Ehepaare geben sich vor dem Traualtar das Versprechen fürs Leben. Aber wird die Liebe auch die Belastungen von Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen, von Homeschooling und Kurzarbeit überleben? Seit Beginn der Pandemie warnen Experten vor einer Trennungswelle, die als Folge der Corona-Krise eintreten könnte. Wie ist die Lage in Konstanz? Gab es hier in den vergangenen rund 15 Monaten mehr Scheidungen?

Anfragen bei Paartherapeut haben zugenommen

Der Konstanzer Psychotherapeut Floriano Motisi berichtet dem SÜDKURIER, dass seit Beginn der Corona-Maßnahmen im Frühjahr 2020 die Zahl der Anfragen für eine Paartherapie in seiner Praxis um rund 20 Prozent gestiegen sei. Auch in vielen Familien von Kindern und Jugendlichen, die er betreue, sei es „zu signifikant höheren Herausforderungen und Trennungen“ gekommen, sagt er.

„In geringerer Intensität kann eine Herausforderung Paare und Familien auch stärker zusammenschweißen, wenn bereits zuvor gute ...
„In geringerer Intensität kann eine Herausforderung Paare und Familien auch stärker zusammenschweißen, wenn bereits zuvor gute Konfliktlösungsmechanismen vorhanden waren“, sagt Floriano Motisi, Therapeut aus Konstanz. | Bild: Floriano Motisi

Die Corona-Situation belaste vor allem die Paarbeziehung von Eltern. „Die Kinder sind wesentlich unglücklicher und gestresster aufgrund deutlich erschwerter sozialer Kontakte und wesentlich erschwerter Bedingungen in Schule oder Kita“, sagt Floriano Motisi. Außerdem hätten seit Beginn der Pandemie mehr Menschen psychische Probleme, welche sich auch negativ auf die jeweiligen Beziehungen auswirkten.

Trennungswelle könnte im Winter 2021 eintreten

Motisi glaubt, dass Paare, die noch nicht von den Pandemie-Auswirkungen überfordert seien, den Sommer nutzen werden, um an ihrer Beziehung zu arbeiten. Sollte sich der Beziehungszustand danach nicht verbessert haben, „würden die stärksten der Folgen erst zwischen Oktober und Januar eintreten, und damit auch die größten Scheidungs- und Trennungswellen“.

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Aber nicht jede Ehekrise, die während der Pandemie entstanden ist, muss zur Scheidung führen, erklärt der Therapeut. „In geringerer Intensität kann eine Herausforderung Paare und Familien auch stärker zusammenschweißen, wenn bereits zuvor gute Konfliktlösungsmechanismen vorhanden waren.“

„Zu viel Nähe oder Distanz kann Konflikte auslösen“

Die Konstanzer Paartherapeutin Barbara Krismer Burkard betrachtet die Corona-Krise als einen „möglichen Verstärker bereits gegebener Paarproblematiken“, wie sie auf SÜDKURIER-Nachfrage erklärt. Die Ausgangsbeschränkungen könnten das Nähe-Distanz-Verhältnis vieler Paare beeinträchtigen. „Zu viel Nähe oder zu viel Distanz kann Konflikte auslösen.“

Barbara Krismer Burkard, Paartherapeutin aus Konstanz.
Barbara Krismer Burkard, Paartherapeutin aus Konstanz. | Bild: Claudia Minder

Barbara Krismer Burkard sagt: „Viele Paare berichten davon, dass sie ihren gemeinsamen Interessen nicht mehr nachkommen können.“ Finanzielle Probleme, Kündigungen und Arbeitslosigkeit stellten zudem „existenzielle Ängste und besondere Herausforderungen dar“, so die Therapeutin. „Diese können Stress verursachen, der sich wiederum negativ auf das Miteinander auswirkt.“

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Doch nicht immer seien die Corona-Maßnahmen eine Belastung für Paare oder Familien, unterstreicht sie. „Häufig haben sie sowohl belastende wie auch erleichternde Aspekte in sich.“

Scheidungsanwalt: Häufung von Härtefallscheidungen

Stephan Tögel, Anwalt für Familienrecht aus Konstanz, hat in der Pandemie vermehrt Anfragen für Beratungen rund um das Thema Scheidungen und häusliche Gewalt erhalten, wie er dem SÜDKURIER bestätigt. „Ich habe das Gefühl, dass Ehepaare seit Beginn der Pandemie schneller die Bereitschaft zeigen, sich scheiden zu lassen“, sagt er.

„Wir haben als Familienrechtler immer auch eine psychologische Beratungsrolle, da geht es um menschliche Höhen und Tiefen“, ...
„Wir haben als Familienrechtler immer auch eine psychologische Beratungsrolle, da geht es um menschliche Höhen und Tiefen“, sagt Stephan Tögel, Fachanwalt für Familienrecht in Konstanz. | Bild: Stefan Klär

Lockdown, Kurzarbeit, Homeoffice oder Homeschooling – das seien unter anderem Faktoren, die zu Spannung, einem erhöhten Aggressionspotenzial und letztlich zur Scheidung führten, so Stephan Tögel. In den Beratungsgesprächen ginge seine Rolle manchmal auch über die des Anwalts hinaus. „Wir haben als Familienrechtler immer auch eine psychologische Beratungsrolle, da geht es um menschliche Höhen und Tiefen.“

Normalerweise dürften Ehepaare erst nach Ablauf des gesetzlichen Trennungsjahres ihren Scheidungsantrag einreichen. Eine Ausnahme sei die Härtefallscheidung. „In so einem Fall ist ein weiteres Zusammenleben unzumutbar“, erklärt Stephan Tögel. Auch Anträge dieser Art musste er im Laufe der vergangenen Monate beim Amtsgericht Konstanz einreichen. „Da gibt es eine Häufung von Fällen, die es vor Corona so nicht gab.“

Wie viele Scheidungsanträge sind seit Corona beim Amtsgericht eingegangen?

Wie das Amtsgericht Konstanz auf SÜDKURIER-Anfrage mitteilt, sind im Jahr 2020 insgesamt 298 Scheidungsanträge eingegangen. Im Vergleich zum Jahr vor Beginn der Pandemie, ist die Zahl der Scheidungsanträge damit stabil geblieben.

Scheidungsanträge

Franz Klaiber, Direktor am Amtsgericht Konstanz.
Franz Klaiber, Direktor am Amtsgericht Konstanz. | Bild: Hanser, Oliver

Franz Klaiber, Direktor des Amtsgerichts, weist darauf hin, dass die Werte des Jahres 2020 nur eine bedingte Aussagekraft über die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen auf die Zahl der Ehescheidungen hätten. Erst nach Ablauf des vorgeschriebenen Trennungsjahres sei eine Scheidung möglich.

Aufgrund dieser zeitlichen Verzögerung zwischen der Trennung und der Beantragung eines Scheidungsverfahrens könne eine verlässliche Einschätzung erst in den kommenden Jahren getroffen werden, so der Direktor des Amtsgerichts.

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