Natalie Reiser

Man taucht in einen weichen Kinosessel ein. Die Lichter gehen aus. Auf der Leinwand entwickelt sich eine Geschichte. Eingehüllt in die Dunkelheit des Saals verfolgt man ein anderes Leben, ist erheitert, gerührt, nachdenklich oder traurig.

Kinofilme sind eine von mehreren Kunstarten, in denen Geschichten erzählt werden. In den 60er-Jahren erlebte das Kino seine Glanzzeit. Zwanzig Jahre später hat das Kino große Konkurrenz bekommen.

VHS verdrängte das Kino – fast

Die VHS-Kassette ließ ein bisschen Kinogefühl ins Wohnzimmer einziehen – die Vorfreude auf einen ausgesuchten Film in voller Länge und ohne Unterbrechung. Videotheken sprießten aus dem Boden. Auch in Radolfzell gab es zwei Videoverleihe. Eine Zeit lang sah es so aus, als ob gefüllte Kino-Säle bald der Vergangenheit angehören würden. Doch das Kino hat überlebt.

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Die 80er-Jahre waren bunt und lebendig. Das spiegelte sich auch im Kino wider. Tanzfilme, wie Footloose und Dirty Dancing, mit Kinohelden in körperbetonten und farbigen Klamotten zogen die Massen in die Filmtheater.

Lang ist die Liste der anspruchsvolleren Filme, die zu Klassikern geworden sind: Club der toten Dichter, Rain Man, Out of Africa, Mondsüchtig, Harry und Sally, und natürlich Batman. Auch die mehrteiligen Jugendfilme Zurück in die Zukunft und La Boum haben Filmgeschichte geschrieben.

Eine intensive Zeit

Uwe Kemmer, Vorsitzender des Universum Filmtheaters, erinnert sich gerne an die Zeit der 80er-Jahre zurück. „Mein Großvater hat das Kino eröffnet und ich war schon mit 14 Jahren hier drin“, erzählt er.

In den Jahren 1980 bis 1988 arbeitete er bereits selbst als Vorführer im Universum. „Das Alter von 14 bis 27, das war eine intensive Zeit. Die würde ich gerne noch einmal erleben“, meint er rückblickend. Seine Leidenschaft für den Film hat sich bis heute nicht verändert. „Fürs Kino tue ich alles“, meint er scherzend.

Schon vor 40 Jahren standen sie im Bildwerferraum des Universum: Uwe Kemmer (v.l.), sein Bruder Dieter Kemmer und Dieter Bretzke. Der ...
Schon vor 40 Jahren standen sie im Bildwerferraum des Universum: Uwe Kemmer (v.l.), sein Bruder Dieter Kemmer und Dieter Bretzke. Der Raum hat sich bis heute nur wenig verändert. Bild: Archiv Kemmer | Bild: Archiv Kemmer

1952 wurde das erste Universum-Kino in den ehemaligen Markthallen eröffnet. Nach fünf Jahren musste es weichen. Die Firma Schiesser expandierte und benötigte Platz für eine Kantine. Ein Schreinerbetrieb half dem Universum zu überleben und baute das Gebäude, in dem das Nostalgiekino bis heute betrieben wird.

1988 stand es ein weiteres Mal nicht gut um den Fortbestand des Kinos. Das Fernsehen und die VHS-Kassetten veränderten die Gewohnheiten der Radolfzeller. Der Gang ins Kino wurde seltener, die Kinokasse klingelte nicht mehr wie bisher. Das Universum musste schließlich seine Türen schließen. Vor dem geplanten Abbruch kam der Film-Club Singen-Radolfzell mit der Idee zu Hilfe, das Kino als Nostalgie-Kino weiter zu betreiben.

Seit 2009 Nostalgiekino

Im Jahr 2009 willigte der Kulturausschuss nach langen Verhandlungen ein. Tausende Besucher konnte das altehrwürdige Kino, dessen Kasse noch von der original bemalten Holzverschalung von 1957 umrahmt ist, seitdem in seinem Saal begrüßen. An jedem Freitag und Sonntagabend öffnet es in der Regel seine Türen.

Auf dem Programm stehen Filme vergangener Jahrzehnte, manchmal aber auch aktuelle Filme. In diesem Jahr ist eine Wiederbelebung der 80er geplant. Falls Corona es zulässt, sollen im Herbst die drei Teile von Zurück in die Zukunft das Gefühl der Jugend in Röhrenjeans auf Skateboards wieder aufleben lassen.

Was früher quirlig war, ist heute gemütlich

La Boum und die Fortsetzung Die Fete geht weiter sind bereits gelaufen. Ein frecher, quirliger Teeny-Film – damals. Aus heutiger Sicht, gewöhnt an wesentlich schnellere Filmsequenzen, erscheint er beinahe gemütlich.

Wenn die jugendliche Sophie Marceau alias Vic ihre Freundin Pénélope an ihrem Liebeskummer teilhaben lassen will, muss sie zum Telefonhörer im Flur der Familie greifen. Die Privatsphäre in der Familie war in den 80ern eine andere als heute. Es gab kein Handy, keine sozialen Medien, kein Internet. Doch geblieben ist, dass die Jugend verwirrend viele Möglichkeiten bietet und das Erwachsenwerden so manche Tücke hat.

Mittlerweile hat die Technik einen Riesensprung gemacht. Die VHS-Kassette gibt es nicht mehr. Heute machen Streaming-Dienste und das Internet dem Kino Konkurrenz. Kemmer ist sich aber sicher: Das Kino wird leiben. „Das gemeinschaftliche Filme-Gucken im Kino ist ein Erlebnis, das man zu Hause nicht ersetzen kann“, meint er.