So viel Sympathie und Nachsicht hat bisher kaum ein Angeklagter vor dem Jugendschöffengericht in Konstanz erfahren. Schon gar nicht, wenn ihm vorgeworfen wird, dass er betrunken und ohne Führerschein am Straßenverkehr teilgenommen, einen Polizisten angegriffen, den Mitarbeiter eines Security-Unternehmens verletzt und alle zusammen beleidigt haben soll.
Angeklagter gibt alles zu und versucht sich nicht herauszureden
Doch der mittlerweile 19 Jahre alte Angeklagte konnte nicht nur durch seine schonungslose Ehrlichkeit punkten, er brachte auch allerhand Leumundszeugen mit, die vor Gericht den guten Kern des jungen Mannes beteuerten. Das überzeugte nicht nur den erfahrenen Richter Franz Klaiber, Direktor des Konstanzer Amtsgerichtes, sondern auch den Staatsanwalt Simon Pschorr. Der Angeklagte kam mit einer Verwarnung davon und er muss 400 Euro Schmerzensgeld an den geschädigten Security-Mitarbeiter bezahlen. Doch seine bereits bestehende Bewährung wird nicht verlängert. Eine letzte Chance, wie Klaiber und Pschorr deutlich machten.
Was war geschehen? An einem Sommerabend im August 2020 soll der damals 18 Jahre alte Angeklagte betrunken und ohne Helm zusammen mit einem Freund in der Karl-Wolf-Straße in Radolfzell Roller gefahren sein. Die dort von der Stadt Radolfzell eingesetzten Security-Mitarbeiter hielten das Duo an, sie rochen den Alkohol und riefen die Polizei zur Hilfe. Alle beteiligten Personen gaben an, die Lage sei soweit entspannt gewesen. Der Angeklagte sei höflich und kooperativ gewesen, auch als er einen Atemalkoholtest absolvieren musste, der 1,35 Promille anzeigte, berichtete die eingesetzte Polizistin im Zeugenstand.
Ein unbeteiligter Freund sorgt für Konflikt
Doch dann kam ein dritter Freund zu der Szene hinzu, der nichts mit der Roller-Fahrt zu tun hatte. Dieser fing eine Diskussion mit dem anderen Polizisten an. Beide schienen eine gemeinsame Vergangenheit zu haben. Der dritte Jugendliche soll dem Beamten vorgeworfen haben, ihm bei einem anderen Einsatz vor einigen Monaten das bereits verletzte Handgelenk gebrochen zu haben. Der Polizist soll daraufhin einen Platzverweis ausgesprochen haben, weil der Freund der beiden Jungs die Kontrolle massiv gestört habe.

Die Stimmung sei auf einmal angespannter gewesen, so die Beobachtung des Security-Mitarbeiters, der sich deswegen in der Nähe des Polizisten aufhielt. Plötzlich soll der eigentlich ruhige Angeklagte auf den Polizisten, der ihm den Rücken gekehrt hatte, losgestürmt sein. Der Security-Mitarbeiter konnte ihn aber aufhalten, dabei brach er sich den kleinen Finger. Der Angeklagte sei plötzlich außer sich gewesen, habe um sich geschlagen und sich nur mit roher Gewalt festnehmen lassen, so der Bericht der beiden Polizisten.
Beim verletzten Security-Mitarbeiter hat er sich zeitnah entschuldigt
Der 19-jährige Angeklagte räumte alles ein. Er gab an, er habe seinem Freund in der Diskussion mit dem Polizisten helfen wollen. „Wäre es nicht intelligenter gewesen, das der Polizei zu überlassen?“, fragte Richter Franz Klaiber den jungen Mann. Er habe aus Freundschaft gehandelt, so der 19-Jährige. Doch er sehe es ein, dass es falsch war. Bei dem Security-Mitarbeiter hatte sich der Angeklagte bereits drei Wochen nach der Tat entschuldigt. Und auch vor Gericht versuchte er nicht, sich aus der Sache herauszureden. Er stand voll und ganz zu den Fehlern. Und das kam gut an.
Denn ihm winkte eine große Chance. Über die Jugendeinrichtung, in der er die vergangenen Jahre untergebracht war, sei der Kontakt zu einer Freikirche in den USA entstanden. Und über diese Organisation habe der Angeklagte die Chance, für ein Jahr in den US-Bundesstaat Texas zu reisen und dort in einer sozialen Einrichtung mitzuarbeiten. Sein rechtlicher Betreuer und die Leiterin der Jugendeinrichtung wünschten sich für ihn, dass er diese Gelegenheit wahrnehmen und fernab der deutschen Heimat reifen und sich positiv entwickeln könne.
Ein netter Kerl mit schwerem Leben
Denn leicht habe es der junge Mann bisher nicht gehabt, wie sein Betreuer berichtete: Seinen Vater habe er in seinem Leben bisher einmal getroffen, die Mutter leide an einer psychischen Krankheit und habe viel Zeit in diversen Einrichtungen verbracht. Die Großeltern, zu denen der junge Mann aufsah, hätten ihn nie akzeptiert. Zum Ersatz wurde die Familie des besten Freundes, den er an diesem Tag in der Karl-Wolf-Straße verteidigen wollte. Wenn er straffällig wurde, dann nur in Momenten völliger Perspektivlosigkeit. „Er war wie ein junger Hund mit zu großen Pfoten, der schrecklich traurig war“, beschreibt der Betreuer seinen ersten Kontakt zum Angeklagten.
Auch Staatsanwalt Pschorr wollte dem jungen Mann diese Chance nicht verbauen und sprach sich für Auflagen aus, an der Reise nach Texas teilnehmen zu können. Er machte allerdings klar, dass er kein weiteres Mal so gnädig agieren würde. „Sehen wir uns hier noch einmal, wandern Sie ins Gefängnis“, so Pschorr. Richter Klaiber beließ es bei einer Verwarnung, schloss sich aber der Warnung von Pschorr an: „Wenn Sie das abbrechen oder es sich anders überlegen, sorge ich für eine sehr strenge Kontrolle der Bewährung.“