Es ist ihre eigene Geschichte und die Tatsache, dass die AfD in ihrer Gemeinde mit 18 Kandidaten zur Gemeinderatswahl antritt, die Gemeindrätin Jana Akyildiz (Grüne) bewogen hatte, diese Podiumsdiskussion in der Arlener Gems zu veranstalten. Auf dem Podium diskutierten Zekine Özdemir, Stadt- und Kreisrätin der Grünen aus Radolfzell, Michaela Seidl, Gemeinderatskandidatin der Grünen in Singen, Turnverein-Trainierin Sonja Noll, Heimleiter Matthias Frank und als Moderator der Konstanzer Politikwissenschaftler Marius Busemeyer.

Wie Jana Akyildiz erzählt, sei sie als 15-jähriges Mädchen aus der ehemaligen DDR über drei Aufnahmelager in den Westen gekommen und habe das Gefühl gehabt, nicht willkommen zu sein. Jetzt trage sie den türkischen Nachnamen ihres Ehemannes und sie und ihre Familie begegneten „Schubladen voller Vorurteilen“. Mit ihrem Engagement für die Gemeinde im Gemeinderat will sie das ändern.

Das Gefühl, nicht willkommen zu sein

Dieses Gefühl, nicht willkommen zu sein und immer Ausländer zu bleiben, schildern auch die anderen Migrantinnen in der Diskussion. Zekine Özdemir, grüne Stadt- und Kreisrätin, kam mit zwölf Jahren aus der Türkei 1980 nach Mutterstadt. Türkische Freundinnen hätten sie auf der Hauptschule angemeldet. Dass es auch andere Schulen gibt, habe sie nicht gewusst und niemand informierte sie.

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Im Vergleich zu damals hätte sich die Beratung für Migranten verbessert, sie selbst sei dort tätig, berichtet Zekine Özdemir. Doch Bildung sei nach wie vor sehr von den Eltern abhängig. Sie ärgere sich darüber, dass Migranten, die fast ihr ganzen Leben in Deutschland und verbracht haben, immer noch abgestempelt werden. Ihr fehle, dass gesagt wird: „Ihr gehört zu uns!“ Das Thema Migration sei im Wahlkampf immer negativ besetzt, dabei sei Deutschland ein Zuwanderungsland. Man müsse die Gesellschaft als Ganzes annehmen und den Zugewanderten, die seit Jahren hier leben und arbeiten, das Gefühl geben, angenommen zu sein.

„66 Prozent könnten nicht gepflegt werden“

Matthias Frank, Heimleiter des Michael-Herler-Pflegeheims in Singen, konnte berichten, dass es ohne Arbeitskräfte mit Migrationshintergrund in der Pflege nicht geht. 30 Nationen arbeiteten bei ihm, 66 Prozent seiner 110 Mitarbeiterinnen haben ihr Wurzeln in einem anderen Land. „Das heißt 66 Prozent der Bewohner könnten nicht gepflegt werden, wenn wir diese Mitarbeiterinnen nicht hätten“, sagte er.

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Er machte deutlich, dass bis 2030 rund 500.000 Pflegekräfte in Deutschland fehlen werden. Die Pflegeheime müssten sich etwas einfallen lassen, um Mitarbeiter zu bekommen und zu halten: Das Heim hätte elf Personalwohnungen angemietet, weil Mitarbeiter mit ausländischem Namen oft keine Wohnung bekommen.

Michaela Seidl kandidiert in Singen

Michaela Seidl ist in Singen geboren und arbeitet als Chemikerin in der Schweiz. Ihre Mutter stammt von den Philippinen, lebt aber seit Jahrzehnten in Deutschland. „Ich bin Deutsche und habe nichts anderes, das ich Heimat nennen kann“, sagte Michaela Seidl. Sie berichtet, sie habe sich erst als Erwachsene Gedanken über die Themen Migration und Diskriminierung gemacht. Jetzt sie wolle mit ihrer Kandidatur für die Grünen für den Singener Gemeinderat etwas in Sachen Toelranz bewirken.

„Die meisten akzeptieren mich“, so ihre Erfahrung, doch als Kind sei sie auf dem Schulhof auch von anderen Kindern als Schlitzauge beschimpft worden. „Deutschland hat keine ausgeprägte Willkommenskultur, man hat das Gefühl immer Gast und froh sein zu müssen, dass man hier leben darf“, sagt sie.

„Für mich ist beides Heimat“

Auch Sonja Noll ist in Deutschland geboren. Ihre Eltern kommen aus Tunesien und leben wieder dort. Auch sie hat als Kind Diskriminierung erlebt, als sie zum Beispiel beim Besuch einer deutschen Freundin nicht auf die Toilette gehen durfte oder klar war, dass sie auf die Hauptschule geht. Insgesamt fühlt sie sich in ihrem persönlichenUmfeld aber gut aufgehoben und angenommen: „Für mich ist beides Heimat – Deutschland und Tunesien.“

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Sonja Noll ist im Turnverein Rielasingen ehrenamtlich als Zumba-Trainerin für Kinder und Erwachsene aktiv und hilft als Dolmetscherin Geflüchteten. Der Sportverein liefere einen wichtigen Beitrag zur Integration: „Im Turnverein sind alle gleich, wir haben Mitglieder aus vielen Nationen.“ Beim Sport spiele die Herkunft keine Rolle. „Wir sind doch in erster Linie Mensch“, sagte die Trainerin.

In der anschließenden Diskussion fand ein Zuhörer schade, dass sich zur Diskussion in der Arlener Gems im Prinzip nur Gleichgesinnte getroffen hätten, die alle für eine offene Gesellschaft seien. Eine Zuhörerin machte sich Gedanken über die Menschen in der Leichtbauhalle, die dort doch isoliert seien. Das sei nicht der Fall, erklärte Migrationsberaterin Zekine Özdemir, die Betreuer vor Ort und Helfer würden sich um sie kümmern.