Der Anruf kam spät an diesem Abend im März 2020. Gegen 22 Uhr. Der 79-Jährige ging an seinem Stock zum Telefon, hob ab. Die Stimme im Hörer stellte sich als Polizeibeamter Frank Bader aus Konstanz vor. Der Anrufer hatte erschreckende Nachrichten: Dass eine rumänische Diebesbande nach dem Vermögen des Seniors trachte und jeden Moment da sein könnte.

Achtung, Diebe mit dem Coronavirus infiziert!

Doch wie gut – die Polizei werde ihn schützen, deshalb solle er Bargeld und Münzen in eine Tüte packen und vor sein Haus legen. Ein Beamter hole es dann ab. Achtung! Die Diebe seien auch noch mit dem Coronavirus infiziert.

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So erzählte es der 79-Jährige am Freitag beim Prozessauftakt am Landgericht Konstanz. Er war als Zeuge geladen. Auf der Anklagebank saß ein mutmaßliches Mitglied einer Bande von Trickbetrügern. Die sollen den Zeugen und andere Rentner im März und April 2020 mit der Falsche-Polizisten-Masche in Konstanz, Überlingen, Ravensburg und Hohenreute um fast eine halbe Million Euro gebracht haben.

Anruf kam aus der Türkei

Der Mann, der den 79-Jährigen am späten Abend anrief, hieß weder Frank Bader, noch war er Polizist – noch saß er in Konstanz. Der Anruf kam aus der Türkei.

Justizbeamte vor der Verhandlung
Justizbeamte vor der Verhandlung | Bild: Stegmann, Eva Marie

Nachdem der Rentner Münzen und Bargeld im Wert von über 100.000 Euro vor die Tür gelegt hatte, ging die Maschinerie der Betrüger los. Wie ein Uhrwerk. Einer holte die Beute ab, übergab sie einem anderen, der wiederum brachte das Geld in die Türkei oder wahlweise Schmuck, Gold und Silber zu türkischen Juwelieren, die es einschmolzen, es verkauften und den Gewinn weiterreichten.

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Angeklagter wurde von Komplizen verraten

Der Angeklagte soll derjenige gewesen sein, der die Beute in die Türkei brachte. Die Staatsanwaltschaft Konstanz beschuldigt ihn des gewerbs- und bandenmäßigen Betrugs in sechs Fällen. Pikant: Der 35-Jährige sitzt nur deshalb seit April 2020 in Untersuchungshaft und nun auf der Anklagebank, weil ein Komplize ihn verraten hat. Dem wurde bereits im Dezember der Prozess gemacht – weil er die Kriminalpolizei zu dem 35-Jährigen führte, bekam er eine vergleichsweise geringe Haftstrafen: zwei Jahre auf Bewährung.

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Das war es der Kriminalpolizei offensichtlich Wert. Sie vermutet, dass der nun Angeklagte in der Hierarchie der international tätigen mutmaßlichen Bande in der mittleren Führungsriege agierte. Dies stellte dessen Verteidiger, Erenoglu Özhan, jedoch am Freitag vor dem Landgericht in Frage.

Der Verteidiger des Angeklagten vor dem Prozess
Der Verteidiger des Angeklagten vor dem Prozess | Bild: Stegmann, Eva Marie

Sein Mandant habe gar nicht gewusst, dass es sich um die Falsche-Polizisten-Masche gehandelt habe, sagte er. Er habe lediglich Waren von A nach B gebracht. Dass die Opfer Hochbetagte gewesen seien, habe er ebenfalls nicht gewusst. Was stimmt? Das gilt es nun für das Gericht um den Vorsitzenden Richter Joachim Dospil herauszufinden.

Angeklagter gibt an, Kokainsüchtig zu sein

Man erfuhr an diesem ersten von mindestens zwei Prozesstagen einiges über den Angeklagten: Dass er bereits 15 Mal vor Gericht stand, mal wegen Drogen, mal wegen Fahren ohne Fahrerlaubnis, mal wegen einer Schlägerei. Dass einer seiner Brüder den anderen ermordet hat und wenig später auch noch der Vater starb.

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Dass er deshalb den Boden unter den Füßen verloren habe. Außerdem sei er schwer kokainsüchtig. Der Anwalt zeichnete das Porträt eines Leidenden, den das schnelle Geld verführte. Spielschulden hat er nämlich auch noch. Als ihn auf der Beerdigung seines Vaters ein Mann auf türkisch ansprach und fragte, ob er mit leichter Arbeit Geld verdienen wolle, sagte er zu. Dieser Mann soll übrigens derselbe sein, der später in der Verbrecher-Maschinerie erneut das Überreden übernahm: Am Telefon als falscher Kommissar Frank Bader.

Opfer: „Scham ist größer als materieller Verlust“

Was es mit einem Menschen macht, Opfer dieser Betrugsmasche geworden zu sein, davon konnte sich das Gericht am Freitag selbst überzeugen. Als der 79-jährige Senior aussagte. Zwar schwerhörig und mit Gehproblemen, aber geistig noch fit. „Das Gespräch verlief stufenweise – es gelang Herr Bader mein Vertrauen aufzubauen“, erklärte er. Am nächsten Tag habe er im SÜDKURIER von der Betrugsmasche gelesen. „Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Ich rief die Polizei.“

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Was ihm die Betrüger genommen haben, kann ihm die Polizei jedoch nicht wieder geben. Ein Stück Würde. „Meine Scham ist größer als der materielle Verlust“, sagte er, „ich habe mich übertölpeln lassen, das schmerzt mich so.“ Es belaste ihn bis heute, er schäme sich so, dass er es nicht einmal seinen Freunden erzählt habe. „Ich glaube, wenn meine Frau noch leben würde, wäre das nicht passiert.“

Angeklagter entschuldigt sich und dann ...

Als er den Saal wieder verlassen wollte und nach dem Gehstock griff, schaltete sich der Angeklagte ein. „Ich möchte mich aufrichtig dafür entschuldigen, es tut mir leid.“ Der Senior verstand erst nicht, der Angeklagte wiederholte seine Worte. Daraufhin hielt der Konstanzer inne, drehte sich zu dem Mann auf der Anklagebank um, sah ihm in die Augen – und antwortete: „Ich kann dazu nur sagen: Wenn es keine Boten gäbe, die das ausführen würden, würde dieses ganze System nicht funktionieren.“

Das Urteil fällt voraussichtlich Mittwoch. Unter anderem als Zeugen gehört werden soll derjenige, der den Angeklagten verraten hatte.