Überrascht, so erinnert sich Bürgermeisterin Diana Stöcker im Gespräch, war sie von den Flüchtlingsströmen nicht. „Die UNHCR hat bereits im Frühjahr 2015 vor der sich zuspitzenden Lage gewarnt.“ Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) beobachtet weltweit Veränderungen bei Migration. „Die Geldgeber haben ihre Finanzmittel für Flüchtlingscamps eingestellt, Mitarbeiter wurden abgezogen, die sanitären Bedingungen wurden katastrophal.“
„Christlich und humanitär gehandelt“
Die Menschen hätten die Wahl gehabt zwischen bleiben und sterben oder gehen und vielleicht auf dem Weg den Tod finden – aber zumindest eine Chance haben. Die Entscheidung der Kanzlerin, die Grenzen nicht zu schließen, kann Stöcker auch heute noch nachvollziehen. „Sie hat christlich und humanitär gehandelt, das Menschen- und besonders das Kindeswohl im Blick gehabt.“
Die Wochen danach seien hektisch und arbeitsintensiv gewesen. „Es war eigentlich wie mit Corona: Es gab für diese Situation keine Blaupause“, sagt Stöcker. 60 Prozent ihrer Arbeitszeit habe sie damals für die Flüchtlingsarbeit aufgewendet, für die ersten eineinhalb Jahre im Amt sei dies die vordringlichste Aufgabe gewesen, die sie ohne Integrationsbeauftragte gestemmt hat.
Viele vorläufige Unterkunftsplätze
Dem Landkreis sei es zunächst um so viele vorläufige Unterbringungsplätze gegangen, wie möglich. „In der Schildgasse waren zwischenzeitlich 450 Menschen untergebracht, in jeden Raum wurden Zusatzbetten gestellt, auch die Gemeinschaftsräume wurden als Schlafplatz genutzt.“ Hinzu kam die Unterkunft an der Römerstraße – die nun aufgelöst wird. Eine gute Entscheidung, findet auch der Integrationsbeauftragte der Stadt, Dario Rago. Denn die umgebaute Tennishalle war immer nur als Provisorium gedacht.

Rago war 2015 noch im Studium. „Ich fand den Satz der Kanzlerin damals schon gut und finde ihn heute noch besser.“ Denn er drücke eine Haltung aus, die sich ganz konkret in der Arbeit vor Ort widerspiegele – und in individuellen Entscheidungen. „Oberbürgermeister Klaus Eberhardt und ich haben recht schnell für uns festgehalten, dass auch die Anschlussunterbringung geregelt sein muss“, erinnert sich Stöcker. Das sei vom Landkreis anders gesehen worden, der wollte eine weitere Gemeinschaftsunterkunft bauen.
Die Stadt hat das Projekt jedoch durchgezogen und bereits im Frühjahr 2018 konnten die ersten Bewohner in den Neubau an der Werderstraße einziehen, der seither Geflüchtete, aber auch Familien, die von Obdachlosigkeit bedroht sind, beheimatet. „Das läuft gut, mit den üblichen Problemen, die Wohnen in einem Mehrfamilienhaus mit sich bringt.“
Keine Mietwohnungen für Anschlussunterbringung
Eine weitere Entscheidung, die sich für Stöcker im Nachhinein als goldrichtig erwiesen hat: Die Stadt hat für die Anschlussunterbringung keine Wohnungen angemietet und dann an Geflüchtete untervermietet. „Andere Kommunen haben genau das gemacht und bezahlen bis heute viel Geld.“ Heute leben 88 Prozent der Geflüchteten in Anschlussunterbringung in eigenen Mietverhältnissen (322 Menschen). Nur zwölf Prozent (44) sind durch die Stadt eingewiesen. „Das haben wir wirklich geschafft“, sagt Stöcker.
Ein langwieriger, aber lohnenswerter Prozess sei der Umbau der Ausländerbehörde in eine Willkommensabteilung gewesen. Zwei Jahre lang wurde die Stadt bei dem Umbau von einem externen Institut begleitet, gefördert vom Land. Mitarbeiter, Kunden und Ehrenamtliche wurden befragt, es gab Schulungen, das Zusammenspiel aller Akteure wurde beleuchtet. „Das hat der Integrationsarbeit einen enormen Schub gegeben und heute ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht“, sagt Stöcker.
„Integrationsarbeit wird nie obsolet“
Dazu trägt auch die Stabstelle Integration bei, die aktuell mit vier Stellen ausgestattet ist. „Integrationsarbeit hört nicht auf, die Aufgabe wird nie obsolet sein“, sagt Rago, der seit Frühjahr 2019 für die Stadt arbeitet. Denn so unterschiedlich die Menschen sind, die hierher kommen, so unterschiedlich seien die Beratungsbedürfnisse.
Gegen unkontrollierten Zugang an der Grenze
Was müsste heute anders laufen, sollte sich eine Situation wie 2015 wiederholen? Stöcker muss nicht lange überlegen. „Den unkontrollierten Zugang an den Grenzen, den dürfte es so nicht mehr geben.“ Auch, dass die Geflüchteten aus den Landeserstaufnahmestellen auf die Städte verteilt wurden, ohne einen Antrag auf Asyl gestellt zu haben, sei falsch gewesen und habe viel Arbeit verursacht. „Wir haben damals zwei Mal einen Bus nach Freiburg gechartet, wo alle Geflüchteten aus der GU in einem Aufwasch ihre Anträge gestellt haben.“ Auch Rago findet, dass nach fünf Jahren die Prozesse sitzen müssten. Grundsätzlich aber bleiben er und Diana Stöcker dabei: „Wir würden es auch heute schaffen.“