Die Folgen des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) für das Gesundheitssystem sind so grundlegend, dass an vielen Stellen umgedacht werden müsse. Vor allem setze es neue Maßstäbe, die insbesondere für ländliche Krankenhäuser wie das Klinikum Hochrhein eine Herausforderung darstellen, ist der Allgemeinmediziner und Kreisrat Olaf Boettcher sich sicher: „Angesichts der fehlenden personellen Ressourcen, der strukturellen Defizite und des schwindenden Vertrauens in der Bevölkerung erscheint der geplante Neubau in Albbruck in seiner derzeitigen Form fragwürdig.“
Sein Appell lautet daher: Die Verantwortlichen sollten diese Gelegenheit nutzen, um eine „realistische und nachhaltige Lösung zu entwickeln“, die sowohl den gesetzlichen Anforderungen als auch den Bedürfnissen der Region gerecht wird. Der Landkreis als Klinikträger zeigt sich derweil verwundert von Boettchers Vorstoß, sieht aber auch keinen Anlass, vom bisherigen Kurs abzuweichen.
Boettcher: „Klinikum kann geforderte Qualitätsstandards nicht erfüllen“
Wie Boettcher auch auf Nachfrage ausführt, bezweifle er, dass das Klinikum Hochrhein die Anforderungen für die angestrebte Einstufung als Level-2-Klinik erfüllen könne. Nach Einschätzung Boettchers, der in seiner Eigenschaft als Kreisrat auch Mitglied des Bauausschusses Klinikum Hochrhein ist, sei der Fachkräftemangel aktuell in Waldshut wesentlich gravierender als bei den meisten anderen Kliniken. Es fehlten nicht nur Ärzte mit den notwendigen Spezialisierungen, sondern auch ausreichend qualifiziertes Pflegepersonal, um den Anforderungen gerecht zu werden.

Außerdem müssten Level-2-Krankenhäuser klar definierte Leistungsgruppen vorhalten, „die durch die entsprechenden Fachdisziplinen und die erforderliche apparative Ausstattung gestützt werden“, schildert der Kreisrat. Das Klinikum Hochrhein bleibe in diesen Punkten bislang hinter den notwendigen Standards zurück.
Mit seiner jahrzehntelangen Erfahrung als niedergelassener Arzt, als Kreisbeauftragter der Kassenärztlichen Vereinigung und Pandemiebeauftragter frage er sich, welche realistischen Chancen die Verantwortlichen sehen, die Anforderungen dennoch zu erfüllen.
Die geplanten Dimensionen des neuen Klinikums werfen zusätzliche Fragen auf, so Boettcher: Wie sollten die vorhandenen Leistungsgruppen und die damit verbundenen Anforderungen in einem so großen Haus effizient und wirtschaftlich dargestellt werden können?
Strukturelle Probleme und namhafte Konkurrenz
Hinzu komme im Umkreis von knapp 100 Kilometern eine eklatante Konkurrenz in Form von „mehreren hoch spezialisierten und gut ausgestatteten Krankenhäusern, die die Anforderungen des KHVVG erfüllen“, so Boettcher. Unter anderem zählt er dazu auch das Zentralklinikum Lörrach, das ab 2026 einsatzbereit sein soll und über eine moderne Infrastruktur „und klar definierte Leistungsgruppen“ verfüge.
„Diese bestehenden Einrichtungen machen die Notwendigkeit eines zusätzlichen Großprojekts in Albbruck fragwürdig, zumal die regionale Versorgung bereits durch diese Kliniken gewährleistet ist“, so Boettcher.
Massive Kritik äußert Boettcher an der Klinik-Geschäftsführung. Diese habe an Ansehen in der Bevölkerung und der niedergelassenen Ärzteschaft verloren“. Ein Neubau werde nicht ausreichen, um diese Defizite zu beheben. Vielmehr ist ein struktureller und organisatorischer Neuanfang erforderlich, um das Vertrauen in die medizinische Versorgung zurückzugewinnen.
Landkreis: „Keine Veranlassung, eingeschlagenen Kurs zu verlassen“
Der Landkreis sieht unterdessen keine Veranlassung, am eingeschlagenen Weg bei der Krankenhausversorgung etwas zu ändern, und kann die Forderungen Boettchers auch nicht nachvollziehen: „Unsere seit 2017 eingeleiteten Weichenstellungen (Konzentration, Spezialisierung und Sicherung der Grundversorgung) nehmen das KHVVG vorweg“, so Pressesprecherin Julia Fohmann-Gerber auf Nachfrage.

Sorgen, dass es mit der angestrebten Einstufung nicht klappen könnte, macht sich der Kreis ebenfalls nicht: „Die medizinische Qualität wird schon heute gewährleistet. Das zeigen die Zertifikate, die das Klinikum regelmäßig erlangt“, so Fohmann-Gerber. Das Land beginne nun mit der Krankenhausplanung und das Klinikum Hochrhein werde nach allen Abstimmungsgesprächen den Status eines Level-2-Hauses erhalten.
Fachkräftegewinnung erfordert große Anstrengungen
Generell ist das KHVVG aus Sicht des Klinikums nicht der große Wurf, wie er von vielen Experten ursprünglich erhofft worden war. „Es löst die strukturellen Finanzierungsprobleme nicht und schafft zusätzliche, teure Bürokratie“, fasst die Sprecherin zusammen.
Dabei sei Fachkräftemangel bekanntermaßen eine der großen Herausforderungen. Jedoch: „Seit Jahren ist das Klinikum bei der Gewinnung von Fachkräften hochaktiv, weit über die Grenzen des Landes hinaus: 90 Prozent der Spezialisten des Klinikums kommen nicht aus Baden-Württemberg“, so die Sprecherin.
Das KHVVG stelle in der personellen fachärztlichen Struktur Forderungen auf, die in einzelnen Bereichen bis 2027 noch umzusetzen seien. Das Klinikum arbeite intensiv daran, noch bestehende personelle Lücken zu schließen.
Keine Alternative zu Neubau vorstellbar
So oder so: Das Sozialministerium und der Kreistag hätten sich für den einzig sinnvollen Weg entschieden, nämlich die stationäre Versorgung im Landkreis durch den Neubau des Klinikums zu erhalten. Zudem werde mit dem Gesundheitspark „eine zentrale und übergreifende Anlaufstelle für das Thema Gesundheit am Hochrhein“ geschaffen, so die Antwort aus dem Landratsamt.
Das Klinikum gehe seit 2018 konsequent den dualen Weg der Grund- und Spezialversorgung. Es vernetze sich außerdem mit interessierten Gemeinden und Ärzten, um die medizinische Vernetzung und Versorgung in der Region voranzutreiben und zu sichern. Diese Ziele würden sich mit den Zielen des KHVVG decken.