Es sind sehr existenzielle Frage, mit denen es Gewerbetreibende derzeit zu tun haben. Klar ist: Eine Transformation der Innenstädte hatte schon eingesetzt, lange bevor die Pandemie die Vorzeichen noch einmal verändert hat. Doch wohin führt der Weg?
Urbanistik-Experte: „Innenstädte werden sich grundlegend verändern“
Der Wissenschaftliche Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Instituts für Urbanistik, Carsten Kuehl, der jüngst auf Einladung der SPD-Bundestagsabgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter im Rahmen einer Online-Veranstaltung Akteuren und Bürgern vom Hochrhein Rede und Antwort stand, zeichnet ganz eindeutig das Bild von grundlegenden Veränderungen, die „nicht mehr verhandelbar“ geschweige denn umkehrbar seien. Innenstädte müssten in Zukunft schon mehr bieten als eine Fußgängerzone und Einzelhandel. Denn es zeige sich vielerorts, dass dieses Modell nicht länger trage, denn es treffe nicht mehr das heutige Lebensgefühl, so Kuehls Beobachtung. „Kaufkraft wird auf andere Kanäle abgezogen, es werden nicht alle Geschäfte überleben können, Gebäude werden leerstehen“, prognostiziert der Wissenschaftler.

Gerade auch wegen der Schweizer Kundschaft sei die Lage am Hochrhein noch keineswegs prekär. Dennoch bestehe auch hier Handlungsbedarf – und viele Chancen, so Kuehl: „Die Gestaltung der Transformation ist die große Aufgabe der Kommunen, und man muss sich bewusst sein, dass es in vielen Fällen nicht schnell geht, und auch eine finanzielle Herausforderung wird.“ Es gelte neue Nutzungskonzepte für Gebäude zu entwickeln und dabei auch neue, möglicherweise gewagte Ideen zuzulassen, gerade wenn es etwa um Wohnen in Innenstädten oder gar die Etablierung neuer Wohnformen gehe.
Gewerbeverbände: „Innenstadt neu denken“
Die Gewerbeverbände in der Region sind sich der Entwicklungen und der daraus resultierenden Herausforderungen bewusst, denn: „Der Transformationsprozess ist seit längerem im Gange. Corona hat aber auf jeden Fall einiges beschleunigt“, schildert Niels Bosley, stellvertretender Vorsitzender von Pro Bad Säckingen. Die Probleme, die durch den Internethandel und der damit verbundenen Abwanderung von Kunden entstanden sind, seien dabei wahrscheinlich die augenfälligsten und schwerwiegendsten, sagt Bosley.
Diese Ansicht teilt auch Thomas Wartner, Sprecher des Werbe- und Förderkreises Waldshut: „Natürlich haben die verwirrenden Corona-Regelungen vielen auch den Schritt zur Internetbestellung naheliegend.“

Doch entmutigen lassen sich die Akteure vor Ort durch all das nicht. Denn klar sei: Durch Veränderungen bieten sich auch neue Chancen zur Weiterentwicklung. „Innenstadt muss an einigen Stellen neu gedacht werden“, meint Bosley. Es gehe darum, neue Konzepte zu entwickeln, wie sich die klassische City wiederbeleben lasse, aber auch die bestehenden Besonderheiten und Stärken herauszuarbeiten.
Das sei sicherlich mit einem gewissen Aufwand verbunden, wie die beiden Vertreter der Gewerbeverbände Waldshut und Bad Säckingen einräumen. Aber an Ideen mangle es nicht.
Fokus auf Erlebnis-Charakter, Service und Verzahnung
Kernelement dieser „neu gedachten Innenstadt“ ist auf jeden Fall, den Erlebnis-Charakter des Einkaufs hervorzuheben. „Es geht hier nicht nur darum, Besorgungen zu erledigen“, betont Bosley. Ein Besuch in der Innenstadt sei unter normalen Bedingungen wesentlich umfangreicher. Es lasse sich beinahe als ganzheitliche Erfahrung beschreiben, zu der der Einkauf ebenso gehöre wie zwischenmenschliche Interaktion, das Entdecken und der anschließende Besuch in einem Restaurant.
„In diesem Zusammenhang kommt Veranstaltungen in der Innenstadt eine zunehmende Bedeutung zu, um einen Anreiz zur Rückkehr ins Zentrum zu bieten“, sagt Bosley. Sowohl bei Pro Bad Säckingen als auch beim Werbe- und Förderkreis Waldshut sind entsprechend umfangreiche Vorbereitungen für kleinere Aktionen in diesem und die Rückkehr zu großen Events im kommenden Jahr in Vorbereitung.
„Es geht darum, die City als Treffpunkt für Familien, als Veranstaltungsort, als Magnet zurück ins Bewusstsein der Menschen zu holen“, erklärt Wartner. Dass dies auf Anklang stoßen werde, daran haben er und seine Mitstreiter keine Zweifel. Zumal: Es gebe wohl keinen Ort, wo eine derart große Vielfalt an Angeboten, Dienstleistungen und Kulinarik so nah zusammenliege wie in einer Innenstadt.
Genau derartige Aspekte seien es, die Innenstädte dauerhaft attraktiv machten. Und auch diese gelte es weiterzuentwickeln, sagt Bosley. Eben Verzahnung von Leistungen oder eine andere Art von Raumkonzept zur Schaffung neuer Angebote seien hier Ansatzpunkte.
Aber auch die Vorzüge digitaler Angebote sollen noch stärker ins tägliche Arbeiten einbezogen werden, schildern die Gewerbe-Vertreter. Eine Menge sei diesbezüglich aus der Not der Pandemie heraus geboren worden. Auch hier böten sich Ansatzpunkte für Erweiterungen und Kooperationen.
Überhaupt sei Zusammenarbeit ein wichtiger Schlüssel für das Gelingen der Bemühungen. Das gehe mit schlichten Abstimmungen von Terminen los, könne aber bis zu einer engen Kooperation reichen, wie sie die Gewerbevereine von Waldshut und Tiengen inzwischen pflegen, so Wartner.
All diese Kommunikationskanäle hätten sich überhaupt erst dadurch Bahn gebrochen und seien intensiviert worden, indem das Thema Innenstadt auf verschiedenen Ebenen der interkommunalen und teils überregrionalen Arbeitsgruppen weit oben auf die Agenda aufgestiegen sei.
IHK: Innenstädte haben realistische Chancen
Die Hoffnungen auf eine Rückkehr der Kunden in die Innenstädte hält auch IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx für berechtigt, denn die Menschen sehnten sich nach Monaten der Beschränkungen und des Rückzugs in die eigenen vier Wände nach einer Rückkehr in ihre Städte, nach „realen Erlebnissen“, nach Freizeitgestaltung und dem Treiben in den Städten: „Schon der vergangene Sommer hat uns gezeigt, dass die steigenden Temperaturen und ein Leben außerhalb von privaten Räumen auch das wirtschaftliche, kulturelle und soziale Leben in den Innenstädten befeuern.“ Die Fortschritte der Impfkampagne steigerten den Optimismus.
„Auf diese Sehnsucht gilt es, mit einem attraktiven Angebot zu reagieren. An dem Projekt „Revitalisierung der Innenstadt“ wird deshalb überall mit Kreativität und großem Engagement gearbeitet“, so Marx. Es gibt also gute Gründe, optimistisch zu sein, vor allem aber, durchzuhalten. Das Licht am Ende des Tunnels ist in eine realistische Nähe gerückt.
Gewisse Hoffnungen knüpfen die Verbände am Hochrhein auch an die Politik. „Das Regierungsprogramm der Landesregierung stimmt uns zuversichtlich. Da wird noch einiges passieren“, ist sich Thomas Wartner sicher.
Doch vor allem bedürfe es an Unterstützung des Bundes und des Landes bei Dingen wie Digitalisierung, der Gestaltung von Innenstädten oder schlicht für die Aktivitäten der Gewerbevereine: „Eine Pauschale für Events und Aktionen täte gerade in der jetzigen Situation dringend Not“, so Wartner.
Darüber hinaus erwartet aber zum Beispiel Niels Bosley auch ein gewisses Entgegenkommen staatlicher Stellen, wenn es um städtebauliche Maßnahmen gehe – oder eben um Fördermittel, die die Weiterentwicklung der Innenstädte unterstützen.
Politik: Austausch und Konsens erzielen
In diesem Zusammenhang zeigen sich auch der Waldshuter Landrat Martin Kistler wie auch die Abgeordnete Rita Schwarzelühr-Sutter zuversichtlich. Die Region verfüge über gute Ausgangsbedingungen und noch dränge die Zeit nicht.
Nun gelte es – gerade auch im Austausch mit möglich vielen Stellen und auf Basis eines gesellschaftlichen Konsens‘ – Pläne zu entwickeln wie die Attraktivität der Innenstädte erhalten und zukunftsfähig gemacht werden könne. Wie lassen sich neue Konzepte integrieren? Wie lassen sich zusätzliche Angebote schaffen? Wie lassen sich gesellschaftliche und kulturelle Treffpunkte etablieren? Das sind nach Schwarzelühr-Sutters Einschätzung Fragen, die beantwortet werden müssten, wolle man gute Perspektiven bieten und verhindern, dass die Städte in der Region in ähnlichem Maße ausbluten, wie es in anderen Teilen des Landes bereits geschehen sei.