Im Feuerwehrhaus in der Hohentwielstraße herrscht Stille. Niemand ist zu sehen – alles wirkt verlassen. Nur wenige Leute dürfen das Gebäude momentan betreten. Und am Eingang muss jeder eine Maske anziehen und die Hände desinfizieren – auch Feuerwehrleute vor Notfällen.

Helmut Richter, Kommandant und Leiter des städtischen Fachbereichs für Feuerwehr und Bevölkerungsschutz, erlebt diese Situation jetzt seit über einem Jahr: „Die verschiedenen Ausbildungen und Übungen finden seither nur noch stark eingeschränkt statt.“ Zuvor sei das ganz anders gewesen.

Tägliche Übungen im regulären Dienstbetrieb

„Vor Corona fanden im regulären Dienstbetrieb nahezu täglich Übungen statt“, sagt Richter, der seit mehr als 50 Jahren Mitglied der Radolfzeller Feuerwehr ist. Montags würden sonst ganze Ortsabteilungen, Löschzüge oder andere Abteilungen gemeinsam trainieren.

Darüber hinaus gebe es viele Spezialdienste mit bestimmten Aufgaben – zum Beispiel die Führungskräfte, die Atemschutzgeräteträger oder die Einsatzfahrer. „Die üben normalerweise separat an den anderen Abenden“, erklärt Richter.

Richter: „Bedarf herrscht eigentlich immer“

Der 63-jährige ist trotz Urlaub in seinem Büro – es ist perfekt aufgeräumt. Seit 1990 ist der gelernte Ingenieur und ehemalige Bauleiter hauptamtlicher Feuerwehrkommandant. Ihm ist anzumerken, dass die Situation für ihn und seine Leute ungewohnt und belastend ist.

Helmut Richter vor einem der Einsatzfahrzeuge. Die Fahrer und Maschinisten dürfen weiterhin in Zweiergruppen mit den Fahrzeugen üben.
Helmut Richter vor einem der Einsatzfahrzeuge. Die Fahrer und Maschinisten dürfen weiterhin in Zweiergruppen mit den Fahrzeugen üben. | Bild: Mario Wössner

Neben dem Dienstbetrieb finden sonst auch Ausbildungen statt. Zunächst die Grundausbildungen, denn ohne die, dürfe man nicht an Einsätzen teilnehmen. Danach stehe für die Männer und Frauen die Ausbildung zum Truppführer, zum Einsatzfahrer oder Bootsführer an – je nach aktuellem Bedarf.

Doch Richter sagt: „Bedarf herrscht eigentlich immer.“ Deshalb sei das Feuerwehrhaus vor Corona an 200 Tagen im Jahr durch Aus- oder Fortbildungen belegt gewesen. Und die Jugendfeuerwehr habe ihren festen Termin am Dienstag.

Übungen nur noch in Zweiergruppen

Doch jetzt ist alles anders. „Seit November sind wir nahezu wieder im kompletten Lockdown, was die Übungen angeht.“ Deshalb sei das Training nur in kleinen Gruppen und nur für bestimmte Einsatzkräfte möglich – um den laufenden Betrieb zu erhalten.

Der Feuerwehrkommandant erklärt: „Ich habe den Einsatzfahrern und Maschinisten empfohlen, sich fit zu halten.“ Denn befehlen kann er das nicht – 206 der 212 Einsatzkräfte arbeiten hier ehrenamtlich. Die Fahrer dürfen daher regelmäßig den Zustand der Fahrzeuge überprüfen.

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Zudem treffen sich die Maschinisten in festen Zweiergruppen für Übungen mit dem Fahrzeug. Denn die Bedienung der Stromerzeuger, der Lichtmasten und der Drehleiter müsse ständig geübt werden. „Das ist wie beim Fußball oder Tischtennis: Ohne Training rostet alles ein“, beschreibt Helmut Richter das Vorgehen.

Radolfzeller Feuerwehr ist besonders vorsichtig

Auch seien die Atemschutzgeräteträger weiterhin aktiv. „Die Überprüfung und das Anziehen der Geräte muss ständig geübt werden.“ Richtige Ausbildungen seien momentan aber nicht möglich. „Das läuft alles in ganz abgespeckter Form“, bedauert er.

Helmut Richter hat das selbst entschieden: „Die Verantwortung und damit auch die Entscheidung darüber liegt bei der Kommune, also beim jeweiligen Feuerwehrkommandanten.“ Das heißt: Bei ihm. Es gebe zwar viele Empfehlungen des Innenministeriums, aber keine verbindlichen Vorgaben.

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„Jede Gemeinde handelt ein bisschen anders. Wir gehen in der Umsetzung über das vorgegebene Maß der Einschränkungen hinaus, um die Einsatzbereitschaft nicht durch Infektionen zu gefährden.“ Deswegen sei es richtig, die Ausbildungen derzeit soweit runterzufahren wie möglich. Wer Kontaktperson ist oder Symptome hat, dürfe nicht mehr zum Dienst kommen.

Wie wirkt sich das im Ernstfall aus?

„Die Einsatzbereitschaft ist derzeit nicht eingeschränkt“, versichert Helmut Richter. Doch mittelfristig habe die mangelnde Ausbildung große Folgen. „Alleine beim Atemschutzbereich hätten wir seit März 2020 fünf Lehrgänge gehabt.“ 60 bis 80 Feuerwehrleute seien nicht ausgebildet worden. „Die fehlen jetzt noch nicht, aber in Zukunft.“

Helmut Richter, Feuerwehrkommandant und Leiter des städtischen Fachbereichs für Feuerwehr und Bevölkerungsschutz, sagt: „Die ...
Helmut Richter, Feuerwehrkommandant und Leiter des städtischen Fachbereichs für Feuerwehr und Bevölkerungsschutz, sagt: „Die Einsatzbereitschaft ist derzeit nicht eingeschränkt.“ | Bild: Daniela Biehl

Und noch etwas werde sich bemerkbar machen: Junge Leute aus der Jugendfeuerwehr können nicht in den Einsatzdienst übernommen werden. Denn dafür wäre die Grundausbildung nötig. „Das wirft uns für ein paar Jahre zurück. Aber ich hoffe, dass es keine Langzeitfolgen hat, auch wenn wir einige Ausbildungslehrgänge verloren haben“, sagt Richter.

Für die Jugendlichen sei das besonders frustrierend. Der Kommandant vermutet: „Die denken sich doch: Jetzt bin ich zwar bei der Einsatzabteilung, aber darf keine Einsätze mitmachen und werde nicht einmal eingekleidet.“

Aufarbeitung und Gespräche fehlen

Auch die Gemeinschaft gehen verloren. „Uns fehlt das Kameradschaftliche, der Zusammenhalt“, klagt Richter, dessen Vater schon in der Feuerwehr war. Treffen und Gespräche nach den Einsätzen seien nicht erlaubt. Stattdessen müssen die Feuerwehrleute nach getaner Arbeit sofort unter Einhaltung der Hygieneregeln das Feuerwehrhaus verlassen.

Dabei brauche es die gemeinsamen Abende, um Einsätze zu verarbeiten und den Zusammenhalt zu stärken, erklärt Helmut Richter. „Wenn es bei einem Notfall verraucht und dunkel ist, dann muss man jeder Handgriff blind sitzen. Dafür braucht es Vertrauen zueinander.“

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Die Stärken und Schwächen der anderen zu kennen sei entscheidend im Einsatz – vor allem wenn die psychische Belastung hoch sei. Dennoch sorgt sich der 63-jährige nicht um die Qualität seiner Mannschaft: „Viele meiner Leute kennen sich schon lange. Das Grundvertrauen geht in dem einen Jahr nicht verloren.“ Der Trainingsverlust sei schlimmer, weil dadurch Fitness und Fertigkeiten leiden würden.

Gibt es etwas Positives?

Helmut Richter zögert lange – diese Frage habe er schon öfter gehört. Doch für die Feuerwehr sei alles schwieriger geworden, findet er. „Wie alle Branchen, haben wir uns natürlich modernisiert und sind digitaler geworden.“ Da habe es einen Schritt vorwärts gegeben. Ansonsten hindere Corona die Feuerwehr aber an vielem.

Dann fällt dem Feuerwehrkommandanten doch noch etwas ein: „Der einen oder anderen Führungskraft oder den Ausbildern tat es sicher gut, dass sie mal durchatmen konnten von der permanenten Belastung, weil weniger Übungen stattfanden.“

Alle wollen wieder loslegen

Denn viele Helfer seien mehrmals pro Woche ehrenamtlich im Feuerwehrdienst – zusätzlich zu ihrem Hauptberuf. Und teilweise gebe es sonst auch lange Übungen am Wochenende. „Das belastet natürlich“, sagt er. „Doch richtige Freude, löst die Pause bei keinem von uns aus.“

Für die Zukunft hofft der 63-jährige daher, dass sich alles bald wieder normalisiere und sagt: „Viele Feuerwehrleute vermissen den wöchentlichen Dienst – wir wollen alle endlich wieder loslegen und gemeinsam trainieren.“