15 Mal hatte der Angeklagte im Juli 2020 mit einem Messer auf seinen Mitbewohner eingestochen, sodass dieser noch am selben Tag im Klinikum verstarb – daran besteht vor dem Landgericht Konstanz kein Zweifel. Auch der Angeklagte bestreitet seine Tat nicht. Der Fall scheint klar. Doch er ist es nicht.
Denn noch ist unklar: Wie konnte es dazu kommen, dass der Angeklagte im Sommer 2020 gleich 15 Mal auf seinen Mitbewohner einstach und welche Rolle spielen die Vergangenheit und die psychische Verfassung des 42-jährigen Angeklagten? Um Antworten auf diese Fragen sollte es am ersten von vier Verhandlungstagen gehen.
Angeklagter verschweigt einen Teil seines Lebens
Der Angeklagte wirkt ruhig und gefasst, wie er auf seinem Stuhl im Verhandlungssaal sitzt. Als er aufgefordert wird, aus seinem Leben zu erzählen, beschreibt er seinen Werdegang ausführlich. Er drückt sich gewählt aus, als er von seinen beruflichen Erfolgen und Rückschlägen berichtet. Von familiären Problemen und von einer Alkoholsucht, die 2007 begonnen, aber auch wieder geendet habe.
Doch er verschweigt auch Teile seines Lebens: Mehrere Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken, mindestens einen unfreiwillig als Folge eines Wutanfalls. Erst der vorsitzende Richter bringt diesen Teil seines Lebens zur Sprache. Als der Angeklagte nach den Gründen für seine psychischen Behandlungen gefragt wird, schweigt er erst und schweift dann ab. Erst nach mehrmaliger Nachfrage sagt er, darüber werde er irgendwann sprechen, aber nicht vor der Öffentlichkeit.
Mit welchen psychischen Problemen der Angeklagte nun zu kämpfen hat und in wie weit diese Einfluss auf das Urteil haben können, bleibt bis zum Ende des Verhandlungstages offen. Offen bleibt auch die Frage, wieso der Angeklagte seinen Mitbewohner mit Messerstichen tötete. Immer wieder betont der Angeklagte, dass er Angst vor besagtem Mitbewohner gehabt habe, dass es Probleme zwischen ihnen gab – dass er um sein Leben gefürchtet habe. Er ist überzeugt, dass er in Notwehr handelte.
So schildert der Angeklagte die Tat
Am Tatmorgen habe er noch mit einem Kollegen einen Film geschaut, da sei noch alles in Ordnung gewesen. Später hätten sie sich getrennt. Der Angeklagte sei dann allein in die Stadt gefahren. Dann bekam er eine Nachricht des späteren Opfers mit den Worten „Wir werden morgen darüber reden!“
Weil der Angeklagte nicht gewusst habe, was der Mitbewohner damit meint, habe er ihn angerufen. Dabei hätte der Geschädigte ihm gedroht „ihn wegzuklatschen“. Daraus sei dann so eine Angst entstanden, dass er am gleichen Tag noch zur Polizei ging und berichtete, dass er sich in einer bedrohlichen Lage befinde. Doch die Beamten hätten ihn gebeten, das mit seinem Vermieter zu klären.
Daraufhin sei er unter Angstzuständen wieder nach Hause in die WG gefahren, wo sich auch das spätere Opfer befand. In Erwartung dieses Mitbewohners habe er sich an die Tür seines Zimmers gestellt. Dabei habe er auf seinem Schreibtisch ein Messer liegen sehen und es sich in den Hosenbund gesteckt. Kurz darauf sei der Mitbewohner hereingestürzt und habe ihn am Hals packen wollen.
Da habe der Angeklagte das Messer gezogen und ihm in die Seite gestochen. Weil der Mitbewohner darauf kaum reagiert habe, habe er daraufhin mehrmals nach vorne zugestochen. Dieser sei dann geflüchtet. Aus Angst, das Opfer könne sich beim Angeklagten rächen, ging er hinterher und stach ihm mehrmals in den Rücken.
Daraufhin sei es erneut zu einem Gerangel gekommen, in dessen Folge der Angeklagte nochmal zustach, bis der Mitbewohner bewusstlos auf dem Flur zusammenbrach. Danach habe er einen weiteren Mitbewohner, der sich zu der Zeit in der Küche befunden habe, gebeten, den Notruf zu wählen. Doch die Hilfe kam zu spät. Der Geschädigte verstarb noch am gleichen Tag im Klinikum an seinen Verletzungen.
Weitere Verhandlungstage sollen mehr Klarheit bringen
Warum der Angeklagte um sein Leben gefürchtet haben soll, wird an diesem Verhandlungstag nicht vollständig geklärt. Auch die anderen Mitbewohner schildern als Zeugen vor Gericht, dass sie den Eindruck hatten, der Angeklagte und der Getötete hätten eigentlich ein gutes Verhältnis zueinander gehabt.
Nur einem war aufgefallen, dass sich das kurz vor der Tat verändert habe. Obwohl sich zur Tatzeit zwei weitere Mitbewohner in der Wohnung befanden, habe keiner die Tat beobachtet. Ein Urteil wird Anfang April erwartet.