Hilfsorganisationen wie der Weiße Ring schlagen schon seit längerer Zeit Alarm: Wie sie berichten, hat die Zahl der häuslichen Gewalttaten während der Corona-Pandemie zugenommen. Dass das auch in Radolfzell Auswirkungen hat, hatte die damalige Zuständige der Diakonie, Bärbel Wagner, im ersten Corona-Herbst berichtet: Sie erzählte von einem großen Bedarf beim Radolfzeller Frauenhaus, die Plätze dort seien schnell belegt gewesen.

Allerdings scheint sich die Situation danach zumindest zeitweise gewandelt zu haben. Zwar beklagte der Weiße Ring auch Ende des vergangenen Jahres noch eine Zunahme bei den Gewalttaten. Die Verantwortlichen der Diakonie erzählen jedoch, diese Entwicklung sei beim Radolfzeller Frauenhaus so nicht angekommen.

Häufig keine volle Auslastung

Zwar habe es durchaus immer wieder Phasen gegeben, in denen viele Anfragen kamen und die Frauen zum Teil an andere Stellen verwiesen werden mussten. Das habe es aber in der Vergangenheit auch immer wieder gegeben. Dennoch sei die Belegung 2020 insgesamt bei 60 Prozent gelegen und auch 2021 sei das Radolfzeller Frauenhaus häufig nicht an seine Kapazitätsgrenzen gekommen, insbesondere während des Lockdowns.

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Damit sei es übrigens nicht das einzige in Baden-Württemberg, das sagt Anke Brednich, Leiterin des Fachbereichs Frauen, Migration und Soziales bei der Diakonie. „In Baden-Württemberg wurden viele freie Zimmer gemeldet, was eigentlich gar nicht den Erwartungen entsprochen hat.“ Und auch Claudia Zwiebel, Geschäftsführerin des Frauenhauses in Singen, berichtet von weniger Anfragen.

Wo liegen die Gründe dafür?

Als Grund dafür vermuten die Verantwortlichen in Radolfzell verschiedene Aspekte: Sie sind zwar überzeugt, dass es zur häuslichen Gewalt gekommen ist. Allerdings sei es zum einen möglich, dass Frauen gerade im Lockdown schlichtweg keine Möglichkeiten hatten, sich Hilfe zu suchen. Denn durch Homeoffice, Ausgangssperren und fehlende Veranstaltungen hätten sie sich ständig mit dem gewalttätigen Partnern in derselben Wohnung aufhalten. Sie hätten also unter Beobachtung gestanden.

Zum anderen könne die allgemeine Verunsicherung durch die Pandemie-Situation so groß gewesen sein, dass die Betroffenen einfach nicht die Kraft dafür fanden, einen Ausweg aus der Gewaltsituation zu suchen. „Da noch so einen Schritt zu machen, schaffen die wenigsten noch“, glaubt Anke Brednich.

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Claudia Zwiebel stimmt ihr zu: „In Krisenzeiten haben Frauen weniger Mut, sich zu trennen.“ Dennoch würden sie sich über ihre Möglichkeiten in den schwierigen Situationen erkunden. Das beweisen die vielen Anfragen, die die Fachberatungsstelle für Frauen und Mädchen in Singen erreicht haben: Von 2019 auf 2020 hätten sie sich verdoppelt, im ersten Pandemiejahr seien 216 Personen beraten worden. 2021 habe die Zahl erneut zugenommen, damals seien 324 Personen beraten worden.

Gewalttaten fielen im Lockdown weniger auf

Außerdem sei die häusliche Gewalt in Zeiten von Schulschließungen, Homeoffice und einem fehlenden Vereinsleben immer mehr ins Verborgene gerutscht, so die Verantwortlichen in Radolfzell: Lehrer, Trainer oder Kollegen seien vermutlich auf Anzeichen wie Verletzungen nicht mehr aufmerksam geworden und konnten das Thema daher nicht mehr ansprechen.

Zeitgleich sei aber auch die Hürde für einen Einzug ins Frauen- und Kinderschutzhaus auch dann noch hoch gewesen, wenn bereits Hilfe gesucht wurde. Denn schon bei der Anfrage habe nach Impfstatus gefragt werden müssen, zudem hätten die Betroffenen zu Beginn die Corona-Tests noch selbst zahlen müssen, um in die Schutzeinrichtung einziehen zu können. Und im Frauen- und Kinderschutzhaus selbst musste darauf geachtet worden, dass die Bewohnerinnen möglichst wenig Kontakt untereinander und zu den Helfern hatten, um Infektionen zu vermeiden.

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Es muss sich zeigen, was die Zukunft bringt

Mittlerweile kehre im Frauen- und Kinderschutzhaus in Radolfzell langsam wieder Normalität ein, sagen die Verantwortlichen – wenn auch eine traurige, denn die Einrichtung sei seit dem Frühjahr wieder voll belegt. „Der Zugang ist wieder leichter“, vermutet Anke Brednich – weil es kaum noch Corona-Einschränkungen gibt, haben die Opfer womöglich wieder mehr Freiraum.

Übermäßig hohe Zahlen seien aber noch immer nicht zu bemerken: „Wir sind wieder auf dem Niveau auf dem Jahr vor Corona“, so Brednich. Allerdings werde sich in Zukunft noch zeigen, ob sich die Opfer vermehrter häuslicher Gewalt in Zukunft nach und nach mit Verzögerung noch melden.