War es ein Missverständnis? Oder hatte er einfach einen schlechten Tag? Die Gründe, warum ein 72 Jahre alter Mann aus dem Raum Radolfzell an einem schönen Tag im Juni 2023 einem 24-jährigen Motorradfahrer auf dem Schiener Berg aufgefahren ist, sind auch während der Gerichtsverhandlung vor dem Radolfzeller Amtsgericht nicht geklärt worden. Seinen eigenen Ausführungen schenkte die vorsitzende Richterin Ulrike Steiner wenig Glauben. Der 72-Jährige wurde kürzlich zu einer Geldstrafe in Höhe von 825 Euro sowie einem Führerscheinentzug von sechs Monaten verurteilt.
Am Tatablauf gibt es zwischen dem Angeklagten und dem 24-jährigen Zeugen größtenteils übereinstimmende Aussagen. So ist der Angeklagte mit seinem Kastenwagen von Bohlingen kommend auf den Schiener Berg in Richtung Schienen gefahren. Hinter ihm tauchten drei Motorradfahrer auf – drei Freunde aus dem Hegau, die sich zum Motorradfahren verabredet hatten. Ihr Ziel: eine Eisdiele in Gaienhofen.
Erzählungen gehen auseinander
Nacheinander haben die drei Motorradfahrer dann auf der kurvigen Fahrbahn den Schiener Berg hoch den Wagen des 72-Jährigen überholt. Und hier gehen die Erzählungen auseinander. Der 72-Jährige sagte vor Gericht aus, der Letzte aus der Gruppe sei nach dem Überholvorgang weiter vor ihm hergefahren, habe ihn geschnitten, ihm merkwürdige Handzeichen gegeben und ihn letztlich so ausgebremst, dass ein Auffahren gar nicht vermeidbar gewesen wäre.
Da auf dem naheliegenden Parkplatz an dem Sommertag sehr viele Motorradfahrer und andere Ausflügler waren, habe der Angeklagte Angst gehabt, nach dem Unfall anzuhalten und auszusteigen. „Ich wusste ja nicht, ob das friedliche Menschen sind. Dem wollte ich mich nicht aussetzen“, sagte er. Und er gab an, dass er dann mit dem Auto weitergefahren sei und den Unfall erst am nächsten Tag bei der Polizei zur Anzeige gebracht habe. Dass der 24-Jährige bei dem Unfall verletzt wurde, habe er nicht gesehen. Laut seiner Aussage sei der junge Motorradfahrer nicht mit seinem Gefährt gestürzt.
72-Jähriger soll selbst provoziert haben
Der Motorradfahrer und seine zwei Freunde erzählten dieselbe Geschichte etwas anders. Der 24-Jährige gab an, bei den Überholvorgängen seiner Freunde bemerkt zu haben, dass der Fahrer des Kastenwagens unnötig beschleunigt habe. „Er wollte das Überholen am Berg besonders schwer machen“, so seine Interpretation. Da er dieses Verhalten für gefährlich hielt, habe er dem Fahrer nach dem Überholen ein Handzeichen gegeben, langsamer zu fahren. Auch habe er ihn aufgefordert, auf einem der Parkplätze anzuhalten. „Ich wollte mit ihm reden und ihm sagen, dass so ein Fahrverhalten nicht in Ordnung ist“, so der 24-Jährige.
Kurz vor dem Einbiegen auf den Wanderparkplatz sei der Kastenwagen ihm dann aufgefahren und habe ihn am Hinterreifen und Auspuff erwischt. Er sei gestürzt, habe sich leichte Verletzungen an der Hand und dem Fuß zugefügt. Die Schäden am Motorrad beliefen sich auf etwa 2000 Euro, er habe es aber für etwa 400 Euro selbst repariert. Die zwei Freunde des 24-Jährigen haben den Vorfall von dem Aussichtsparkplatz beobachtet. Dort haben sie auf ihren Freund gewartet, sie hatten sich dort auf eine Raucherpause verabredet.
Richterin glaubt den Zeugen
Die Zeugenaussagen bewerteten Staatsanwaltschaft und Richterin Steiner als glaubhaft. „Vor allem der Geschädigte zeigte keinerlei Belastungstendenzen, er hat weder seine Verletzungen noch den Schaden am Motorrad aufgebauscht“, so die Richterin. Hinzu kam die einschlägige Vorstrafe des 72-Jährigen: Schon 2019 wurde er wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Er hatte sich so über ein Fahrzeug geärgert, das ihm die Durchfahrt versperrt hatte, dass er dessen Besitzer mit einer Schaufel bedroht und später versucht hatte, mit seinem Fahrzeug zu überfahren, als die Geschädigten ihn an der Flucht hindern wollten.
Richterin Ulrike Steiner riet dem 72-Jährigen, daran zu arbeiten, seine Emotionen besser unter Kontrolle zu bringen. Er habe sich in diese Situationen gebracht, weil er auf diese Reizungen völlig überzogen reagiert habe. Die Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung und unerlaubtes Entfernen vom Unfallort ist rechtskräftig.