Wie kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist die Gastronomie von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen. Schon zu Beginn der ersten Welle mussten Gaststätten und Restaurants im März 2020 zwei Monate lang schließen, seit dem 2. November 2020 können nun schon sogar fast ein halbes Jahr lang keine Gäste mehr empfangen und bewirten.

Keiner weiß, wie lange der zweite Lockdown noch andauert, zahlreiche Gaststätten werden ihn nicht überleben. In dieser Situation wagt Patrizia Scianna Münch einen Neustart als Gastronomin und übernimmt zum 1. Mai das Luttinger Hotel Restaurant „Kranz“.

Herrin über 100 Sitzplätze und 30 Betten

Die 42-Jährige trägt jetzt Verantwortung für eine 180 Jahre alte Gaststätte mit 100 Innen- und Außenplätzen, ein Hotel mit 30 Betten, für elf Voll- und Teilzeitbeschäftigte sowie einen Auszubildenden im dritten Lehrjahr.

Was die Aufgabe nicht einfacher macht: Der „Kranz“ war seit sechs Generationen in der Hand derselben Familie. Küchenmeister Hugo Spehl (63) stand vor demselben Problem wie tausende andere Familienunternehmer auch: Wie einen geeigneten Nachfolger finden? Die eigenen Kinder hatten hatten sich beruflich anders orientiert und früh signalisiert, dass sie nicht daran interessiert seien, das Haus zu übernehmen.

Mehrere Jahre lang führte ein Neffe Spehls den „Kranz“, doch auch diese Hoffnung auf einen Fortbestand der Familientradition zerschlug sich. Wegen der ungeklärten Nachfolge stellte der „Kranz“ im Oktober 2019 den Restaurantbetrieb ein und bestand nur noch als Bed-and-Breakfast-Hotel weiter.

Traditionsgaststätte stand vor dem Aus

Das hätte das Aus einer weiteren traditionsreichen Dorfgaststätte bedeuten können – wäre Hugo Spehl nicht immer noch in gutem Kontakt zu seiner ehemaligen Auszubildenden Patrizia Scianna gestanden. Die Laufenburgerin hatte nach ihrer 1996 begonnenen Lehre als Köchin im „Kranz“ berufsbegleitend den Fachhochschulabschluss in Betriebswirtschaft gemacht und dann an der Hotelfachschule Zürich das Diplom als Hôtelière und Restauratrice.

Nach verschiedenen beruflichen Stationen in der Schweiz unter anderem in zwei Fünf-Sterne-Häusern nahm die verheiratete Mutter zweier Kinder 2005 eine berufliche Auszeit und zog 2010 mit ihrer Familie von Zürich zurück nach Laufenburg, dieses Mal in den Schweizer Teil der Stadt. Dort kochte Scianna Münch ab 2012 zunächst als Eventköchin für das „Burgdiner“, 2017 dann übernahm sie das Restaurant „Schlössle“ in Laufenburg (Baden), dessen von den Vorpächtern Stefanie Zumkeller und Iván Lagunas Romeo erarbeiteten guten gastronomischen Ruf sie mit ihrer frischen regionalen Küche fortführen konnte.

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Neue Wirtin nutzt Entscheidungsfreiheit

Spehl trug seinem ehemaligen Lehrling die Übernahme an. Scianna Münch sagte zu. „Im ,Kranz‘ habe ich eine ganz andere Entscheidungsfreiheit und auch ganz andere Herausforderungen“, beantwortet die neue Chefin die Frage, weshalb sie das Pachtverhältnis für das „Schlössle“ in Laufenburg beendete, um das Hotel Restaurant im Stadtteil Luttingen zu übernehmen.

Die Entscheidungsfreiheit hat sie genutzt. Die Gasträume des „Kranz“ wurden in den vergangenen acht Monaten komplett umgestaltet. Die Zeit dafür hatte Scianna Münch, denn auch das „Schlössle“ war im Lockdown. So konnten sie, ihre Mitarbeiter und auch ihre Familie erhebliche Eigenleistungen einbringen. Darüber hinaus investierte Scianna Münch nach eigenen Angaben deutlich über 100.000 Euro in das Objekt.

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Nun sind in den noch nach Farbe riechenden Gasträumen Lounge-chairs um die Holztische gruppiert, ein helles Eichenparkett sorgt für eine freundlich-rustikale Atmosphäre, erneuert wurden auch die Beleuchtung und die Theke sowie der Eingangs- und der Außenbereich. Doch die im Hotel nächtigenden Handwerker und Handelsvertreter, die hier zum Frühstück Platz nehmen, sind vorerst die einzigen Gäste. Wie alle anderen Gaststätten befindet sich auch der „Kranz“ im Lockdown.

Patrizia Scianna Münch und Hugo Spehl vor der neugestalteten Fassade des Luttinger Traditionsgasthauses, das nach sechs Generationen ...
Patrizia Scianna Münch und Hugo Spehl vor der neugestalteten Fassade des Luttinger Traditionsgasthauses, das nach sechs Generationen erstmals von jemandem außerhalb der Familie Spehl geleitet wird. | Bild: Vonberg, Markus

Nach umfangreichen Investitionen startklar für Zeit nach Lockdown

Das gesamte Restaurant-Team, das zusammen mit Patrizia Scianna Münch vom „Schlössle“ in den „Kranz“ wechselte, ist in Kurzarbeit. Zunächst sollen die die Service- und Küchenkräfte stundenweise im Hotel eingesetzt werden, der Azubi kocht erst einmal nicht für Restaurantgäste, sondern für die Kollegen. Die neue „Kranz“-Wirtin freut sich, dass sie einen Auszubildenden hat: „Ich selbst wollte nie etwas anderes werden als Köchin. Das ist ein schöner Beruf, den ich gerne jungen Menschen nahebringen will.“

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Jetzt hoffen im „Kranz“ alle, dass der Lockdown bald ein Ende hat. „Wir brennen darauf, endlich wieder kochen und bewirten zu dürfen“, sagt Patrizia Scianna Münch. Alt-Chef Hugo Spehl will sie aus zweiter Reihe unterstützen. Scianna Münch ist sich sicher, dass nach der Pandemie viele wieder gut Essen und Trinken gehen wollen: „Das hat Corona glücklicherweise eben auch bewirkt: Die Menschen leben bewusster.“

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