.

Die Laufenburger Stephanie Abel in der ihrer Apotheke. Normalerweise gehen hier im Monat über 100 Packungen Fiebersaft über die Theke. ...
Die Laufenburger Stephanie Abel in der ihrer Apotheke. Normalerweise gehen hier im Monat über 100 Packungen Fiebersaft über die Theke. Diesen Monat hat sie von ihrem Großhändler gerade einmal 15 Packungen erhalten. | Bild: Vonberg, Markus

All dies bedeutet in der Summe: Der Markt für Fiebersäfte ist wie leergefegt. Auch die Apotheken können über ihre Großhändler nicht im erforderlichen Maß ordern. „Normalerweise geben wir im Monat über 100 Flaschen mit vier Prozent Wirkstoff ab, im August haben gerade einmal 15 erhalten“, berichtet Stephanie Abel, die in Laufenburg die Apotheke im Laufenpark führt. Ähnlich sei die Situation beim Saft mit zwei Prozent Wirkstoff. Die Apotheke hat laut Abel nur noch wenige Packungen ibuprofenhaltigen Sirups auf Lager.

Apotheke weist Eltern auf alternative Verabreichungsformen hin

Die Pharmazeutin und ihre Mitarbeiter geben das nicht rezept- aber apothekenpflichtige Medikament deshalb nicht mehr ohne weiteres an die Kundschaft ab. Abel: „Wir fragen zuerst nach, ob da ein Kind wirklich Fieber hat, oder ob da nur die Hausapotheke aufgefüllt werden soll.“ Eltern älterer Kinder werden auf alternative Verabreichungsformen wie Direktgranulat oder Tabletten hingewiesen. Gerade aber Kleinkinder in einem bestimmten Alter seien aber auf Fiebersaft angewiesen, so Abel.

Fieber bei Kindern: Diese Hausmittel empfiehlt das Universitätsklinikum Augsburg

Eine Erleichterung gibt es jetzt wenigstens für jene, die das Medikament für ihr Kind von einem Arzt auf Rezept verordnet bekommen haben. Normalerweise übernehmen die Krankenkassen nur die Kosten für ein zwar wirkstoffgleiches aber aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit dem Hersteller für sie preislich besonders günstiges Präparat. Ist dieses in der Apotheke nicht verfügbar, zahlen einige Kassen ihren Versicherten auch ein teureres auf Rezept verordnetes Medikament mit gleichem Wirkstoff. Außerdem haben sich das Bundesinstitut für Arzneimittel, die Krankenkassen, die Kassenärzte und die Apotheken darauf geeinigt, dass auf ärztliche Verordnung hin Apotheker in Einzelfällen auch individuellen Rezepturarzneimittel fertigen können.

Wie sieht es in der Schweiz aus? Gibt es dort Fiebersaft?

Der Gang über die Grenze, um sich das in Deutschland knappe Medikament dort zu besorgen, ist übrigens wenig erfolgversprechend. „Die Lieferbarkeit von Ibuprofen-Fiebersäften ist in der Schweiz derzeit sehr stark eingeschränkt“, erklärt Yves Zenger vom Schweizerischen Apothekerverband Pharmasuisse. Medikamente kosten in der Schweiz außerdem nicht nur mehr als in Deutschland, auch ausländische Arztrezepte sind dort grundsätzlich ungültig.

Immerhin der kleinen Aliya konnte inzwischen geholfen werden. Verwandte der Familie fanden in ihrem Medikamentenschrank ein Flasche Fiebersaft, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht abgelaufen war.