Es war der Tag, als Konstanz Klimageschichte schrieb. Am 2. Mai 2019 verabschiedet der Gemeinderat einstimmig einen Beschluss zum Klimanotstand. Zum ersten Mal in Deutschland gesteht eine Stadt ein, „dass es mit den Klimaschutzbemühungen noch nicht schnell genug vorangeht“, wie es die Verwaltung zusammenfasst.

Der Schritt wird national beachtet, begleitet von der Frage: Wo und wie greift die Stadt, die 1996 auch die erste mit einem grünen Oberbürgermeister war, durch? Immerhin ist ja von einem Notstand die Rede. Mehr als vier Jahre später hat sich, so zumindest legen die Aussagen von Kommunalpolitikern nahe, an der Einschätzung, „dass es mit den Klimaschutzbemühungen noch nicht schnell genug vorangeht“, nicht viel geändert.

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Nachdem es zuerst hieß, Konstanz müsse auf der Grundlage des Notstandsbeschlusses bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden, hat sich in den städtischen Verlautbarungen inzwischen das Wörtchen „weitgehend“ breitgemacht. So oder so, von den ursprünglich 16 Jahren, die für die Mammutaufgabe zur Verfügung standen, sind vier vorbei.

Wo steht die Stadt beim Klimaschutz?

Wie gut wurde dieses erste Viertel der selbst gesetzten Frist genutzt? Die Debatte um den Klimaschutzbericht, den die Stadtverwaltung dem Gemeinderat alle sechs Monate vorlegt, zeigt, dass die Meinungen dazu weit auseinandergehen. Oberbürgermeister Uli Burchardt jedenfalls ist mit pauschaler Kritik, dass alles viel zu langsam gehe, nicht einverstanden. Das sei eine „Fehlannahme“, hielt er der Freien Grünen Liste in diesem Zusammenhang vor. Und spielte den Ball zurück: „Ihr seid die größte Fraktion, mehr als doppelt so viele Leute wie das Amt für Klimaschutz.“

Dessen neuer Leiter Philipp Baumgartner steckt noch in der Einarbeitungsphase. Der allgemein anerkannte bisherige Ober-Klimaschützer Lorenz Heublein, dem der Rat den Karrieresprung an die Spitze des neuen Amts verwehrte, kann einordnen: Konstanz, sagt er, ist zum Beispiel ein Vorreiter in der Wärmeplanung. Ein Energienutzungsplan, der bundesweit so vielen Kommunen derzeit schwer zu schaffen macht, liegt längst vor. Aber er sagt auch: „Es ernüchtert uns sehr, dass es nicht so schnell geht, wie wir uns wünschen.“ Sein Vorschlag: „Menschen anstupsen, ihr Verhalten zu ändern.“

Erzieherin Julia Egenhofer hat bereits etwas geändert. Sie sagt: „Ich fahre in Konstanz mit dem Fahrrad, weil es für mich ...
Erzieherin Julia Egenhofer hat bereits etwas geändert. Sie sagt: „Ich fahre in Konstanz mit dem Fahrrad, weil es für mich schneller geht und gut für die Umwelt ist. Außerdem tue dabei ich etwas für meine Gesundheit.“ | Bild: Hanser, Oliver
Auch die Konstanzerin Ann-Katrin Jahn sieht das so: „Ich fahre aus Umwelt- und praktischen Gründen mit dem Fahrrad. Ich komme ...
Auch die Konstanzerin Ann-Katrin Jahn sieht das so: „Ich fahre aus Umwelt- und praktischen Gründen mit dem Fahrrad. Ich komme schneller von A nach B und muss keinen Parkplatz suchen. Zudem bin ich CO2-neutral unterwegs.“ | Bild: Hanser, Oliver

Wie viele Mitstreiter Lorenz Heublein wirklich hat bei dem, was er „gesamtgesellschaftliche Motivationsaufgabe“ nennt, ist beim Blick in den Gemeinderat etwas unklar. So behauptet der FDP-Stadtrat Achim Schächtle, Konstanz sei „keinen Schritt weiter“ gekommen, man müsse „weniger Papier und mehr Ergebnis produzieren“. Tanja Rebmann von der SPD findet dagegen, dass die Ziele inzwischen deutlich konkreter geworden seien. Dorothee Jacobs-Krahnen von der Freien Grünen Liste befürchtet ganz direkt: „Wir werden die Ziele, die wir uns für 2035 gesetzt haben, nicht erreichen.“

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Kann Tübingen zum Vorbild werden?

Die großen Themen, auch das zeigt die politische Debatte, sind dabei unter anderem die Mobilitätswende, der Umbau der Wärmeversorgung, der Ausbau von Photovoltaik. Doch jeder Tag, an dem der Ausstoß an Kohlendioxid nicht zurückgeht, macht die Zukunft noch schwieriger, mahnt Simon Pschorr von der Linken: „Der Pfad wird immer steiler.“

Orientierung, empfiehlt die grüne Stadträtin Dorothee Jacobs-Krahnen, kann dabei ein Blick nach Tübingen geben. Die ähnlich große, ebenfalls von der Universität geprägte Stadt hat zwar nicht den Klimanotstand erklärt, sich aber dafür wenige Wochen nach Konstanz das Ziel gesetzt, ebenfalls klimaneutral zu werden – und das schon 2030. Eine Idee vom Neckar, die soeben in weiten Zügen auch gerichtlich für rechtmäßig erklärt wurde, will Konstanz jetzt tatsächlich auch bald umsetzen: Die Einweg-Verpackungssteuer für To-Go-Lebensmittel.

Auch in der Gemeinderatsitzung werden Kritik und Lob gleichermaßen zu den kommunalen Fortschritten beim Klimaschutz geäußert. Anne Mühlhäußer (FGL) mahnte Tempo beim Klimaschutz an und wies darauf hin, dass Sanierungsprojekte bei der Wobak noch nicht begonnen worden seien. Auch beim individuellen Autoverkehr bewege sich zu wenig. Heike Rawitzer (CDU) wiederum vertrat die Ansicht, dass die Berichtsintervalle in größerem Abständen stattfinden sollten. So könne man Ziele besser definieren und sehen, was geschafft ist.

Lob für Lorenz Heubleins Arbeit

Simon Pschorr (Linke Liste) lobte die Arbeit von Lorenz Heublein und dessen Eigeninitiative. So habe er sofort reagiert, als klar war, dass die in Tübingen eingeführte Verpackungssteuer gerichtlich für zulässig erklärt wurde. „Heublein begann sofort, über eine Umsetzung in Konstanz nachzudenken. Das ist vorbildlich.“ Pschorr betonte aber ebenfalls, dass die Stadt schneller werden müsse. Die Stadtwerke seien eine große Baustelle, ihnen stünden Veränderungen bevor.

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Roger Tscheulin fragte nach der kommunalen Wärmeplanung und wie weit der Prozess in Konstanz fortgeschritten sei. An dieser Stelle konnte Oberbürgermeister Uli Burchardt beruhigen: Diese werde in diesem Jahr begonnen. Heublein ergänzte, dass der Energienutzungsplan bereits seit 2018 erstellt worden sei und 2023 fertig gestellt werde. „Es hängt von der Gesetzeslage ab. Wir warten noch das Gebäude-Energiegesetz auf Bundesebene ab.“

Zum Tempo, in dem Konstanz beim Klimaschutz vorwärts kommt, kann Lorenz Heublein dann noch eine Zahl liefern: Zwischen 2018 und 2022 habe Konstanz eine CO2-Reduzierung von 16 Prozent erreicht, bundesweit liege der Schnitt bei zehn Prozent.