Eine Bürgerbefragung der Stadt sorgt bei vielen für Verwirrung, Unmut und Unverständnis. Auf einer interaktiven Karte waren etwa 260 Stellen in ganz Konstanz markiert, wo Verbreiterungen von Gehwegen und weitere Maßnahmen aufgelistet waren, damit Fußgänger sicherer durch Konstanz kommen. Die Teilnehmer der Befragung sollten eine Priorisierung der Maßnahmen vornehmen.
Ob Veränderungen aus Bürgersicht nötig sind, wurde nicht abgefragt. Auch die Konsequenzen, welche die Verbreiterungen von Fußwegen zur Folge haben, wurden nicht aufgezeigt. Das sorgt vor allem bei den betroffenen Anwohnern für Ärger, während andere sich über weniger parkende Autos freuen würden.
Parkplatzsuche ist jetzt schon extrem schwierig
Die Umfrage der Stadt sei zum einen schwer verständlich gewesen, vor allem aber sei verschwiegen worden, dass Parkplätze entfallen, wenn Gehwege verbreitert werden, findJeet Christian von Mulert, der im Stadtteil Paradies wohnt, E-Auto und Rad fährt. „Der Druck auf die Parkplätze ist jetzt schon extrem hoch“, wobei er auf die Diskrepanz zwischen öffentlichen Stellplätzen und der weit höheren Anzahl an ausgestellten Anwohnerparkausweisen hinweist.

Er nimmt das Beispiel Schottenstraße. „Dort soll der Fußweg beidseitig von 1,4 Meter auf 2,7 Meter verbreitert werden“, sagt er. Die logische Konsequenz, welche die Stadt aber nicht in der Umfrage dargelegt habe: „Unter Beibehaltung der Fahrbahnbreite von 4,60 Meter kann das nur den Wegfall aller Parkplätze – das sind etwa 80 – bedeuten.“
Und dies sei nur ein Beispiel von vielen, denn gerade im Stadtteil Paradies seien die vorgesehenen Einschnitte gravierend. Insbesondere die Parkzone III, wo auch Bewohner der Innenstadt parken dürfen, sei besonders betroffen.
Viele Anwohner sind einfach auf ein Auto angewiesen
Schon jetzt gebe es große Probleme, als Anwohner einen Parkplatz zu finden, moniert auch Robert Hallmann, der selbst ein begeisterter Radfahrer ist, dennoch nicht auf ein Auto verzichten kann. Viele seien auf ihr Auto angewiesen.
„Es gibt viele Familien und Berufstätige, die das Auto brauchen, weil sie nicht alles mit dem öffentlichen Nahverkehr erledigen“ oder ein Lastenrad nicht sicher abstellen könnten, stellt er fest und fügt an: „Das Leben wird den einheimischen Anwohnern schwer gemacht.“

Und Hallmann macht sich Sorgen um die Zukunft seiner Heimatstadt. Er befürchtet, dass jene, die auf ihr Auto angewiesen sind, wegziehen, weil sie keinen Stellplatz finden oder ihn sich schlichtweg nicht leisten können. Stichwort Gentrifizierung. „Dann leben nur noch Studenten, ganz reiche Menschen und alte Leute, die nicht mehr wechseln wollen, hier“, befürchtet er.
Welche Einschätzung gibt die Wohnungswirtschaft ab?
Der Spar- und Bauverein (SBK) hat einige Objekte im Stadtteil Paradies. Sind Parkplätze wichtig für die Bewohner? „Es ist mittlerweile schwieriger, Wohnungen zu vermieten, wenn kein Parkplatz vorhanden ist“, sagt SBK-Vorstandsvorsitzender Ralph Buser auf SÜDKURIER-Anfrage. „Die Nachfrage nach Parkplätzen ist da. Es ist selten, dass jemand kein Auto hat“, sagt er aus Erfahrung.
Carsharing biete die SBK bei Neubauten an, wie beispielsweise in der Zasiusstraße. Dieses Angebot werde gut angenommen, allerdings sei Carsharing Zweiwagenersatz. Und er kennt die Klagen der Mieter. „Sie sagen nicht, der Gehweg sei zu schmal, sondern dass sie keinen Parkplatz finden.“

Man kann Konsequenzen nur erahnen, meint der Seniorenrat
Und was sagt der Stadtseniorenrat? „Die Bürgerbeteiligung begrenzt sich auf die Einschätzung von Prioritäten für eine Maßnahme. Eine endgültige Aussage über die Konsequenzen für den Verkehr lässt sich daraus nur erahnen. Das ist es aber, was die meisten Bürger wollen, wenn von einer Beteiligung gesprochen wird“, schreibt der Stadtseniorenrat auf SÜDKURIER-Anfrage. „Unser Vorschlag für eine Planung der Altstadt und des Paradies als Modellprojekt ist damit noch nicht erfasst worden.“
Anwohner: „Öffentlichen Raum könnte man viel sinnvoller nutzen“
Christoph Bacher, der im Paradies wohnt und mit Rad, Motorrad und dem ÖPNV unterwegs ist, findet, dass die Flächen, wo heute Autos stehen, „vor langer Zeit den Kindern, den Fußgängern, den Radfahrern und der Natur weggenommen“ worden seien.
Seinen Beobachtungen in seinem Umfeld zufolge wurde lediglich einer von zehn Menschen ein Auto dringend benötigen. Die anderen Autos stünden nur da, weil es den Platz dafür gebe, der obendrein preiswert sei. Bacher findet: „Den öffentlichen Raum könnte man viel sinnvoller nutzen.“

Die Antriebsart von Autos ändern für Bacher nichts: „Es geht um die Fahrzeuge an sich. Die sind zu viel.“ Er plädiert nicht nur für weniger Autos, sondern auch für Parkgebühren, die nach Kfz-Größe und damit nach verbrauchter Fläche berechnet würden. Christoph Bacher wünscht sich mehr Freiflächen, beispielsweise grüne Inseln, kombiniert mit Haltezonen für Gehbehinderte, mobile Krankenpflege, Handwerker, aber auch Carsharing-Plätze.
Könnten hier Chill-Oasen wie in Stadelhofen entstehen?
„Fußverkehr ist wichtig für die Verkehrswende“, stellt die im Paradies wohnhafte Studentin Kiki Köffle, aktiv bei Fridays for Future, fest. Sie hat die interaktive Karte der Bürgerbefragung studiert, findet die Informationen hätten umfassender sein können. Es habe sich nicht erschlossen, was an den aufgezeigten Stellen genau passieren soll.
„Ich finde des super wichtig, Fußwege zu verbreitern, gerade hinsichtlich der Barrierefreiheit“, sagt Köffle. Fußverkehr würde in Zukunft an Bedeutung gewinnen, „da mehr Leute auf den ÖPNV umsteigen müssen“, meint sie.
Köffle ist der Meinung, dass die Stadt mehr Maßnahmen durchführen soll, um die Zahl der Autos zu reduzieren. Durch die frei gewordenen Parkplätze könnte „mehr Aufenthaltsqualität, wie beispielsweise Chill-Oasen, geschaffen werden“; diese Flächen könnten nicht nur „zum Aufenthaltsraum umgewidmet werden“, sondern auch für Lastenradstationen und Carsharing zur Verfügung stehen.